Lockdown und psychische Gesundheit

Die letzten 20 Monate haben dem Begriff „Lockdown“ eine mit einer spezifischen Assoziation verbundene Bedeutung gegeben – nämlich: Corona und Pandemie!
Zuerst allerdings noch zum Begriff ganz allgemein und zu der ihm eigenen Psychodynamik: Wortwörtlich aus dem Englischen übersetzt, bedeutet „Lockdown“ als Substantiv in etwa „Ausgangssperre“, es kann aber auch als ein Verbum für „zusperren“, „zuschließen“, „versiegeln“ verwendet und verstanden werden.

Klaustrophobie und Lockdown

Für Menschen, die eine auch nur geringe (geschweige denn deutliche oder schwere) klaustrophobische Neigung aufweisen, können allein schon diese Worte eine unangenehme Wirkung im Sinne eines Angstprodroms verursachen. Es kann das Hören der Begriffe oder die Androhung von dergleichen Situationen bereits genügen, um eine Panikattacke auszulösen. Diese Panikattacke würde dann im Rahmen einer Klaustrophobie auftreten, einer spezifischen situativen Phobie, die aus der Angst vor dem tatsächlichen – oder viel häufiger – imaginierten Eingesperrtsein besteht.
In einem weniger eng gefassten Verständnis von Klaustrophobie neigen Menschen, die an verschiedensten spezifischen Phobien leiden, zu einer erhöhten Bereitschaft für klaustrophobe Empfindungen. Im engeren Sinn dürften etwa 5–8 % der Bevölkerung in unterschiedlichem Ausmaß davon betroffen sein, es gibt allerdings Untersuchungen, die auch von 15 % sprechen, wobei hier wohl ein breiter angelegtes Verständnis von Klaustrophobie zugrunde liegt. Letztlich ist die Vorstellung, eingesperrt zu sein, für alle Menschen nicht gerade von angenehmen Gefühlen begleitet.
Schon allein infolge dieser grundsätzlichen Aspekte ist es keineswegs verwunderlich, dass „Lockdowns“ bei vielen Menschen beträchtlichen Eindruck machen und gegebenenfalls auch hinterlassen haben. Zusätzlich verstärkend dürfte in unseren Breiten auch der Umstand sein, dass in westlichen Demokratien Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken, sehr ungewöhnlich sind (was seitens der Autoren dieses Artikels nicht als Kritik gemeint ist).

In Österreich…

… war vor allem der erste pandemiebedingte Lockdown von 16. März bis 14. April 2020 mit einer deutlichen Abnahme der kollektiven Bewegungsdynamik im öffentlichen Raum verbunden. Wenn wir uns an diese Zeit zurückerinnern, dann haben vor allem im städtischen Bereich die menschenleeren Gassen und Straßen eine durchaus dystopische Atmosphäre vermittelt und in gewisser Weise für die überwiegende Mehrheit bedrohlich gewirkt. Allerdings ist das Ausmaß von Bedrohungsempfinden infolge einer solchen Maßnahme sehr vom jeweiligen Kontext abhängig:
Zum einen wurde im psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich recht häufig kolportiert (allerdings wenig untersucht), dass ausgeprägt agoraphobe PatientInnen (deren Vermeidungsverhalten es ihnen ohnehin sehr schwer macht – sofern überhaupt möglich –, in den öffentlichen Raum zu gelangen) immer wieder berichteten, sich jetzt weniger ausgeschlossen zu fühlen, da ein agoraphobes und soziophobes Verhalten im Lockdown quasi die geforderte Norm sei.
Zum anderen spielte es eine beträchtliche Rolle, wie viel Raum und Bewegungsmöglichkeit den Menschen tatsächlich zur Verfügung stand. Hier waren all jene im Vorteil, die größere Wohnräume, wie beispielsweise eine wirklich große Wohnung, oder ein Haus mit Garten haben, und das womöglich im ländlichen Raum. Die politischen Debatten darüber, wie und wohin sich Menschen in städtischen Bereichen bewegen dürfen, waren dementsprechend heftig.

SORA-Studie

Wenig überraschend gab (und gibt) es hohe Zusammenhänge zwischen Raumnot, zusätzlichen existenziellen Sorgen und psychischem Stress, der sich dann auch in deutlichen Unterschieden in der psychischen Befindlichkeit manifestiert. Sehr explizit wurde genau das in der SORA-Studie nachgewiesen, einer Studie über die psychische Befindlichkeit der WienerInnen zu zwei Messpunkten: einmal im Frühjahr 2020 zumindest teilweise während des ersten Lockdowns (Erhebungszeitraum: 27. April bis 17. Mai 2020; 1.004 TeilnehmerInnen ab einem Alter von 16 Jahren), ebenso im Frühjahr 2021 – auch hier in zeitlicher Überschneidung mit dem vierten Lockdown (Erhebungszeitraum: 17. März bis 20. April 2021; 1.003 TeilnehmerInnen ab einem Alter von 16 Jahren).
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen sehr deutlich eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit mit zunehmender Dauer der Pandemie in allen Bevölkerungsgruppen sowie den Zusammenhang zwischen sozialen Faktoren und psychischem Befinden – und leider auch eine Zunahme dieses Effektes für spezifische Gruppen im Verlauf der Pandemie sozusagen vom ersten Lockdown bis zum vierten Lockdown. Konkret geht es um folgende Bevölkerungsgruppen:

  • Menschen mit geringen sozioökonomischen Ressourcen und beengten Wohnverhältnissen
  • alleinlebende und alleinerziehende Menschen
  • Kinder und Jugendliche bzw. jüngere Menschen (bis 34 Jahre)
  • Frauen
  • Menschen mit Migrationshintergrund

Generell war und ist die Corona-Pandemie für alle Menschen mit Stress verbunden, da sie mit den unterschiedlichsten psychosozialen Belastungen einhergeht.

Diese psychosozialen Belastungen entstehen zum einen durch die Pandemie selbst:

  • Angst vor Ansteckung, Angst, zu sterben
  • Sorge um Angehörige, Versterben naher Angehöriger

… und zum anderen durch die Folgen der Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung (u. a. Lockdowns!):

  • eingeschränkte Sozialkontakte bis hin zu Einsamkeit und sozialer Isolation
  • fehlende Tagesstruktur, eingeschränkte Freizeit- und Betreuungsmöglichkeiten
  • Mehrfachbelastung von Eltern (Homeoffice, Haushalt, Erziehung, Betreuung und Versorgung der Kinder, Homeschooling, reduzierte soziale Unterstützung)
  • erschwerte Rückkehr in Kindergarten, Schule bzw. Ausbildung und Beruf
  • Bedrohung bzw. Verlust von Ausbildung, Arbeitsplatz, Existenz
  • Einschränkungen in der Gesundheits- und Sozialversorgung
  • insgesamt erhöhter Stress und daraus vermehrte Konflikte und häusliche Gewalt

„Lockdowns“ können sich in Qualität und Quantität unterscheiden; das Ausmaß der „Abschließung“ ist ja nicht standardisiert, auch nicht das Ausmaß der Reduktion der Mobilität und der Kontakte einer Bevölkerung. In anderen Ländern der Welt gab es zum Teil wesentlich längere und/oder auch radikalere Lockdowns. Sidney hatte einen 106 Tage ununterbrochen andauernden, sehr strikten Lockdown. Melbourne hat innerhalb der ersten eineinhalb Jahre nach Pandemiebeginn etwa 250 Tage dauernde Lockdowns erlebt. Aber auch hier gilt: Der Kontext macht den Text – die genannten australischen Regionen haben für weite Bevölkerungsteile eine andere, nämlich großzügigere Raumsituation, als das in Zentraleuropa der Fall ist. Somit wird die klaustrophobe Dynamik eine geringere sein, aber die soziophobe vermutlich recht ähnlich wie in Europa und die existenziellen Sorgen und Nöte ebenso.
Es ist schwierig, zu differenzieren, wie hoch der pathoplastische Effekt durch die Lockdowns oder doch durch die Pandemie an sich ist. Was aber jedenfalls deutlich wird, ist die weltweite Zunahme der Prävalenz psychischer Erkrankungen, im Besonderen von Angsterkrankungen und Depressionen. Dergleichen Auswirkungen waren schon relativ früh im Pandemieverlauf nachweisbar.