„Stell Dir vor, vor Kurzem habe ich eine Dokumentation über COVID-19 gesehen, Bilder aus der Klinik, da konnte ich nicht mehr aufhören zu weinen, ich habe mich total erschreckt“, erzählt mir eine hartgesottene Chirurgin, die ohne Probleme nächtelang durchoperiert, Beine amputiert oder Notfälle versorgt, die aber in COVID-Zeiten Dutzende von Patient:innen sterben sah. „Ich kann nicht mehr die Leitung der Station verantworten, ich weiß nicht, wie ich meinen Mitarbeiter:innen erklären soll, dass die Hälfte der Betten gesperrt ist und wir trotzdem mit so wenig Personal die gleiche Menge an Patient:innen versorgen sollen“, schildert mir eine Patientin, die hochengagierte Stationsleitung eines Zentralkrankenhauses ist. „Wir haben nur deshalb ohne psychologische Hilfe durchgehalten, weil wir ein Team haben, das uns stärkt, dies war die einzige Ressource in COVID-19-Zeiten“, berichtet eine Intensivkrankenschwester und bricht dann in Tränen aus: „Jetzt muss ich wegen des Personalmangels auf eine andere Abteilung und weg aus dem Team, ich kann nicht mehr.“
Dies ist nur die Spitze des Eisberges, was wir hier gerade erleben. Der Personalengpass im gesamten Gesundheitssystem, auch in der Primärversorgung, war auch schon vor Beginn der Pandemie anhand demografischer Daten abzusehen, ohne dass spürbare Anstrengungen unternommen worden wären, diesem durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken. Dann kam COVID-19 und damit eine permanente Überlastung aller im Gesundheitssystem Arbeitenden. Oft übermotiviert und manchmal auch heroisch haben die meisten versucht, über persönliche Belastungsgrenzen hinweg und durch ein übermäßiges Engagement der Pandemie und ihren Folgen entgegenzutreten. Durch die multiplen Probleme, die COVID-19 gesamtgesellschaftlich in vielen Bereichen aufgeworfen hat, gerieten diejenigen aus dem Fokus, die nicht laut schreiend ihren Unmut kundtaten, sondern hart arbeitend dafür sorgten, dass das Gesundheitssystem so gut wie möglich funktioniert – trotz aller Widrigkeiten bis zur Gefährdung der eigenen Gesundheit und oft unter Bedrohung an Leib und Leben. Der schon seit vielen Jahren absehbare Personalengpass aggravierte sich durch den nicht unerheblichen Verlust an qualifiziertem Personal, das den oft so geliebten Beruf erschöpft und ausgelaugt aufgab.
Diejenigen, die trotz der Erschöpfung blieben, sehen sich jetzt einer Situation gegenüber, die aufgrund des ubiquitären Mangels an Personal mindestens so herausfordernd ist wie zu Zeiten der Pandemie, denn im Gegensatz zum Personal nimmt die Anzahl an Patient:innen weiter zu, die Bedürfnisse werden herausfordernder, der Ton schärfer. Es wird sich zeigen, ob die angestrebten Maßnahmen zur Sicherstellung der Personalsituation im Gesundheitssystem ausreichend sein werden, um Patient:innen auf einem Niveau versorgen zu können, das so hochqualitativ bleibt, wie es theoretisch möglich wäre, und ob die Wertschätzung gegenüber den Arbeitenden im Gesundheitssystem abseits von finanziellen Zugeständnissen spürbar wird – und es auch endlich Verständnis und Dank dafür gibt, was diese in den letzten Jahren geleistet haben.