Die Definition der Männergesundheit ist nicht so einfach, will man sie nicht nur auf urologische und andrologische Organe und deren Erkrankungen reduzieren. Dr. Peter Kölln, Arbeitsmediziner aus Bremen, hat in seinem Buch „Männer im Betrieb(s)Zustand: Der Praxisratgeber zur Männergesundheit“ versucht, die Männergesundheit zu definieren, und liefert eine Zusammenfassung von Expertendefinitionen. Er schreibt, dass sich die Männergesundheit über
Warum aber soll man sich als Ärztin oder Arzt mit der Männergesundheit beschäftigen? Ergibt es überhaupt Sinn, sich mit diesen landläufig als Gesundheitsmuffel beschriebenen Ignoranten der eigenen Gesundheit auseinanderzusetzen? Natürlich wäre es einfacher, die statistisch niedrigere Lebenserwartung der Männer gegenüber den Frauen als „gottgewollt“ zu akzeptieren, der Abstand ist ja schon in den letzten Jahrzehnten geringer geworden.
Nun aber kommt die geschlechtsspezifische Medizin mit ihrer Forderung, dass allen Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Ausbildung oder sozialem Status ein ihrem Lebensbild oder ihren Vorstellungen von Gesundheit gemäßer Zugang zur Gesundheitsversorgung angeboten werden muss, ins Spiel. Von der Erfüllung dieser Forderung sind wir in Österreich noch weit entfernt. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn die Vorsorgeangebote, die Frauen ansprechen, für Männer untaugliche Versuche sind, mehr auf ihren Körper und damit auf ihre Gesundheit zu achten.
Bis Mitte des 19. Jahrhundert war die Lebenserwartung von Frau und Mann nahezu gleich. Durch die Verbesserung der Hygiene im Kindbett, aber auch durch Industrialisierung und die Einführung der Wehrpflicht, mit der Erziehung des Jungen, hart zu sich zu sein und keinen Schmerz zu kennen, kam es zum Auseinanderklaffen der Lebenserwartung. Der Mann ist noch immer führend bei den häufigsten Todesursachen, wie koronare Herzkrankheit, Krebs, chronische Lungenerkrankungen und Suizid. D. Johnson schrieb schon 1989 im amerikanischen Journal of Health von der „Loneliness of the Male Body“ und erklärte den Mann zum Wegwerfgeschlecht. Dies untermauerte er mit folgenden Zahlen: Obdachlose 83 %, AIDS-Tote 90 %, Namen am „Vietnam Veterans Memorial“ in Washington D.C. 99,9 % und Inhaftierte 94 % Männer.
Der österreichische Journalist Gernot Bauer beschreibt 2014 in der Zeitschrift profil, wie die Politik die Probleme der Männer ignoriert. Er untermauert seine Behauptung mit folgenden Zahlen: Suizid begehen 75 % Männer, bei den Alkoholkranken finden sich 66 %, bei den Obdachlosen (Caritas Wien) 72 %, in der Sonderschule 62 % Männer, knapp die Hälfte aller Mädchen eines Jahrgangs machen Matura, bei den Burschen schaffen es nur 34 % bis zur Reifeprüfung, und nur noch 40 % aller Universitätsabsolventen sind Männer.
2010 erschien der erste Deutsche Männergesundheitsbericht, in dem die Gesundheitswissenschafterin Doris Bordele zur Verbesserung der gesundheitlichen Lage von Männern erklärt, dass die vorzeitige Sterblichkeit von Männern an Lungenkrebs, Hypertonie, ischämischen Herzerkrankungen und zerebrovaskulären Erkrankungen gesenkt werden müsse. Außerdem gelte es das Gesundheitsverhalten der Männer, z. B. im Hinblick auf die Vorsorgeuntersuchung, zu beeinflussen. Männern, und nicht nur Frauen, muss ein spezieller Zugang zur Gesundheitsförderung ermöglicht werden. Aus dem bisher Festgestellten muss folgender Schluss gezogen werden: Schon bei den Buben im Kindergarten muss begonnen werden, sie zu gesundheitsbewusstem Lebensstil zu erziehen, ihnen beizubringen, dass es nicht unmännlich ist, Schmerz, Angst und Trauer einzugestehen, und dass es nicht unmännlich ist, sich gesund zu ernähren und auf seinen Körper und seine Bedürfnisse zu achten. Und wir müssen Vorsorgeprogramme schaffen, die den Mann ansprechen und ihm zeigen, dass es nicht unmännlich ist, zur Vorsorgeuntersuchung beim Hausarzt, Internisten oder Urologen zu gehen. Die Auflösung der männerpolitischen Grundsatzabteilung im Sozialministerium durch den früheren Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober war mit Sicherheit das falsche Signal für die Verbesserung des Stellenwerts der Männergesundheit.
Die Angst vor Ansteckung und die Ausgangsbeschränkungen haben sicher zu einer Reduktion der Arztbesuche bei der Vorsorge oder bei den Nachsorgeuntersuchungen bei Tumorpatienten gesorgt. Sicher ein Problem, das auch bei Frauen zu finden ist, aber das schon geringere Interesse der Männer an einer Gesundenuntersuchung findet hier noch zusätzliche Unterstützung. Wir werden erst in den kommenden Jahren die Folgen der Pandemie im Anstieg der höheren Tumorstadien z. B. beim Prostatakarzinom sehen.
Bei einer SARS-CoV-2-Erkrankung kommt es zu weitreichenden endothelialen Veränderungen, auch im Penis. US-amerikanische Forscher stellten fest, dass Männer nach einer SARS-CoV-2-Infektion schwere Erektionsstörungen aufwiesen. Der Virus konnte im Schwellkörpergewebe elektronenmikroskopisch nachgewiesen werden. Studienautor Dr. Eliyahu Kresch machte deutlich, dass die Ergebnisse ein weiterer Grund dafür sind, sich vor einer SARS-CoV-2-Infektion zu schützen und sich impfen zu lassen. In einer früheren Studie zeigte sich bereits eine Beeinträchtigung der männlichen Fertilität und Spermienqualität.
Männer erkranken schwerer und sterben häufiger an COVID-19. Männer mit niedrigem Testosteronspiegel zeigen schwerere COVID-19-Erkrankungsverläufe. Hypogonadismus ist mit weiteren Komorbiditäten wie kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und COPD assoziiert, alles gleichzeitig Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19. Gleichzeitig scheinen niedrige Testosteronspiegel mit einem proinflammatorischen Status verknüpft zu sein. Inwieweit ein schwerer COVID-19-Verlauf einen hypogonadalen Status bedingt oder der niedrige Testosteronwert für schwere Verläufe verantwortlich ist, bleibt derzeit noch ungeklärt. Die aktuelle Pandemie zeigt jedoch, wie wichtig es ist, die Männergesundheit im Allgemeinen und die Rolle des Testosterons im Speziellen mittels multizentrischer Studien genauer zu untersuchen.