Es ist noch nicht allzu lange her, da wurde vom „Kortisonarzt“ gesprochen – inwieweit hat sich der Ruf des Dermatologen im Laufe der Zeit geändert?
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bauer: Mittlerweile muss der Dermatologe ein breites Arzneimittelspektrum überblicken – von topischen Medikamenten bis hin zu hochspezialisierten systemischen Therapien. Aber auch heute noch ist Kortison in verschiedenen Stärken oral und topisch ein Haupttherapeutikum für Dermatologen. Wir haben im Kortison-Bereich viele Jahrzehnte der Erfahrung und des Wissens um die potenziellen Nebenwirkungen dieses Medikamentes. Für viele kleinflächige und inzipiente Hauterkrankungen ist es weiterhin das ideale Mittel, wenn es gut dosiert und kurzfristig eingesetzt werden kann. Die deutliche Erweiterung des therapeutischen Spektrums durch andere topische Lokaltherapeutika wie Tacrolimus und Pimecrolimus hat uns gerade auch für Patienten mit einer ausgeprägten Kortison-Angst neue Möglichkeiten eröffnet. So gibt uns nun die Kombination von Kortison und anderen Immunsuppressiva die Möglichkeit, flexibel zu reagieren.
Welche waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten pharmakologischen Innovationen der vergangenen Jahre?
Die Breite des Faches Dermatologie hat in jüngster Vergangenheit zur Anwendung von neuen Wirkprinzipien in der Medizin beigetragen. So hat die Identifikation von spezifischen Zytokinen in entzündlichen Erkrankungen zur Entwicklung von Antikörpertherapien geführt. Hier waren es vor allem die Studien zur Psoriasis, die die Effektivität und Sicherheit von Antikörpertherapien gezeigt haben. Diese Therapien sind nun auch Standard bei unterschiedlichen entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, entzündliche Darmerkrankungen sowie Autoimmunerkrankungen. Mittlerweile steht auch für Patienten mit atopischer Dermatitis eine wirksame systemische Antikörpertherapie zur Verfügung.
Ähnliches gilt für die Melanomforschung, von der die nun fest etablierte Immuntherapie in der Onkologie ihren Ausgang genommen hat. Besonders spannend ist daher, dass die mRNA-Therapien, die jetzt als COVID-Impfungen verabreicht werden, initial für die Behandlung des Melanoms entwickelt wurden. Die RNA-Therapie in der Melanombehandlung wird durch die nun stattfindende globale epidemiologische Studie durch die Impfung von Millionen von Menschen zur Wirkung und vor allem zur Sicherheit der mRNA-Behandlung befeuert.
Welche weiteren Auswirkungen hat die Pandemie auf Ihr Fachgebiet?
Durch die COVID-Pandemie kam es besonders im stationären Bereich zu teilweise drastischen Reduktionen des Bettenstandes. Interessanterweise hat die operative Versorgung von Patienten mit Hauttumoren weniger Einbußen erlitten, da zumeist keine Intensivversorgung daran angeschlossen ist. Zu den weiteren Schattenseiten der COVID-Pandemie zählt die verringerte Früherkennung von Hautkrebs. Zum Melanom gibt es rezente, weltweit erhobene Daten, die zeigen, dass um 30 Prozent weniger Melanome in frühen Stadien erkannt wurden. Dies bestätigte sich auch für das Bundesland Salzburg, wo wir in einer rezenten Studie einen 44-prozentigen und 58-prozentigen Rückgang der Primärdiagnosen gegenüber 2018 und 2019 verzeichnen müssten. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Rückgang nicht ungebremst auf das Gesamtüberleben dieser Patienten auswirkt. Umso wichtiger ist es daher, dass in den nächsten Jahren in der Onkologie an neuen Technologien, vorwiegend in Richtung Diagnostik und Prognoseerstellung, aber auch in Richtung therapeutischer Targets geforscht wird. Beispiele sind die Analyse der microRNA (miRNA) bei Tumoren, ebenso die Analyse des Energiestoffwechsels.
Inwieweit machen Sie sich als amtierender Präsident der ÖGDV für die österreichische Forschung stark?
Hierbei ist es an den Universitätskliniken unser Fokus, weiterhin mit den technologischen Weiterentwicklungen und der Medizin an der Spitze mitzuhalten. Auf den Gebieten Onkologie und Immunologie haben wir in Österreich eine führende Rolle gespielt. Die gute internationale Stellung der österreichischen Dermatologie soll nun durch die Gründung eines Open-Access-/Hybrid-Journals der ÖGDV gestärkt werden, in dem gut dokumentierte Fallberichte in Verbindung mit verschiedenen grafischen Online-Tools veröffentlicht werden und das immense klinische Wissen unserer Kollegen und Kolleginnen in den Kliniken und niedergelassenen Praxen dargestellt wird.
Welche Aufgaben der Dermatologie werden zunehmend vom niedergelassenen Bereich übernommen, und wo liegen die Schnittpunkte bei der Zusammenarbeit mit den Kliniken?
Gerade die Verordnung und Applikation der sogenannten „Biologika“, die unsere Therapien in den letzten zehn Jahren entscheidend verändert haben, werden nun vermehrt im niedergelassenen Bereich eingesetzt. Initial war eine gewisse Zurückhaltung zu erkennen, da eine ausführliche Vorabklärung und Therapiebegleitung notwendig ist. Über die letzten Jahre hat sich hier jedoch das Wissen sehr stark verbreitet, und so müssen die Kliniken oft nur noch die initialen Einstellungen vornehmen; die Begleitung wird im niedergelassenen Bereich durchgeführt.
Einen besonders wichtigen Stellenwert hat auch der Allgemeinmediziner bei der Diagnostizierung und Behandlung von Hauterkrankungen. Wir wissen durch Umfragen, dass etwa 25 Prozent der Diagnosen beim Hausarzt sogenannte „banale Hauterkrankungen“ sind. Es ist also von besonderer Wichtigkeit, dass der Allgemeinmediziner eine fundierte Ausbildung in Dermatologie und Venerologie erhält, damit er sicher zwischen banalen und nur banal erscheinenden Hauterkrankungen unterscheiden kann. Leider ist die Dermatologie in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner nur im Form eines Wahlfaches vorgesehen.
Welche Hauterkrankungen sind im Zunehmen begriffen?
In den vergangenen Jahren wurden wir regelrecht von einer Skabies-Welle heimgesucht. Die Skabies ist eine Erkrankung, die wir viele Jahre als fast ausgestorben betrachtet haben. Seit circa 5 bis 6 Jahren ist hier jedoch eine deutliche Zunahme zu erkennen. Dazu kommt, dass es Berichte gibt, dass die Standardtherapeutika wie Permethrin nicht mehr ideal wirken. So haben wir uns mittlerweile um die Umstellung der Therapieempfehlungen gekümmert und empfehlen jetzt eine zweimalige Behandlung oral und topisch im Abstand von einer Woche.
Eine weitere Erkrankung, bei der wir eine deutliche Zunahme sehen, ist das maligne Melanom. Hier gab es zwischen 1983 und 2018 laut Statistik Austria einen Anstieg der Neuerkrankungen von 447 auf 1.471 Fälle pro Jahr – wahrscheinlich ist die tatsächliche Inzidenz noch weit höher. Dementsprechend hat sich auch der Behandlungsaufwand deutlich ausgeweitet. Glücklicherweise haben wir gerade für das maligne Melanom nun sehr potente Immuntherapien zur Hand, die das Gesamtüberleben von Patienten im Stadium IV nach 5 Jahren bereits auf über 50 Prozent verbessert haben. Am anderen Ende des Themas Melanom wäre natürlich eine bundeseinheitliche Lösung der Primärprävention des Hautkrebses wünschenswert.
Von Kopfschuppen bis zur atopischen Dermatitis oder Acne inversa – dermatologische Erkrankungen haben gemeinsam, dass sie von außen sichtbar sind. Inwieweit wird bei der Therapie auch die psychische Komponente berücksichtigt?
Die psychische Komponente ist ein wichtiger Aspekt der ärztlichen Tätigkeit, sowohl bei dermatologischen Kollegen als auch bei Ärzten anderer Fachdisziplinen und medizinischem Fachpersonal. Das biopsychosoziale Krankheitskonzept ist ein entscheidender Baustein in der einfühlsamen Behandlung verschiedener dermatologischer Krankheiten. Die ÖGDV unterstützt diese Haltung durch seine Arbeitsgruppe Psychosomatik in der Dermatologie. Weiters können sogenannte „PSY-Diplome“ der Österreichischen Ärztekammer absolviert werden. Gerade bei Erkrankungen wie Psoriasis und Neurodermitis, bei denen die neuroimmunologische Achse eine Rolle spielt, kann die vertiefte Kenntnis dieser Zusammenhänge den Patienten helfen.
Die Coronakrise hat der Telemedizin und der Videosprechstunde noch einmal einen Schub gegeben. Welche Vorteile sehen Sie darin – welche Erfahrungen haben Sie bislang gemacht?
Generell ist die Digitalisierung der Medizin ein dynamischer und nicht umkehrbarer Prozess. Der Einbau dieser technischen Möglichkeiten in das Gesundheitssystem muss aber von uns Ärzten genau begleitet werden, damit nicht „techniklästige“, sondern patientenfreundliche Anwendungen entwickelt werden. Die Hoffnung, dass sich dadurch Einsparungen im Gesundheitssystem ergeben werden, ist jedoch trügerisch – das ergeben viele Untersuchungen aus Ländern, in denen die Telemedizin bereits stärker eingeführt ist.
Die Telemedizin kann beispielsweise dazu beitragen, ältere und gebrechliche Menschen möglichst lange in häuslicher Betreuung zu halten. Laufende Kontrollen von Beingeschwüren sowie von Gangmustern zur Sturzprävention sind neue nützliche telemedizinische Anwendungsgebiete.
Wir in Salzburg haben nach ersten Anfängen im Corona-Jahr 2020 nun im Sommer 2021 mit einer teledermatologischen Ambulanz begonnen.
Während sich für viele durch den Wegfall der Reisetätigkeit ein klarer Vorteil erkennen lässt, schmälert sich durch den Wegfall des echten Vor-Ort-Gespräches für die weniger technikaffinen Generationen der Wert der ärztlichen Betreuung.
Vielen Dank für das Gespräch!