Miktionsprotokoll als Behandlungsbasis

Die Ursachen der Enuresis sind multifaktoriell und letztendlich nicht komplett geklärt – pathogenetisch führen genetische/intrinsische Faktoren zu nächtlicher Polyurie oder persistierender Blasenüberaktivität. Vereinfacht gesagt handelt es sich um ein Missverhältnis zwischen der produzierten nächtlichen Harnmenge und der tatsächlichen Blasenkapazität des Kindes, kombiniert mit dem Unvermögen, die gefüllte Blase als adäquaten Weckreiz wahrzunehmen. Das Wichtigste in der Abklärung ist der Ausschluss zugrunde liegender urologischer, neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen.

Anamnese und klinische Untersuchung

Am Beginn jeder Behandlung muss eine ausführliche Anamnese stehen. Die Entwicklung des Kindes, allgemeine gesundheitliche Aspekte (Harnwegsinfekte, vorangegangene Operationen etc.), Beginn der Enuresis (primär vs. sekundär), begleitende Tagessymptomatik zur Differenzierung monosymptomatischer/nichtmonosymptomatischer Enuresis (z.B. imperativer Harndrang, Pollakisurie, Miktionsfrequenz), aber auch das Stuhlverhalten des Kindes müssen erfragt werden, da eine chronische Obstipation oft mit Enuresis einhergeht. Die Abklärung des sozialen Umfeldes und eventueller Verhaltensauffälligkeiten ist ebenfalls obligatorisch. Einer klinischen Untersuchung sollte eine Basisdiagnostik inkl. Harnanalyse und Sonografie (Niere, Unterbauch, Restharn) folgen, um organische Ursachen auszuschließen. Eine weiterführende Diagnostik ist in der Primärdiagnostik nicht notwendig und bleibt speziellen Fragestellungen vorbehalten. Bei Hinweisen oder Verdacht auf seelische Traumata ist unbedingt eine kinderpsychologische Betreuung hinzuzuziehen, vor allem bei der sekundären Form.

Miktionsprotokoll ist obligat

Ein wichtiger Bestandteil in der Diagnostik der Enuresis ist das Führen eines Miktionsprotokolls über zumindest 48 Stunden. Damit können die wesentlichen Punkte zuhause auf-gezeichnet werden. Die für die Therapie relevanten Parameter sind neben dem Trinkverhalten des Kindes die einzelnen Spontan-harnmengen in Relation zur erwarteten Blasenkapazität (normale erwartete Blasenkapazität in ml = [Alter + 1] × 30) und das Ausmaß der nächtlichen Polyurie, wenn vorhanden (nächtliche Polyurie = Nachtharnmenge > 130% der erwarteten Blasenkapazität). Die Nachtharnmenge kann durch Aufwecken des Kindes oder Abwiegen der Windel einfach bestimmt werden, wobei die erste Morgenharnmenge zur Nachtharnmenge gerechnet wird. Ein Miktionsprotokoll sollte unbedingt vor jeder Therapie durchgeführt werden.

Individuelle personalisierte Therapie

Enuresis ist eine belastende Situation für Kind sowie Familie und kann zu herabgesetztem Selbstwertgefühl, eingeschränkter Emotionalität und sozialem Rückzug führen. Daher sollte die Möglichkeit einer Therapie nach dem 5. Lebensjahr mit den Eltern diskutiert werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist immer die Motivation, sowohl vom betroffenen Kind als auch von der Familie. Kinder mit Enuresis sind keine homogene Gruppe und sprechen auf die Therapie unterschiedlich an. Daher gilt hier besonders, dass jedes Kind als einzigartig zu sehen ist und die Therapie immer individuell und personalisiert erfolgen muss.

Therapeutische Optionen

Die ersten Schritte einer erfolgreichen Therapie sind eine aufklärende Information zu geben, das Thema zu enttabuisieren, um Schuldzuweisungen zu vermeiden, und das Kind zur Mitarbeit zu motivieren.

Verhaltensmaßnahmen

Oft sind bereits allgemeine Verhaltensmaßnahmen wie Verlagerung der Trinkmengen in den Vormittag bzw. frühen Nachmittag, Vermeidung kohlensäurehaltiger Getränke oder Milch abends sowie komplette Blasenentleerung direkt vor dem Zubettgehen ausreichend. Wenn allgemeine Verhaltensmaßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg führen, kann eine weitere (medikamentöse) Therapie zielführend sein. Diese richtet sich nach der zugrunde liegenden Pathologie, die aus dem Miktionsprotokoll ersichtlich ist.

Alarmtherapie

Im Rahmen der Alarmtherapie wird der Weckreiz mittels Sensor an das Einnässen gekoppelt; dadurch kann die Miktion in weiterer Folge unterdrückt werden, bzw. das Einnässen wird vorübergehend in eine Nykturie umgewandelt, bis das Kind ganz durchschlafen kann. Bei entsprechender Motivation ist eine Erfolgsrate von bis zu 75 % nach einer 8–12-wöchigen Anwendungsdauer zu erwarten.

Medikamentöse Therapie

Die Gabe von Desmopressin (synthetisches Analogon von ADH) führt zu einer Reduktion der nächtlichen Harnproduktion – daher kommt es zum Einsatz, wenn sich im Protokoll eine nächtliche Polyurie zeigt. Die Dosierung erfolgt einschleichend, bis das Kind trocken oder die Maximaldosierung erreicht ist. Ist das Kind mit dieser Therapie trocken, so empfiehlt sich eine mehrmonatige Dauertherapie, bevor das Medikament wieder schrittweise reduziert wird. Rückfälle können vor allem bei zu abruptem Absetzen oder zu kurzer Therapiedauer auftreten. Die Gabe von Desmopressin als Nasenspray zur Behandlung der Enuresis ist obsolet! Zeigt sich im Protokoll eine zu geringe funktionelle Blasenkapazität oder stehen Symptome einer verzögerten Blasenreifung im Vordergrund (imperativer Harndrang, Pollakisurie, Inkontinenz), so sollte primär eine Therapie mit Anticholinergika begonnen werden.