„Mischen impossible“ − Arzneimittelinteraktionen in der Arztpraxis

Bei der Resorption, der Verteilung, der Umwandlung, der Ausscheidung und bei der Wirkung können Arzneistoffe durch andere Reaktionspartner beeinflusst werden. Mit Hilfe einer einfachen Formel lässt sich die Anzahl der maximal zu erwartenden Interaktionen berechnen:
I = (n2–n)/2

  • I steht dabei für die Anzahl möglicher Interaktionen,
  • n für die Anzahl der eingenommenen Medikamente. Bei sechs verschiedenen Medikamenten kann es bis zu 15 mögliche Interaktionen geben /(6 x 6 – 6) : 2 = 15 ), bei 10 Medikamenten bis zu 45!

Je älter, desto mehr

Zirka ein Fünftel aller über 60-Jährigen in Österreich nimmt 5 oder mehr Wirkstoffe pro Tag ein und betreibt damit Polypharmazie. Geschätzt 10–50 % dieser Patient:innen erhalten potenziell inadäquate Medikation (PIM), das heißt Arzneimittel, die ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis haben und für die es sicherere Alternativen gibt (Tab.). PIM-Verordnungen sind mit unerwünschten Ereignissen wie Stürzen, kognitiver Einschränkung oder vermehrten Krankenhausaufnahmen assoziiert.

Mut zum Absetzen ist gefordert

Ein Forscher:innenteam um Prof. Dr. Katharine Wallis vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Auckland, Neuseeland, befragte 24 Hausärzt:innen, ob sie die Therapiepläne regelmäßig überprüfen und auch Medikamente absetzen. Die befragten Ärzt:innen sahen ein, dass ein Absetzen von Medikamenten durchaus sinnvoll und notwendig sein kann, gaben aber auch an, dass dies eine große Hürde ist. Zu groß ist die Angst, die Patient:innen unterzuversorgen und ein:e „schlechte:r Ärzt:in“ zu sein. Bemängelt wurde auch, dass die Leitlinien ein Absetzen einer Medikation in den meisten Fällen gar nicht vorsehen. Die Ärzt:innen gaben an, dass eine große Unsicherheit in der Versorgung multimorbider Patient:innen besteht, was bei Mediziner:innen Ängste auslöst. Diese führen dazu, lieber mehr als weniger Medikamente zu verordnen.

PRISCUS und FORTA könnten helfen

PRISCUS (lat. altehrwürdig): Das Verbundprojekt hat zum Ziel, ein Modell gesundheitlicher Versorgung von älteren Menschen mit mehrfachen Erkrankungen zu entwickeln. Am Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie der Uni Witten-Herdecke wurde in der ersten Förderphase zunächst die PRISCUS-Liste entwickelt.
Die FORTA-Liste (Fit fOR The Aged) ist die erste Positiv-Negativ-Bewertung von Arzneimitteln zur Behandlung älterer Patienten und geht somit einen anderen Weg. Diese Liste gibt nicht nur die für ältere Patient:innen – wie in einer reinen Negativliste – untauglichen Arzneimittel an, sondern benennt auch die nachweislich nützlichen Arzneimittel und stellt somit auch eine Positivliste dar.

Kein Nutzen bei RIME

Als potenziell inadäquate Medikation (PIM) werden Arzneimittel bezeichnet, die bei älteren Menschen ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis haben und für die es sicherere Alternativen gibt. In der RIME-Studie (RIME, Reduction of potentially Inappropriate Medication in the Elderly) wurde untersucht, ob eine spezielle Schulung und die PRISCUS-Liste zu einer Reduktion von PIM und unerwünschten Arzneimittelinteraktionen bei älteren Patient:innen in hausärztlichen Praxen führen. Das ernüchternde Ergebnis war, dass weder eine Schulung der Ärzt:innen noch des gesamten Teams den Anteil von PIM-Verordnungen oder von Interaktionen bedeutsam senken konnte.
Eine Metaanalyse von Grey et al. von randomisierten kontrollierten Studien zur Reduktion von PIM-Verordnungen zeigte hingegen eine Minderung unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) um 21 %. „Eine erfolgreiche Implementierung dieser Interventionen in Gesundheitssysteme kann die Arzneimittelsicherheit bei älteren Patient:innen verbessern“, so die Autor:innen.

Achtung: unerwünschte Kombinationen!

Hausärzt:innen der Praxennetzwerke der Universität Witten/Herdecke und der Medizinischen Hochschule Hannover rekrutierten Patient:innen im Alter von mindestens 70 Jahren, die während der letzten drei Monate 6 oder mehr Arzneimittelwirkstoffe für die regelmäßige und langfristige Einnahme erhalten hatten.
Besonders häufig kam es zu folgenden unerwünschten Kombinationen und somit Interaktionen:

  • Sartane und NSAR
  • Sartane, NSAR und Diuretika
  • Thrombozytenaggregationshemmer/orale Antikoagulanzien und NSAR
  • Thrombozytenaggregationshemmer und orale Antikoagulanzien
  • mehr als ein Thrombozytenaggregationshemmer

Vorsicht mit Blutverdünnern!

Von einer internationalen Expert:innenrunde wurden zahlreiche zu vermeidende Interaktionen zusammengestellt, z. B. die Kombination von oralen Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern mit nichtsteroidalen Antirheumatika oder die gemeinsame Einnahme von Renin-Angiotensin-Aldosteron-System-(RAAS-)Blockern, NSAR und Diuretika mit dem Risiko einer Niereninsuffizienz.

Ethik und Monetik

Im Vergleich zeigen Studien, die in Bezug auf die Verbesserung der Medikation wirksam waren, vor allem Unterschiede in der Intensität der Intervention. Die DQIP-Studie fokussierte auf die Identifikation von Patient:innen mit Hochrisikoverordnungen von Antithrombotika und/oder nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), die ein erhöhtes Risiko von unerwünschten Arzneimittelwirkungen haben (gastrointestinale Blutungen, akutes Nierenversagen, Herzinsuffizienz). Zusätzlich umfasste die Intervention noch einen „educational outreach visit (EOV)“, d. h. eine einstündige von einem Apotheker durchgeführte Fortbildungsveranstaltung, sowie einen finanziellen Anreiz für eine durchgeführte Medikationsanalyse pro Patient:in mit Hochrisikoverordnung, die durch das IT-Tool identifiziert wurden. Diese Maßnahmenkombination reduzierte die gleichzeitige Verordnung von NSAR und Thrombozytenaggregationshemmern ohne Gastroprotektion von 1,5 % auf 0,6 % sowie die Zahl der Krankenhausaufnahmen bei Risikopatient:innen.

Fazit

Es besteht weiterhin die Frage: „Woran liegt es, dass sich trotz valider, übersichtlicher und kostenfreier Programme die Zahl der PIM-Verordnungen und/oder Arzneimittelinteraktionen nicht senken lässt? Liegt es am Zeitmangel, an fehlenden finanziellen Anreizen oder an Softwareproblemen? Es bedarf wohl weiterer Untersuchungen, um diese Frage zu klären.