Am Neujahrsabend 2020 einigten sich die Volkspartei und die Grünen auf ein gemeinsames Regierungsprogramm. Die erste türkis-grüne Regierung ist fix, mit Rudolf Anschober gibt es erstmals einen grünen Gesundheitsminister. Zu Tagesbeginn hatte auch die neue Österreichische Gesundheitskasse ihre Arbeit aufgenommen. Und irgendwann am Nachmittag lief – kaum bemerkt – eine andere Meldung über die Agenturen: Die Gesundheitskommission der zentralchinesischen Metropole Wuhan berichtete vom Ausbruch einer mysteriösen Lungenkrankheit: 27 Erkrankte wurden vorerst identifiziert. Es war der Beginn der bisher größten Pandemie seit der Spanischen Grippe und wird die Welt das ganze Jahr über in Atem halten.
Auch Anschober hat sich sein erstes Jahr als Minister anders vorgestellt. Gefragt nach den Lichtblicken der abgelaufenen 12 Monate stellt er dennoch die Pandemie ins Zentrum: „Das gesamte Gesundheitspersonal in Österreich leistet immer Außerordentliches – heuer war und ist die Herausforderung aber besonders extrem“, sagt Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Die Gesundheitspolitik sei im abgelaufenen Jahr von Zusammenhalt geprägt gewesen – „vom Verständnis, dass wir uns selbst schützen, indem wir andere schützen. So viel Großartiges wurde geleistet, damit wir gut durch diese Krise kommen.“ Das war und sei eine Mammutaufgabe, die auch die Mithilfe aller benötigte, die in Österreich leben. Der Minister hat zum Jahresende aber auch weiterhin mahnende Worte parat: „Die positiven Ereignisse finden aber auch mit kleinen Maßnahmen täglich statt, beim Maskeaufsetzen, beim Abstandhalten, bei der Unterstützung Älterer und bei der aktiven Teilnahme – und in naher Zukunft auch bei den Impfmaßnahmen. Es ist eine schwierige Zeit, doch zeigt sie, dass wir miteinander ein starkes Gesundheitssystem garantieren.“
Auch Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen und der Wiener Ärztekammer, blickt auf den Umgang mit der Pandemie zurück: „Dieses so extrem schwere Jahr 2020 hat uns vieles über uns selbst gelehrt: Wir haben gesehen, wie groß der Einsatz der österreichischen Ärztinnen und Ärzte für ihre Patientinnen und Patienten ist und dass sich die Bevölkerung auch in schweren Zeiten immer darauf verlassen kann. Dafür gebührt jeder und jedem einzelnen von ihnen höchster Dank.“ Die Pandemie habe auch klar vor Augen geführt, welche Stärken und Schwächen das Gesundheitssystem aufweist. Szekeres: „Wie wichtig unser Kampf gegen Einsparungen im Gesundheitsbereich ist, wurde deutlich sichtbar. Selbst Kritiker waren am Ende froh über die Ressourcen, die sie vorher so gerne zusammengestrichen hätten. Lernen können wir auch, wie sehr wir uns auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene von der weltweiten Abhängigkeit bei Medizinprodukten und Arzneimitteln emanzipieren müssen. Für die Zukunft wird es entscheidend sein, dass wir uns weiter für unser Gesundheitssystem und die Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten stark machen.“
Daran knüpfen auch Pharma- und Medizinproduktehersteller an. „2020 ist die Medizinprodukte-Branche in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt – mit all ihrer Expertise und ihren produktbegleitenden Dienstleistungen“, sagt Austromed-Geschäftsführer Mag. Philipp Lindinger. Trotz aller Widrigkeiten habe die heimische Medizinprodukte-Branche bewiesen, dass Versorgungssicherheit oberste Priorität habe und nicht nur ein Stichwort ist. „Grundvoraussetzung zu deren Gewährleistung ist, dass die Rahmenbedingungen entsprechen.“ Aus Sicht des Pharmaverbandes Pharmig waren zwei gesundheitspolitische Ereignisse besonders prägend: die neue Rolle, die der pharmazeutischen Industrie in diesem Jahr zugekommen ist, und „das neue Maß an Kooperation auf allen Ebenen, sowohl in der Industrie als auch in der Politik“, sagt Pharmig-Generalsekretär Andreas Herzog. „Die pharmazeutische Industrie ist Weichenstellerin im Weg aus der Pandemie. Das führt vor Augen, welche wertvolle Rolle wir in der Gestaltung des Gesundheitswesens haben. Wir nehmen diese Rolle auch mit der allergrößten Verantwortung wahr.“
Die Stärke des Gesundheitssystems loben auch die Spitzen der heimischen Sozialversicherung. „Erfreulich war, dass wir gesehen haben, dass unser Gesundheitssystem mit allen Lücken, die es nach wie vor aufweist, für die Corona-Pandemie gut aufgestellt ist“, sagt ÖGK-Obmann Andreas Huss. „Wir wurden aber auch sensibler, was Versorgungslücken betrifft. So wurde die Notwendigkeit des Ausbaus, etwa der psychosozialen Versorgung, erkannt, und es wurden erste wichtige Schritte gesetzt“, sagt Huss. Positiv ist für ihn, dass die große gesellschaftliche Bedeutung von Berufen in der Gesundheitsversorgung wiedererkannt wurde. „Leider fehlt es bei manchen Berufen wie in der Pflege nach wie vor an der finanziellen Anerkennung und an Rahmenbedingungen, die eine langjährige Ausübung dieses wichtigen Berufes ermöglichen.“ Ähnlich argumentiert auch Dachverbandsvorsitzende Mag. Ingrid Reischl: „Unser Gesundheitssystem wurde und wird heuer einem noch nie dagewesenen Stresstest unterzogen. Bei allen aktuellen Problemen, etwa bei der intensivmedizinischen Versorgung, aber auch bei der hohen Belastung unseres Gesundheitspersonals muss man doch darauf stolz sein, was unser Gesundheitssystem bewältigen kann. Dementsprechend zeigt sich für mich damit einmal mehr die hohe Relevanz einer starken öffentlichen Gesundheitsversorgung, die für alle da ist. Und zwar unabhängig von der Größe ihrer Geldbörse.“ Man habe in anderen Ländern gesehen, was zu viel Spardruck im Sozial- und Gesundheitsbereich anrichten kann, und dürfe auf keinen Fall den gleichen Fehler machen, sagt Reischl.
Lindinger sieht auch die heuer angelaufene Umsetzung der Sozialversicherungsreform mit dem Start der ÖGK als Nachfolger der neun Gebietskrankenkassen. „Hinsichtlich der Umsetzung der Sozialversicherungsreform wird die Harmonisierung der Leistungen über Bundesgebiete hinweg eine wesentliche Erleichterung bringen. Diesbezüglich werden wir auch weiterhin unsere Forderungen in Hinsicht auf transparente, nachvollziehbare und verbindliche Erstattungsprozesse einbringen.“