Wenn wir den Bedarf einer Migräneprophylaxe erkennen, dann wissen wir alle, dass wir durch die Einführung der sogenannten monoklonalen CGRP-Antikörper 2018 eine Art Stufenplan gemäß eines Regeltextes beachten, der besagt, dass wir vor Einleitung einer spezifischen Prophylaxe mit monoklonalen CGRP-Antikörpern drei Vertreter herkömmlicher Substanzklassen verordnet haben müssen, oder aber es bestehen Kontraindikationen oder es mussten die Therapieversuche mit herkömmlichen Substanzklassen wegen unerwünschter Nebenwirkungen abgebrochen werden.
So weit so gut. Betrachten wir jedoch die herkömmlichen Substanzklassen genauer, so sprechen wir hier von Betablockern wie Metoprolol und Propranolol, vom Antidepressivum Amitriptylin, von Antikonvulsiva wie Topiramat und Valproinsäure und auch etwas über Sartane. Bei der chronischen Migräne sprechen wir auch von Onabotulinumtoxin A (Abb.).
Lassen Sie uns konkret eine 20-jährige Patientin besprechen, deren Migränetagefrequenz mittlerweile bei 6–7 pro Monat liegt. Sie ist ohne weitere Begleiterkrankungen und klagt bei näherem Nachfragen über eine Neigung zu orthostatischer Dysregulation. Jetzt sehen wir uns die Möglichkeiten der herkömmlichen Substanzklassen genauer an und würden uns wahrscheinlich nicht an einen Therapieversuch mit einem Betablocker wagen. Angst vor Übergewicht stellt oft eine relative Kontraindikation zur Einnahme von Amitriptylin dar. Übrig bleiben damit Topiramat und Valproinsäure. An dieser Stelle darf erwähnt werden, dass für Topiramat seit Kurzem ein Rote-Hand-Brief für Frauen im gebärfähigen Alter existiert, weswegen ein Addendum der DGN-Leitlinien erstellt wurde, das besagt, dass bei Verordnung von Topiramat bei Frauen im gebärfähigen Alter gewährleistet sein muss, dass diese einen doppelten Verhütungsschutz – mechanisch und medikamentös – vorweisen müssen. In Deutschland muss dies sogar durch behördliche Dokumente erfasst werden. Die Patient:innen müssen unterschreiben, dass sie aufgeklärt wurden und für diesen Barriereschutz Sorge tragen. Valproat ist ebenso obsolet für Frauen im gebärfähigen Alter aufgrund der auch hier vorhandenen Teratogenität. Das heißt, wir landen bei dieser Patientin sehr rasch bei der Verordnung eines monoklonalen CGRP-Antikörpers, was aus medizinischer Sicht ja grundsätzlich wunderbar ist.
Zwischen den einzelnen monoklonalen CGRP-Antikörpern, von denen wir in Österreich 4 seit Jänner 2023 am Markt zur Verfügung haben, lässt sich nach indirekten Vergleichsstudien kaum eine Unterscheidung in der Wirksamkeit treffen. Was sich bestätigen ließ, ist, dass unter Erenumab vermehrt Obstipation auftritt, aber ansonsten zeigte sich zwischen diesen 4 Antikörpern kaum ein Unterschied, abgesehen von der Darreichungsform: Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab stehen als subkutane Version zur Verfügung, die alle 28 Tage bzw. monatlich oder wie bei Fremanezumab in der dreifachen Dosis quartalsweise selbst durch die/den Patient:in verabreicht werden kann. Mit Eptinezumab 100 mg haben wir eine quartalsweise als Infusion zu verabreichende Variante, die einen äußerst raschen Wirkungseintritt hat.
Drei Monate nach der fachärztlichen Erstverordnung sollte die Wirksamkeit des Präparats beurteilt werden. Hier gilt als Ziel eine über 50%ige Reduktion der Migränetage pro Monat und vor allem eine Verbesserung der Lebensqualität, die in der Praxis eher nicht anhand komplexer Fragebögen, sondern durch individuelle Angaben der Patient:innen beurteilt wird. Generell ist es so, dass wir heutzutage trotz fehlender wissenschaftlicher Datenlage die Kombinationen von monoklonalen CGRP-Antikörpern mit herkömmlichen Substanzen als nützlich betrachten. Vor allem dann, wenn Komorbiditäten wie z. B. eine Schlafstörung oder eine Depression vorhanden sind, wo sich Nebenwirkungsprofile von z. B. Amitriptylin bestens auch zur Behandlung dieser Symptome oder Erkrankungen eignen. Bezüglich der Wirksamkeit zeigt sich, dass die monoklonalen CGRP-Antikörper auch zu einer Reduktion der Anzahl eingenommener Akutmedikamente führt, was die Lebensqualität der Patient:innen steigert. Generell bestehen zwischen den monoklonalen CGRP-Antikörpern und sämtlichen Akutmedikamenten keinerlei Wechselwirkungen, sodass hier keine Einschränkung bei Vorhandensein beider Therapieansätze gegeben ist.
Rimegepant, ein sogenanntes kleines Molekül mit dem Ziel, CGRP zu blockieren, ist seit April 2022 in Österreich als Prophylaxe ebenso zugelassen und kann in einer Dosierung von 75 mg jeden 2. Tag eingenommen werden. In indirekten Vergleichsstudien zeigt es sich in der Wirksamkeit, die Migränetage um 50 % zu reduzieren, gegenüber den monoklonalen CGRP-Antikörpern etwas unterlegen. Wo es von Vorteil sein könnte, ist bei Frauen mit Kinderwunsch, da es durch die kürzere Halbwertszeit besser steuerbar ist. Hier sei erwähnt, dass Rimegepant und CGRP-Antikörper in der Schwangerschaft nicht zugelassen sind. Die Problematik bei Rimegepant in Österreich ist der „No Box“-Status. Das heißt, die Patient:innen können sich das Präparat selbst kaufen, oder aber es muss für die Erstattung eine chefärztliche Bewilligung eingeholt werden – dies ist in Einzelfällen möglich. Ein weiteres Problem stellt der Lieferstopp von Flunarizin in Europa dar, da es vor allem für Kinder eine der wenigen Optionen ist, eine medikamentöse Prophylaxe durchzuführen.
Behandeln Sie stets individuell, beachten Sie Rote-Hand-Briefe, bedenken Sie die rein gesundheitsökonomischen Aspekte von Regeltexten bei der Verordnung von monoklonalen CGRP-Antikörpern, denn medizinisch betrachtet sind diese als erste Wahl anzusehen. Valproinsäure hat nun auch für Männer einen Rote-Hand-Brief und sollte drei Monate vor der geplanten Zeugung eines Kindes nicht mehr verordnet werden, sodass auch hier eine Einschränkung vorhanden ist. Und bedenken Sie bitte, dass Sie es mit Patient:innen zu tun haben, die mitten im Leben stehend in der Versorgung von Kindern, im Karriereaufbau und damit voll im Berufsleben, in Partnerschaften, sozialem Leben etc. jede Art von Unterstützung brauchen, um ihre Lebensqualität zu erhalten bzw. zu verbessern.