Multiple Sklerose (MS), eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems mit dem Risiko einer bleibenden Behinderung, ist in den letzten 30 Jahren wirksam behandelbar geworden. Die wesentlichste Säule der MS-Therapie ist die sogenannte „krankheitsmodifizierende Intervalltherapie“ (DMT). Heute steht erfreulicherweise eine Vielzahl von DMT-Medikamenten zur Verfügung, wodurch MS-Patienten und deren behandelnden Neurologen oft die „Qual der Wahl“ haben.
MS ist weiterhin nicht heilbar, allerdings gelingt es mit effektiven DMT in vielen Fällen, ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. Dies stellt auch das wesentlichste Ziel der Therapie dar, muss jedoch immer gegen das Risiko DMT-assoziierter Nebenwirkungen abgewogen werden.
Die Auswahl der DMT beruht primär auf der Zuordnung zu einer der unterschiedlichen klinischen Verlaufsformen der MS. Dabei werden die schubförmige MS (RMS) sowie die primär bzw. sekundär progrediente MS (PPMS bzw. SPMS) unterschieden. Innerhalb dieser Verlaufsformen erfolgt noch die Unterteilung in milde/moderate und (hoch-)aktive Verlaufsformen (Tab.).
Diese Zuordnung ist jedoch niemals endgültig, sondern vielmehr eine Momentaufnahme, die regelmäßig zu reevaluieren ist.
DMT unterscheiden sich nicht nur in ihrer Effektivität und ihren Risiken und Nebenwirkungen, sondern auch in der Verabreichungsform (oral, subkutane/intramuskuläre Selbstinjektion, intravenös) und -frequenz (kontinuierlich [täglich bis halbjährlich] vs. gepulst).
Von elementarer Bedeutung für eine optimale DMT-Auswahl müssen neben MS-Verlaufsform/Aktivität und DMT-Eigenschaften noch viele andere klinische (z. B. Alter, Vor- und Begleiterkrankungen) und persönliche Einflussfaktoren (z. B. Lebensplanung, Risikobewusstsein etc.) berücksichtigt werden.
Ein wesentlicher Aspekt betrifft die Familienplanung, da Schwangerschaften bei MS-Patientinnen zwar grundsätzlich möglich sind und per se kein erhöhtes Risiko mit sich bringen, jedoch abhängig von den unterschiedlichen DMT entsprechend geplant und vorbereitet werden sollten.
Neue Option: Für die Behandlung einer RMS stehen mit Abstand die meisten DMT-Optionen zur Verfügung, wodurch die individuelle Auswahl hier am komplexesten ist. Seit Kurzem stehen nun auch Therapieoptionen für die progredienten Verlaufsformen (PPMS/SPMS) zur Verfügung. Diese sind zwar leider in Bezug auf Effektivität und Anzahl der Optionen noch nicht auf dem Niveau der RMS-Therapie, ermöglichen aber zumindest für einen Teil dieser Patientengruppe erstmals eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufes. Es ist dabei wichtig, dass die Wirksamkeit der DMT mit zunehmendem Alter und zunehmendem Ausmaß des Krankheitsfortschrittes abnimmt, während das Risiko schwerer Nebenwirkungen/Therapierisiken zunimmt. DMT sind daher keineswegs für sämtliche MS-Patienten geeignet oder sinnvoll, sondern die Indikation muss jeweils in der individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung gestellt und auch im Rahmen des Therapiemonitorings regelmäßig reevaluiert werden.
Das Therapiemonitoring umfasst drei wesentliche Aspekte:
Dieses Monitoring obliegt in Österreich zertifizierten MS-Zentren, basiert auf neurologischen Verlaufskontrollen in einem Intervall von drei bis sechs Monaten und muss verpflichtend im MS-Therapieregister der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie dokumentiert werden. Bei diesen Kontrollen muss eine detaillierte Dokumentation von Effektivität, Sicherheit und Adhärenz erfolgen, welche die Basis für die weitere Therapieentscheidung (Beibehaltung, Eskalation oder Beendigung der aktuellen DMT) darstellt.
Die Effektivität einer DMT wird anhand des Erreichens bzw. Nichterreichens von definierten und realistischen Therapiezielen beurteilt. Das primäre langfristige Therapieziel besteht in der Verhinderung bzw. Verzögerung einer Zunahme der Behinderung und einer Minimalisierung der krankheitsbedingten Einschränkung im persönlichen und beruflichen Alltag.
Da das Erreichen dieses Langzeitziels praktisch nicht abgewartet werden kann, bedient man sich verschiedener Parameter der Krankheitsaktivität (sogenannte „Surrogatmarker“), deren Bestimmung über eine kürzere Beobachtungszeit die langfristige Effektivität vorhersagen soll. Typische klinische Surrogatmarker einer Krankheitsaktivität sind Krankheitsschübe und Zunahme der Behinderung im Zeitverlauf von 6 bis 12 Monaten. Diese werden durch paraklinische Marker ergänzt, primär durch den Nachweis neuer Läsionen im MRT von Gehirn und Rückenmark.
Therapieziele im Wandel: Die Zielsetzung entwickelt sich deutlich in Richtung einer Unterdrückung der Krankheitsaktivität unter die Schwelle der Nachweisbarkeit. Sobald dieses Ziel nicht erreicht wird, sollte jedenfalls eine Umstellung der DMT auf eine effektivere Option evaluiert werden.
Das Grundprinzip der verschiedenen DMT beruht immer auf einer Immunmodulation oder einer Immunsuppression, die abhängig vom Wirkmechanismus passager oder dauerhaft sein kann. Daraus lassen sich die wesentlichsten Aspekte des Monitorings hinsichtlich potenzieller Risiken und Nebenwirkungen ableiten: Blutbildveränderungen, das Risiko schwerer (opportunistischer) Infektionen und Malignome.
Sicherheit der DMT: Im Detail sind die Vorgaben zum Sicherheitsmonitoring in den jeweiligen Fachinformationen und publizierten Experten-Statements aufgeführt. Das Auftreten von schweren Nebenwirkungen oder eine im Rahmen des Monitorings auftretende Änderung der Risikokonstellation sollte jedenfalls eine individuelle Reevaluierung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses nach sich ziehen.
Neben der Observanz von Effektivität und Sicherheit einer DMT kommt dem Monitoring der Adhärenz von Patienten zu ihrer jeweiligen DMT eine entscheidende, aber oft unterschätzte Bedeutung zu. Das Therapiekonzept einer DMT impliziert die Anwendung über viele Jahre, daher ist die Adhärenz ein kritischer Faktor des Therapieerfolges. Für viele Patienten stellt das Verständnis bzw. die Akzeptanz dieses Konzeptes eine große Herausforderung dar, da der positive Effekt für Patienten nicht unmittelbar spürbar wird, während mögliche Nebenwirkungen und der Aufwand des Therapiemonitorings ständige – oft lästige – Begleiter sind. Dies führt häufig dazu, dass Patienten mit zunehmender Therapiedauer Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit ihrer DMT hinterfragen. Eine der wesentlichsten Aufgaben behandelnder Neurologen liegt daher in der kontinuierlichen Bestärkung der Patienten in ihrer Therapieadhärenz. Die Grundlage dafür bildet eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung. Auf dieser Basis sollten Aspekte der Langzeittherapie bzw. deren realistischen Ziele bereits im Rahmen der Aufklärung für die erste DMT-Auswahl klar und verständlich kommuniziert und diskutiert werden. Eine aktive Einbeziehung von Patienten in die Wahl der DMT steigert die Adhärenz dabei nachweislich. Unter laufender DMT sollten bei den Kontrolluntersuchungen aktiv Probleme in der regelmäßigen Anwendung der DMT erfragt und Lösungsansätze besprochen werden.
Nicht weniger wichtig ist die Adhärenz von Patienten in der Einhaltung des Sicherheitsmonitorings, um therapieassoziierte Risiken zu minimieren bzw. zu verhindern. Auch hier sind die vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung und eine entsprechend verständliche und ausführliche Aufklärung von essenzieller Bedeutung.