Geht man bei der multiplen Sklerose (MS) von einem entzündlichen und einem degenerativen Aspekt aus, steht die degenerative Komponente unter Umständen bei Männern etwas mehr im Vordergrund. Dies zeigt sich in häufigeren Läsionen in strategisch ungünstigen Lokalisationen wie dem Kleinhirn sowie in mehr Atrophie, die mit einer ungünstigen Prognose im Hinblick auf Kognition und Motorik korrelieren kann. Bei Männern ist auch die primär progrediente MS etwas häufiger als bei Frauen. Umgekehrt können besonders bei jungen Frauen öfter Schübe auftreten.
Während Buben und Mädchen gleich häufig von MS betroffen sind, ändert sich die Verteilung bereits in der Pubertät zu Ungunsten des weiblichen Geschlechts. Erst bei einem MS-Beginn jenseits des 50. Lebensjahres ist die Prävalenz wieder annähernd gleich verteilt. Die Schubhäufigkeit ist bei jungen Frauen durchschnittlich am höchsten ausgeprägt, verringert sich während der Schwangerschaft und nimmt im Puerperium wieder zu, woraufhin sie in der Menopause wieder abnimmt. Im Gegensatz dazu steigt das Risiko einer Krankheitsprogression mit zunehmendem Alter.
Präzisionsmedizin findet bei der MS besonders beim Thema Kinderwunsch Anwendung. Nicht nur der MS-Verlauf, sondern auch das Alter und die aktuelle Lebenssituation der Frau sollen bei der Wahl der MS-Therapie berücksichtigt werden. Mittlerweile gibt es einige Therapieoptionen, die bei einer geplanten Schwangerschaft auch das Schubrisiko vermindern. So soll das Thema Kinderwunsch bei allen Frauen im gebärfähigen Alter bei MS-Neudiagnose in die Beratung miteinfließen. Patientinnen möchten wissen, ob MS die Fruchtbarkeit und Schwangerschaft beeinflusst, wie es um Schubrisiko, Medikation und Stillen bestellt ist, und wie sie ihre Kinder trotz einer Beeinträchtigung versorgen können. Darüber hinaus sind Schwangerschaftsverhütung und Sexualfunktionsstörungen weitere wichtige Themen in der Beratung. Hinsichtlich Fragen zum Geburtsmodus, zur Postpartalperiode, zum Stillen und zur MS-Therapie nach der Geburt gibt es im AKH Wien eine gut funktionierende Kooperation zwischen MS-Spezialist:innen und dem gynäkologischen Bereich. Spielt ein potenzieller Kinderwunsch aufgrund des Alters keine Rolle mehr, werden zunehmend Themen wie Komorbiditäten wichtig.
Da orale Kontrazeptiva das Risiko, eine MS zu bekommen, nicht erhöhen und auf den Verlauf der MS keinen Einfluss haben, besteht kein Einwand gegen die Verwendung oraler Kontrazeptiva.
Während eine Schwangerschaft bei Frauen mit Neuromyelitis optica oder Myasthenie u. U. einen negativen Einfluss auf die Erkrankung ausüben kann, bewirken antiinflammatorische Effekte bei MS-Patientinnen im Schwangerschaftsverlauf meist eine Reduktion der Schubrate. Frauen, die Kinder gebären, weisen kein höheres Risiko auf, ein erstes demyelinisierendes Ereignis zu entwickeln, als kinderlose Frauen.
Hinweise auf die positive Auswirkung einer Schwangerschaft auf die langfristige Entwicklung einer MS finden sich in einigen Arbeiten. So haben Frauen mit Geburten durchschnittlich eine längere Dauer bis zum Erreichen eines höheren EDSS-Scores als jene ohne Geburten. Anti-CD20 Therapien führen zu einer langanhaltenden Stabilität der MS. Daher können sie mit einem gewissen zeitlichen Abstand zur Empfängnis angewendet werden.
Die meisten krankheitsmodifizierenden Therapien (DMT) sind in der Schwangerschaft eingeschränkt bzw. nicht zugelassen. Nach Abwägen von Risiko und Nutzen können jedoch bestimmte medikamentöse Therapien in der Schwangerschaft fortgeführt werden. Zu den Empfehlungen laut MSTKG-Positionspapier zählen: