Nach der Begrüßung und Einführung durch die ÖGPAM-Präsidentin Barbara Hasiba wurde der Impulsvortrag von Marian Smetana zum Thema „Wege aus der (gesundheits-)politischen Krise. Gesellschaftliche Long-COVID-Symptome schon jetzt bekämpfen.“ gehalten.
Als für die Innenpolitik zuständiger Redakteur der Salzburger Nachrichten betonte er, dass in Pandemie-Zeiten die eigentlich sehr individualistische Gesellschaft nur durch ein Gefühl der Gemeinschaft wieder aus der Krise herausfindenkann. Der anfangs spürbare Zusammenhalt in der Gesellschaft bröckelte jedoch rasch, auch aufgrund mangelnder politischer Vorbereitung auf die Pandemie-Situation und des Versagens der Krisenkommunikation. Dies hinterließ ein Vakuum, in dem unterschiedlichste Akteur:innen dann im politischen Wettbewerb ihre „Glaubensfragen“ und „Verschwörungstheorien“ verbreiten konnten. Das Corona-Virus wurde schnell vom Naturphänomen zum „Parteiprogramm“, besonders divers kommuniziert am Beispiel der „Öffnungsschritte“. Das Vertrauen in die österreichische Regierung muss jetzt durch die laut Umfrage erhobenen 4 Wünsche der Bevölkerung (Umsetzung, Ehrlichkeit, Transparenz, Fehlerkultur) wieder gestärkt werden. Außerdem sollte eine Befreiung aus den sogenannten „Echo-Kammern“ der sozialen Medien stattfinden, nur dann können gesellschaftliche Phänomene auch nach Beendigung dieser Pandemie gemeistert werden. Die „Zersplitterung“ in unserer Gesellschaft zeigt auf, wie zerbrechlich unsere „Lebenswelt“ ist, und stellt uns vor die Frage, wie wir uns dieser Herausforderung stellen können.
In der anschließenden Diskussion wurde das Auseinanderdriften innerhalb unserer Gesellschaft auch als mögliche Diskussionsgrundlage für Diversifikation gesehen. Individuelle Schutzmechanismen sind nötig, um für jede:n Einzelne:n einen Weg aus der Krise zu ermöglichen.
Durch das weitere Vormittagsprogramm führte Ursula Doringer und stellte die Referent:innen, alle Vorstandsmitglieder der ÖGPAM, vor, die zu den beiden Themenblöcken „Haltung in der Krise“ und „Was mir Kraft gibt“ Gedanken, Erfahrungen, Erlebtes und Erlesenes vortrugen.
Die EMPATHIE, so Bernhard Panhofer, ist von Geburt an angelegt, kann aber wie ein Muskel trainiert werden (T. Singer) und ist Voraussetzung für Mitgefühl, das mit sozialem Handeln verbunden ist. Eine empathische Person kann das eigene Selbst beiseitelegen, um Fürsorge zu übernehmen, aber jederzeit zu sich selbst zurückkehren (C. Rogers).
Zum Thema GELASSENHEIT und ZORN erzählten Elisabeth Wejbora und Johanna Leitner von einem Gespräch mit einem erzürnten Patienten und warfen die Frage auf, wie es uns Ärzt:innen in solch heiklen Situationen gelingen kann, eine unvoreingenommene Haltung zu bewahren und dieser starken Gemütsbewegung maßvoll zu begegnen. Der „heilige Zorn“ aber ist gegen Ungerechtigkeiten gerichtet und kann sogar in positive Energie umgewandelt werden.
Die RESILIENZ, so Thomas Jungblut, ist Voraussetzung für das Gedeihen von Leben und bedarf einer guten Problemlösungsfähigkeit, die durch die Pandemie massiv gestört wurde. Anhand einer sehr beeindruckenden Fallgeschichte stellte er die Sichtweise der Pathogenese, der Fehlerfahndung, einer salutogenetischen Haltung, der Schatzsuche, gegenüber.
Den Begriff der RESIGNATION erklärte Reingard Glehr mit vielen Beispielen aus der Literatur als „eine menschliche Haltung des Sichfügens in einer unausweichlichen Situation“. Neben der destruktiven Resignation, die Begriffe wie Rückzug, Hoffnungslosigkeit und Unterwerfung mit sich bringt, gilt Resignation in der Philosophie auch als Instrument der Reflexion, als Chance für einen Neubeginn. Nach Viktor Adler gehört Resignation zu einem realistischen Weltbild, dessen Einsicht Stärke bedarf, aber Mut gibt, das zu ändern, was man ändern kann. Resignation kann helfen, Zorn zu vermeiden, kann Ruhe und ein Gefühl der Überlegenheit schenken. Ein guter Vorrat an Resignation ist überaus wichtig als Wegzehrung für die Lebensreise (Arthur Schopenhauer), doch nichts ist erbärmlicher als die Resignation, die zu früh kommt (M. Ebner-Eschenbach).
Herbert Bachler führte als Ursachen für die AGGRESSION, die in Pandemiezeiten gegenüber Ärzt:innen und Pflegepersonal, aber auch in privaten Bereichen deutlich zugenommen hat, die eigene Entwicklungsgeschichte, Verlustängste, das Gefühl von Ausgeliefertsein und Hilflosigkeit an.
Renate Hoffmann-Dorninger zitierte Clemens Sedmak, für den GESCHICHTEN und WOHLWOLLEN gemeinsam mit Stille und Schönheit zu den vier „Seelennahrungsmitteln“ gehören. Wir Ärzt:innen teilen Metaphern und Geschichten mit unseren Patient:innen (M. Erickson) und öffnen damit Türen für Veränderung, denn die Bilder sind die Sprache des Unbewussten.
Daran schließt Benedikt Hofbaur zum Thema BEZIEHUNGEN mit einer berührenden Fallgeschichte einer schwerkranken Patientin aus seinem Praxisalltag an.
Für Barbara Degn gehörte die STILLE zu den Kraftspendern, ein „Luxus“, den man sich viel öfter gönnen sollte, das Bedürfnis danach entwickle sich jedoch erst im Laufe des Lebens. Zu viel Stille kann aber auch Einsamkeit bedeuten und bedrohlich wirken.
Die SCHÖNHEIT stellte für Reinhold Glehr eine wichtige Quelle der Freude dar, aus der man immer wieder Kraft schöpfen kann, für die wir aber bei Angst, Schmerz und Erschöpfung nicht immer offen seien. Sobald die Schönheit der Natur, Musik, guter Gespräche keine Empfindungen mehr auslösen könne, sei es notwendig, die Depression mit Hilfe von außen zu bekämpfen.
Auf die MUSIK als MUTTER des TROSTES (Elias Canetti) sei auch dann Verlass, wenn Sprache verstumme und Gesten unglaubwürdig würden. Andrea Bitschnau-Friedl erzählte, dass das Summen von Wiegenliedern am Beginn der Musikgeschichte stand und nach Trost verlangt werde, wenn das Helfen nicht mehr helfe. Musik und Trost seien wesensverwandt, indem beide den Raum der Gefühle nützten. Musik könne uns von Zeit und Selbstgegenwart befreien und Trost fühlbar machen.
Am Nachmittag legte Präsidentin Barbara Hasiba im ersten Teil ihres Vortrages „Die ärztliche Haltung bei Suizidalität – von der Suizidprävention zum assistierten Suizid“ den Fokus auf die Prävention. Die ärztliche Intention sei es, durch Gespräche, mit Fragen und Kommentaren, Suizid abwenden zu können. Dafür seien explorierende Fragen und die Berücksichtigung der Gestimmtheit, Auftragsklärung und Beziehungsgestaltung mit den Pa-tient:innen, aber vorrangig auch der Selbstreflexion und Beachtung der eigenen Gefühlslage zu diesem Thema notwendig. Suizidgedanken würden eine Wahlmöglichkeit für Entscheidungen eröffnen, einen Ausweg aus unwägbaren Situationen zu schaffen – das ärztliche Signal „Ich kann es nicht für Sie entscheiden, ich persönlich würde mich freuen, wenn Sie sich fürs Leben entscheiden.“ lässt Neutralität zu und schafft Beziehung zum:zur Patient:in. Anhand zahlreicher Beispiele zeigte Barbara Hasiba auf, dass erst nach Herausarbeiten der Motive für Suizidgedanken im momentanen Lebenskontext des:der Patient:in gemeinsam nach alternativen Lösungen gesucht werden könne.
Im zweiten Teil wurde die Notwendigkeit betont, angesichts des neuen Sterbeverfügungsgesetzes unsere ärztliche Haltung zum assistierten Suizid in Fort- und Weiterbildungen zu überdenken. Nach Bilanzierung des bisherigen Lebens sei nun die Möglichkeit zur Selbstbestimmung gegeben, sich für das Leben oder den Tod zu entscheiden. Oft geht dem Wunsch nach assistiertem Suizid, der eine „bedingte Autonomie“ ist, ein langer Leidensweg voraus. Jeder:jede Arzt:Ärztin stehe jetzt mit Blick auf die medizinischen, philosophischen und spirituellen Aspekte vor der Entscheidung, Patient:innen beim Wunsch nach assistiertem Suizid fragend und klärend zu begleiten oder diesen auch abzulehnen – das dürfe keineswegs zu einer Etikettierung von uns Ärzt:innen führen.
In der anschließenden Diskussionsrunde ist auch in diesem Zusammenhang, unabhängig der eigenen Position, der eindeutige Tenor, dass die beratende Tätigkeit eine der wichtigsten hausärztlichen Aufgaben ist, auch in diesem Zusammenhang. In manchen Bundesländern können sich jetzt Ärzt:innen, die zu Beratungsgespräche zu diesem Thema bereit sind, in Listen eintragen. Verunsicherung herrscht über möglichen Wirkeintrittsverzögerung und Nebenwirkungen von Natrium-Pentobarbital, auch dafür bedarf es noch Aufklärung für uns Ärzt:innen.
Der Nach.Hall mit Arien von Purcell, Händel und Mozart, gesungen von Miriam Isabella Bitschnau, und Lyrik, gelesen von Andrea Bitschnau-Fried, fand in der Dreifaltigkeitskirche statt und ließ diese Tagung überaus stimmungsvoll ausklingen.