Nahrungsmittel-Allergien umfassend diagnostizieren

Während Intoleranzen (z. B. gegenüber Laktose, Fruktose oder Histamin) u. a. auf Enzymdefekten beruhen können, liegt einer Allergie eine immunologische Reaktion zugrunde. Im Unterschied zu Intoleranzen, die die Lebensqualität einschränken, können die immunologisch vermittelten Nahrungsmittelallergien ein ernstes Gesundheitsrisiko darstellen. Neben Arzneimitteln und Insektengiften gehören Nahrungsmittelallergene zu den häufigsten Auslösern schwerer allergischer Reaktionen.

Allergie vom Soforttyp

Allergische Reaktionen werden in vier unterschiedliche Typen unterteilt. Am häufigsten ist die Allergie vom Soforttyp (Typ 1, zu dem auch die Nahrungsmittelallergie zählt), bei der das Immunsystem auf Allergene mit der Bildung von Immunglobulin E (IgE) antwortet. Dieses IgE wird an hochaffine FcεRI-IgE-Rezeptoren an den Mastzellen in den Schleimhäuten gebunden. Bei neuerlichem Allergen-Kontakt wird das spezifische IgE an den FcεRI-Rezeptoren kreuzvernetzt, und es kommt zur Ausschüttung von Entzündungsmediatoren (z. B. Histamin, Leukotriene), die für die allergischen Symptome verantwortlich sind. Bei Soforttypallergien können bereits kleinste Allergenmengen in der Nahrung allergische Symptome auslösen.

IgE in der Allergiediagnostik

Aus Blutproben kann einerseits der Gesamt-IgE-Spiegel, andererseits das antigenspezifische IgE bestimmt werden. Während Gesamt-IgE-Werte über 100 kU/l eine Allergieneigung deutlich machen, werden die spezifischen IgE-Werte semiquantitativ angegeben, die Werte variieren je nach Testmethode. Je höher die spezifischen IgE-Werte sind, desto eher ist die Sensibilisierung klinisch relevant und desto stärker können Reaktionen ausfallen.
Zudem bestimmen auch Ko-Faktoren, ob und wann eine Reaktion gegenüber einem Nahrungsmittelallergen tatsächlich auftritt und wie groß das anaphylaktische Risiko ist.
Zu den Ko-Faktoren zählen

  • die Menge des aufgenommenen Allergens,
  • der Typ des Allergens (Erdnuss und Fisch haben ein hohes Potenzial),
  • dessen Zubereitungszustand (roh, geröstet, gekocht),
  • körperliche Anstrengung,
  • Medikamenten-Einnahme (Protonenpumpen-Inhibitoren1; β-Blocker, ACE-Hemmer2) sowie
  • Ko-Erkrankungen: Asthma, kardiale Erkrankungen, Mastozytose und Schilddrüsenerkrankungen.2

Symptome bei Nahrungsmittelallergien

Das Spektrum der Symptome, die durch Allergene ausgelöst werden können, ist direkt mit deren Stabilität assoziiert. Die Proteinstruktur kann durch Disulfidbrücken und andere Modifikationen so stabil sein, dass sie durch die Magensäure nicht gespalten werden kann.
Andere Allergene werden durch industrielle Verarbeitung so verändert, dass eine stärkere Kreuzvernetzung mit dem IgE statt-findet, wie z. B. beim Erdnuss-Allergen Ara h 1, das durch Rösten trimerisiert wird. Nahrungsmittelallergien lösen am häufigsten Symptome entlang der Schluckstraße aus. Patienten erleben ein orales Allergie-Syndrom (OAS) mit Kribbeln, Jucken und Schwellungen an Lippen und Gaumen, bis hin zu pharyngealer Enge. Auch Reaktionen an nachgeschalteten oder entfernteren Organen sind möglich, wie etwa Durchfälle, ein Asthmaanfall oder eben Anaphylaxie. Die Reaktionen treten entweder sofort oder mitunter verzögert bis etwa 2 Stunden nach Konsumation auf. Biphasische Verläufe, mit einem zweiten Symptom-Peak bis zu 24 h später, sind auch nach erfolgter Behandlung einer Anaphylaxie möglich.

 

Pollenassoziierte Kreuzallergien

Nahrungsmittelallergien treten oft auch nach primärer Sensibilisierung (IgE-Bildung) gegen Atemwegsallergene auf und entstehen durch IgE-Kreuzreaktivität, also durch die Reaktion des Immunsystems auf Allergene mit ähnlicher Struktur, jedoch unterschiedlicher Herkunft.
Lange Zeit wurden pollenassoziierte Allergene eher als harmlose OAS-Auslöser betrachtet. Ein Paradebeispiel ist die PR-10-Protein-Familie, zu der das Birken-hauptallergen Bet v 1 gehört. Dazu kreuzreaktiv wurden die PR-10-Proteine aus pflanzlichen Nahrungsmitteln identifiziert, wie im Apfel Mal d 1, bekannter Verursacher eines OAS bei Birkenallergikern. Gly m 4 wird tatsächlich leicht durch die Verdauungsenzyme unschädlich gemacht. Anders verhält es sich mit dem durch Disulfidbrücken stabilisierten PR-10-Allergen Gly m 4 aus Soja, das dadurch ein höheres Risiko für anaphylaktische Reaktionen darstellt.
Um eine Risikoeinschätzung vornehmen zu können, ist es wichtig, genau zu wissen, gegen welche Komponente kreuzreaktives IgE gerichtet ist.

Als gefährlich eingestufte Nahrungsmittelallergene

Neben den kreuzreaktiven Nahrungsmittelallergenen gibt es auch solche, die von vorneherein als gefährlich eingestuft werden, wie

  • 2S-Albumine (in Buchweizen, Mohn, Sesam, Senf, Cashew, Erdnuss, Haselnuss, Macadamia, Paranuss, Pistazie, Soja, Walnuss),
  • 7/8S-Globuline (in Erdnuss, Haselnuss, Pistazie, Soja und Walnuss),
  • LTP (Lipid-Transferproteine, in Erdbeeren) oder
  • nsLTP (nonspecific Lipid-Transfer Proteine) (in Apfel, Kiwi, Pfirsich und Weintrauben, Mais, Weizen, Sellerie, Erdnuss, Haselnuss, Walnuss).

Alle genannten Allergene sind molekular so stabil, dass sie prinzipiell direkt über orale Aufnahme sensibilisieren können. Bei einigen ist auch der indirekte Weg möglich, indem die Erstsensibilisierung über Homologe in Pollen stattfindet. nsLTPs gibt es in Pollen von Platane, Beifuß, Glaskraut und Hanf. Tatsächlich können nach respiratorischer Sensibilisierung gegen Can s 3, einem nsLTP aus Hanf, schwere Reaktionen nach Nahrungsmittelaufnahme, die durch Kreuzreaktivität entstanden, auftreten. Die zunehmende Konsumation von Hanf dürfte damit auch vermehrt zu Beschreibungen von Nahrungsmittelallergien führen.

Kreuzreaktionen mit Hausstaubmilben-Allergenen

Eine starke Hausstaubmilbenallergie kann sich gegen die Europäische Dermatophagoides pteronyssinus, aber auch gegen die verwandte Amerikanische D. farinae richten, die wie die Lagermilbe Blomia tropicalis in Mehl und anderen Vorräten vorkommt. Dazu kreuzreaktiv ist die Küchenschabe, welche vermehrt in unseren Breiten anzutreffen ist. Nach Kontaktexposition der Haut leiden Patienten unter juckenden Ausschlägen, die durch Allergenaufnahme mit der Nahrung verstärkt oder auch erst ausgelöst werden können. Diese Allergene können aber auch direkt zu Nahrungsmittelallergien führen, beispielsweise durch Arginin-Kinasen, die in allen genannten respiratorischen und nahrungsassoziierten Allergenquellen vorkommen, etwa auch – entwicklungsgeschichtlich interessant – in Meeresfrüchten (Black Tiger Shrimp und verwandte Arten).

Kreuzreaktivität gegen Alpha-Galactosidase

Nahrungsmittel-Allergien sind nicht nur für Vegetarier gefährlich, sondern auch für Fleischesser.
So können IgE-Reaktivitäten prinzipiell gegen Fisch-Muskel-Proteine (Parvalbumine, Tropomyosine, Troponine) und alle Fleischarten festgestellt werden. Interessant ist die IgE-Kreuzreaktivität gegen Alpha-Galactosidase (Alpha-Gal), eine Karbohydrat-Struktur an rotem Fleisch (Rind-, Schweine-, Lamm-, Wild-, Pferdefleisch), die zu verzögerten intestinalen Beschwerden nach einigen Stunden führt, aber auch Urtikaria und Anaphylaxien (eventuell ebenfalls verzögert)3 auslösen kann.
Alpha-Gal kommt im Speichel der Katze und damit am Katzenhaar vor. Es ist nicht klar, ob die Katzen-Sensibilisierung der Fleischallergie vorangeht oder umgekehrt.Als eine unerwartete Komplikation bei einer Behandlung mit Biologika, die in Säugetierzellen hergestellt werden, kann eine Anaphylaxie bei Erstinjektion durch eine unerkannte Alpha-Gal-Sensibilisierung sein. Eine zusätzliche Risikokomponente für diese Allergie sind häufige Zeckenbisse, weil diese Spinnentiere auch alpha-Gal exprimieren.4 Getestet auf IgE gegen Alpha-Gal wird derzeit nur im Single-­Plex-Test.

Stellenwert einer umfassenden Diagnostik

Zusammenfassend ist zu sagen, dass ein hoher Bedarf an der korrekten Diagnostik einer Allergie besteht, denn erst das IgE-Profil gemeinsam mit spezifischen Symptomen ergibt die Diagnose der Nahrungsmittelallergie und erlaubt praktische Empfehlungen für Patienten. Multiplex-IgE-Testung auf Makro- und Mikro-Allergenarrays erlaubt die Erkennung von Kreuzreaktivitäten, Risikoeinschätzung für schwere Reaktionen und praktische Empfehlungen für Patienten und sind ein Prototyp der modernen Präzisionsmedizin und ein anerkanntes Diagnostikum.5

Wissenswertes für die Praxis
  • Die molekulare Allergiediagnose ist ganz besonders bei Nahrungsmittelallergien praktisch höchst relevant.
  • Je höher die antigenspezifischen IgE-Werte sind, desto eher ist die Sensibilisierung zumeist klinisch relevant und desto stärker können Reaktionen ausfallen.
  • Ko-Faktoren wie körperliche Anstrengung und Medikamente können den Schwellenwert für allergische Reaktionen gegen Nahrungsmittel senken.
  • Im Fall einer Nahrungsmittelallergie ist die Möglichkeit von Kreuzreaktionen mit respiratorischen und anderen Nahrungsmittel-Allergenen und Alpha-Galactosidase zu beachten.

 


Literatur:

  1. Galateja J et al., Country-wide medical records infer increased allergy risk of gastric acid inhibition. Nat Commun. 2019; 10(1):3298. DOI: 10.1038/s41467-019-10914-6
  2. Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie – Update 2021. S2k-Leitlinie Gesellschaften: DGAKI, AeDA, GPA, DAAU, BVKJ, GNPI, DDG, ÖGAI, SGAI, DGAI, DGP, DGP, DAAB, AGATE. Allergo J 2021; 30(1):20–49. DOI: 10.1007/s15007-020-4750-0
  3. García MB et al., Delayed urticaria or anaphylaxis after consumption of red meat with evidence of alpha-gal sensitisation. BMJ Case Rep 2020; 13(12):e236923. DOI: 10.1136/bcr-2020-236923
  4. Ian Y et al., Tick exposures and alpha-gal syndrome: A systematic review of the evidence. Ticks Tick Borne Dis 2021; 12(3):101674. DOI: 10.1016/j.ttbdis.2021.101674. Online ahead of print
  5. Ignácio J et al., IgE allergy diagnostics and other relevant tests in allergy, a World Allergy Organization position paper. World Allergy Organ J 2020; 13(2):100080. DOI: 10.1016/j.waojou.2019.100080