Neu: Spezialisierung in Allergologie möglich

In verschiedenen Ländern Europas gibt es bereits seit Jahren einen Facharzt oder eine Spezialisierung für Allergologie. Nun ist auch die Spezialisierung in Österreich möglich – wie sieht diese aus?

Univ.-Prof. Dr. Jensen-Jarolim: Bisher war die Allergologie auf viele Fächer zersplittert, es gab keine eigene Ausbildung für Allergologie. Nun ist für bestimmte Facharztgruppen erstmals eine Spezialisierung für Allergologie in Form einer 18 Monate dauernden Weiterbildung möglich. Dies gilt für Fachärzte sogenannter „Quellfachgebiete“: Haut- und Geschlechtskrankheiten, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Innere Medizin und Pneumologie, Kinder- und Jugendheilkunde, Klinische Immunologie, Innere Medizin sowie auch Arbeitsmedizin und Allgemeinmedizin. Ärzte, die über fachspezifische Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, können einen Antrag auf Anerkennung stellen. Diese Spezialisten schließen sich dann in Ausbildungsverbünde zusammen und reichen ihr Konzept bei einer Expertenkommission ein. Bei positiver Beurteilung gibt die Kommission eine Empfehlung an die Österreichische Ärztekammer ab. Kommt auch von dieser Seite grünes Licht, kann mit der Ausbildung von Ärzten durch diese Ausbildner begonnen werden. Ärzte, die bisher bereits allergologisch tätig waren, können im Rahmen einer Übergangsbestimmung ihr bisheriges Tun in diesem Bereich einreichen.

Welche Vorteile ergeben sich dadurch für die Patienten?

Laut der Österreichischen Gesundheitsbefragung 2019 rangieren allergische Erkrankungen wie Heuschnupfen, Nahrungsmittel-, Hausstaubmilben- oder Insektengiftallergien nach Rückenschmerzen auf Platz zwei der häufigsten chronischen Krankheiten. Circa zwei Millionen Menschen leiden in Österreich an einer Allergie, die Tendenz ist seit vielen Jahren steigend, und somit wächst auch der Bedarf an Spezialisten, die sich mit der Diagnose und Behandlung von Allergien auskennen. Gerade in ländlichen Gebieten, wo es keine spezialisierten Ambulatorien oder Ambulanzen gibt, dauert es oft Jahre bis Patienten von ersten allergiebedingten Symptomen zu einer richtigen Diagnose und letztlich zu einer adäquaten Behandlung kommen. Oftmals werden Symptome durch den Patienten selbst therapiert, und die allergische Erkrankung geht in ein chronisches Stadium über – und es können auch mehr Allergien dazukommen. Zudem kann eine frühe Diagnose einer lebensbedrohlichen Allergie, wie zum Beispiel gegen Nahrungsmittel, Insektengifte oder Medikamente, helfen, lebensrettende Maßnahmen zu setzen – von der zielgerichteten Allergenvermeidung bis zur Notfallmedikation. Stehen mehr Spezialisten zur Verfügung, können somit auch mehr Patienten frühzeitig versorgt und Folgeerkrankungen und Komplikationen verhindert werden. Die neue Weiterbildung ist ein dringend notwendiger Schritt. Nicht zuletzt, um den internationalen Anschluss nicht zu verpassen. In verschiedenen Ländern Europas gibt es bereits seit Jahren einen Facharzt oder eine Spezialisierung für Allergologie.

Rechnen Sie mit vielen Ärzten, welche die Weiterbildung in Anspruch nehmen werden?

Wir hoffen, dass viele Kollegen zahlreich um die Anerkennung der Spezialisierung oder um den Start der Ausbildung ansuchen werden, um mit den neuen Spezialisten für Allergologie eine ausreichende und flächendeckende Versorgung der allergischen Patienten zu erzielen. Denn aufgrund der kontinuierlichen Zunahme an Menschen mit Allergien wächst der Bedarf an Spezialisten.

Pollen richten sich nicht nach den Jahreszeiten, sondern nach der Temperatur. Das heißt, wenn das Wetter untypisch ist, dann hat dies auch Auswirkungen auf Allergiker?

Die Luftverschmutzung und Klimaveränderung spielen stark in das Allergiegeschehen hinein. Die Luftverschmutzung stresst Pflanzen, die dann mehr Pollen produzieren, die auch mehr Allergene beinhalten. Dabei sind viel UV-Licht, hohe CO2-Werte, Ozon und Stickoxide von besonderer Bedeutung, wie auch die Salzstreuung der Straßen, wo Bäume wachsen. Pollen werden in besonders heißen und trockenen Wetterlagen vermehrt ausgeschüttet und über die Luftkonvektion übertragen (siehe www.pollenwarndienst.at). Sie können aber bei extremen Stürmen auch mit den Luftschichten verfrachtet und mechanisch zerstört werden und dann, konzentriert und elektrisch aufgeladen, beim Allergiker schwere Asthmaanfälle auslösen. Man spricht dann vom „Gewitter-Asthma“ („thunderstorm asthma“), das zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Umgekehrt gedeihen in feuchten, subtropischen Sommern Schimmelpilze viel besser, die dann viele allergene Sporen freisetzen.

Inwieweit hat auch die verstärkte Feinstaubbelastung zur kalten Jahreszeit Einfluss auf die Symptomatik?

Pollen gibt es bereits in der sehr kalten Jahreszeit; manche Bäume beginnen sogar schon im Dezember zu blühen. Jedenfalls ist es noch sehr kalt, wenn die Frühblüher starten, und die Bäume haben noch kein Laub, um Feinstaub mechanisch abzufangen/abzufiltern. Zudem verbindet sich der Feinstaub gern chemisch und physikalisch mit den Pollen. Die Dieselabgas-partikel im Feinstaub machen die Pollen noch allergener – das Immunsystem erkennt diese als Gefahrensignal, und es kommt zu einer allergischen Reaktion. Feinstaub ist so klein, dass er tief in die Lungen eingeatmet werden kann und dort auch unspezifisch die Schleimhautbarrieren irritiert: Es entsteht ein entzündetes, überempfindliches Bronchialsystem. Mit jeder stattgefundenen Entzündung werden unsere Haut- und Schleimhautbarrieren durchlässiger für Pollen, was wiederum die Symptomatik verstärkt – es kommt zu einem negativen Kreislauf.

Was ist die Vorgehensweise bei erstmaligem Auftreten von Symptomen – und wie erfolgt die klassische Therapieeskalation?

Selten werden Patienten bereits beim erstmaligen Auftreten von Symptomen vorstellig. Die allergische Rhinitis, der Heuschnupfen, ist charakterisiert durch verstopfte und rinnende Nase, Jucken und Niesreiz und meistens auch Konjunktivitis. Bleibt die allergische Rhinitis über längere Zeit unbehandelt, verlegen sich Nasennebenhöhlen und Stirnhöhlen, es können Nasenpolypen entstehen, und die Nase ist chronisch verstopft. Durch die schlechte Belüftung bekommen auch die Erythrozyten zu wenig Sauerstoff – die Patienten sind abgeschlagen und erschöpft, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt. Viele Patienten besorgen sich auf Eigeninitiative in der Apotheke Antihistaminika oder bekommen es von einem anderen erkrankten Familienmitglied. Hat man hingegen eine spezifische Diagnose und weiß, welche Pollen oder andere Allergene die Auslöser sind, dann hat man die Möglichkeit, eine spezifische Allergenimmuntherapie einzuleiten. Hierbei wird das Allergen wiederholt injiziert oder mittels Tropfen oder Tablette verabreicht, bis sich das Immunsystem daran gewöhnt hat. Dieser Prozess dauert mindestens 3 Jahre und muss sehr konsequent durchgeführt werden.
Leider beginnen viele Patienten erst Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome mit dieser Therapie, die gerade bei Pollen- und Hausstaubmilbenallergien hervorragend wirkt und Symptome und Medikamenteneinnahme signifikant reduziert. Im Gegensatz zur symptomatischen Therapie kann die spezifische Immuntherapie auch das Fortschreiten der Erkrankung – z. B. vom Heuschnupfen zum Asthma – verhindern.

In welchen Fällen sollte eine allergenspezifische Immuntherapie angedacht werden?

Möglichst früh nach Diagnosestellung, bei starkem Leidensdruck und idealerweise noch bevor ein Asthma entstanden ist, und vor allem dann, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Patient (oder die Eltern des betroffenen Kindes) die Behandlungsdauer durchhalten wird. Die allergenspezifische Immuntherapie kann ab einem Alter von 5 Jahren durchgeführt werden. Bei Nahrungsmittelallergien gibt es keine solche Behandlungsmethode, hier gilt die Vermeidung des Auslösers als wichtigstes Ziel.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen:
Mehr zur neuen Ausbildung „Spezialisierung in Allergologie“, Stellungnahmen und Empfehlungen zu Corona-Impfung und Allergien sowie Immundefekten und SARS-CoV-2-Infektion, Patienten-Informationen u. v. m. unter www.oegai.org.