Seit den letzten Jahren kommt es zu einer stetigen Zunahme der Diagnose arterielle Hypertonie aufgrund mehrerer Faktoren: Einerseits erfolgte eine Grenzwertabsenkung in den US-amerikanischen Guidelines1, andererseits werden bislang unzureichend medizinisch versorgte Gebiete aufgeschlossen. Zu einem Gutteil führen aber auch Lifestyleprobleme wie Adipositas und unzureichende Bewegungsfreudigkeit dazu, dass immer jüngere Menschen einen Hypertonus entwickeln. Die dementsprechenden kardiovaskulären Konsequenzen mit erhöhter Morbidität und Mortalität sind hinlänglich bekannt.2
Weiters wissen wir, dass Patient:innen mit bereits diagnostizierter Hypertonie häufig Blutdruckziele nicht erreichen. So fanden sich in einem Apothekenmessprojekt 2015 nur 41% der Patient:innen mit einer antihypertensiven Verordnung im Zielbereich3; in einer weiteren Untersuchung wiesen 29,5 % der Personen ohne bekannten Bluthochdruck und 57,3 % der Patient:innen mit bekanntem Hypertonus erhöhte Blutdruckwerte auf.4 Im Rahmen des weltweiten Projektes Messmonat Mai 20175 wurde Menschen an öffentlichen Plätzen und Apotheken der Blutdruck gemessen. Hierbei stellte Österreich mit unzureichenden Zielwerten (140/90 mmHg) bei 43,2 % der Unbehandelten und 63,5 % der behandelten Messproband:innen einen traurigen Rekord im Ländervergleich auf.
Die richtige Blutdruckmessung spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Dabei stellt die Langzeitblutdruckmessung noch immer den Goldstandard in der Diagnosesicherung und Therapiekontrolle dar. Da diese aber häufig unzureichend verfügbar ist, wird derzeit sowohl von der Europäischen Gesellschaft für Hypertonie6 als auch von der Österreichischen Gesellschaft für Hypertonie (ÖGH)7 eine 3-fach-Blutdruckmessung als Alternative empfohlen. Dabei sollen nach einer Ruhephase von 5 Minuten in einem ruhigen Raum 3 Messungen im Abstand von je 1–2 Minuten erfolgen. Dieses Verfahren soll dann morgens und abends für 7 Tage erfolgen; die Messwerte des ersten Tages werden verworfen, die übrigen Zweit- und Drittmessungen gemittelt. Die ÖGH empfiehlt die Verwendung eines validierten Oberarmmessgerätes, das entsprechend der Anlageempfehlung am Oberarm angebracht werden muss. Es sind bereits Geräte verfügbar, welche die 3-fach-Messung automatisiert durchführen und als Ergebnis bereits den Mittelwert anzeigen (→ Blutdruckpass der Österreichischen Gesellschaft für Hypertensiologie zum Download). Eine Liste mit validierten Geräten findet man online.
Neben diesen klassischen Geräten strömen mit zunehmendem Bedarf und wachsenden technischen Möglichkeiten sogenannte „Wearables“ oder „Nearables“ bzw. „Cuffless Devices“ auf den Markt. Die Anforderungen aus ärztlicher Sicht an diese neuen Messgeräte sind relativ klar umrissen: Um die Lebbarkeit im Alltag zu gewährleisten, ist eine einfache, automatisierte, nichtinvasive (und möglichst bequeme) Anwendung mit einem messgenauen Gerät gefordert, das häufige Messungen generiert und möglichst günstig ist.
Die derzeit am Markt verfügbaren Geräte versprechen – zumindest teilweise –, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Die unterschiedlichen Devices mit ihren unterschiedlichen Messmethoden sind in einer Arbeit von Mukkamala et al. rezent zusammengefasst worden.8
Zu unterscheiden sind dabei kalibrierte und nichtkalibrierte Geräte. Kalibrierte Geräte brauchen eine Kalibrierung mittels Standard-Blutdruckmessung und arbeiten dann mit Puls-Transit-Zeit und Pulswellenanalyse und Facial Video Processing, um die mmHg zu errechnen. Nichtkalibrierte arbeiten oszillometrisch, mit Ultraschall und Volumenkontrolle.
Der HeartGuide™ von Omron Healthcare ist bereits am Markt, er arbeitet mit einem automatischen oszillometrischen Device in Form einer Armbanduhr und hat einen integrierten Minicuff – ist also nicht ganz „cuffless“.
Vielversprechend erscheint die Messung über Smartphones, da diese breit verfügbar sind und über eine ausgezeichnete Lichtquelle verfügen. Diese photoplethysmografische (PPG) Messung misst Oszillationen des Blutvolumens einer Extremität mittels reflektierten Lichtes sowie Absorption durch Hämoglobin durch Auflage eines Fingers und erzeugt daraus eine Wellenform. Hochwertige Smartphones benutzten zusätzlich einen Infrarot-PPG-Sensor für eine tiefere Penetration (Samsung Galaxy S5) oder einen „Strain Gauge Array“ als Drucksensor (Apple iPhone 6s-X). Kleine Elektroden-Pads, die bei Bedarf an die Finger gelegt werden, um ein EKG abzuleiten, sind bereits im Einsatz (KardiaMobile®/AliveCor), auch hier sind künftig wahrscheinlich Blutdruckmessungen möglich. Ein ähnliches System, in eine Personenwaage integriert, ist ebenso in Erprobung. Weniger bekannt sind Patches, die auf der Brust angebracht werden, und Ringe (Abb. 1).
Fitnessbänder und Smartwatches nutzen ebenso die PPG-Methode, um Werte von kutanen Arterien am Handgelenk abzubilden, zusätzlich wird ein Accelometer verwendet, um die Armposition abzuschätzen und damit Korrekturen vornehmen zu können.
Abgesehen von der einfachen und bequemen Handhabung erhofft man sich durch mehr Daten auch eine bessere Blutdruckkontrolle. McManus et al. konnten in einer rezenten Arbeit zeigen, dass digitales Blutdruckmonitoring und aktive Hinweise für Therapie-Anpassung gegen „klinische Trägheit“ helfen und zu einer signifikant besseren Blutdruckkontrolle führen können.9 Mögliche Benefits neuer Messgeräte könnten somit eine bessere Überwachung des Blutdrucks durch Steigerung der Awareness von Patient:innen und behandelnden Ärzt:innen und damit eine bessere Blutdruckkontrolle sein.
Hier spielen vor allem die nächtlichen Messungen eine Rolle – es ist bekannt, dass nächtlich erhöhte systolische Blutdruckwerte bzw. Inverted Dipping stark mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko und Herzinsuffizienz assoziiert sind. Die nächtlichen Blutdruckwerte konnten bisher nur mittels Langzeitblutdruckmessung generiert werden – sie gilt als Goldstandard, ist allerdings in der Praxis zum Teil schwer verfügbar bzw. wurde sie von Patient:innen oft als störend empfunden. Hier stellen Wearables in puncto Bequemlichkeit, Verfügbarkeit und somit Akzeptanz eine verlockende Alternative dar.
Wo sind also die Nachteile dieser neuen, modernen Geräte? Abgesehen von der zu hinterfragenden Messgenauigkeit und den fehlenden Guidelines aufgrund fehlender randomisierter Studien ist die riesige Datenmenge und deren Deutung auch in Hinblick auf eine mögliche Überschätzung ein ebenso ungeklärter Punkt wie die Datensicherheit.
Um den Weg hin zu einer noch stärker individualisierten Blutdrucktherapie zu ebnen und mit „big data“ nicht „big error“ zu generieren, sind einige Konzepte verfügbar, die ihren Stellenwert allerdings erst in Studien unter Beweis stellen müssen (Abb. 2).
Bis auf wenige Ausnahmen bedürfen diese zum Teil neuen Methoden noch einer umfassenden Evaluierung, hier werden uns in den nächsten Jahren aber jede Menge Devices erwarten, mit denen wir umzugehen lernen müssen und die man in ihrer Messgenauigkeit hinterfragen muss. Nicht zu unterschätzen ist auch die Datenflut, die durch solche Aufzeichnungen entsteht (z. B. dauerhaft über Armband, Ring, Patches) und die wir auswerten und bewerten müssen.
Es gibt also viel zu tun im Bereich der sogenannten „Wearables“, spannende Neuerungen erwarten uns und unsere Patient:innen. Diese müssen aber erst wissenschaftlich evaluiert werden, und das wird wohl die Spreu vom Weizen trennen.