Neue Insuline: So physiologisch wie möglich!

Die Insulintherapie stellt bei Menschen mit Typ-1-Diabetes eine lebensnotwendige und bei einem Teil der Menschen mit Typ-2-Diabetes eine erforderliche Hormonersatztherapie dar. Zu den großen therapeutischen Herausforderungen zählen postprandiale Glukosespitzen, die zudem mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert sind. Ultrakurzwirksame Insuline mit schnellerem Wirkeintritt und kürzerer Wirkdauer sollen der physiologischen Insulinwirkung näher kommen.

Ultrakurz …

2017 erhielt die schnellwirksame Insulin-aspart-Formulierung („fast-acting insulin aspart“) Fiasp® die Marktzulassung. Dabei wurden dem herkömmlichen Insulin aspart (NovoRapid®) L-Arginin zur Stabilisierung der Formulierung und Niacinamid zur Beschleunigung der Absorption nach subkutaner Verabreichung zugesetzt. Im Vergleich zum herkömmlichen Insulin aspart zeigt Fiasp® einen doppelt so schnellen Wirkeintritt, eine stärkere frühe blutzuckersenkende Wirkung und eine kürzere Wirkdauer. In den klinischen Onset-Studien bewies Fiasp® im Vergleich zu herkömmlichem Insulin aspart bei Menschen mit Typ-2- wie auch mit Typ-1-Diabetes – sowohl unter intensivierter Insulin- als auch unter Insulinpumpentherapie – die Nichtunterlegenheit in Bezug auf die HbA1c-Reduktion sowie eine Überlegenheit in der postprandialen Blutzuckerkontrolle. In der Onset-9-Studie zeigte sich bei Menschen mit unzureichend kontrolliertem Typ-2-Diabetes unter Insulin degludec und Fiasp® im Vergleich zu Insulin aspart sogar eine signifikant niedrigere Rate an schweren Hypoglykämien.
2020 folgte die Zulassung der schnellwirksamen Insulin-lispro-Formulierung („ultra-rapid lispro“, URLi) Lyumjev®. Zur Beschleunigung der Absorption enthält die neue Formulierung Treprostinil, das eine lokale Vasodilatation bewirkt, und Citrat, das die Gefäßpermeabilität erhöht. Im Vergleich zu herkömmlichem Insulin lispro (Humalog®) zeigte Lyumjev® ein rascheres Anfluten mit einem schnelleren Wirkeintritt, eine höhere frühe Insulinexposition sowie eine kürzere Wirkdauer mit reduzierter später Insulinexposition. Die Gesamtinsulinexposition war ähnlich, sodass der Wechsel bei Umstellung äquivalent erfolgen kann. Die klinische Wirksamkeit von Lyumjev® wurde im PRONTO-Studienprogramm bei Menschen mit Typ-2- und Typ-1-Diabetes unter Basis-Bolus- und unter Insulinpumpentherapie untersucht. Dabei war Lyumjev® in Hinblick auf die postprandiale Blutzuckerkontrolle überlegen und führte zu einer höheren Zeit im glykämischen Zielbereich, ohne dabei die Rate an Hypoglykämien zu erhöhen. Zu erwähnen ist eine höhere Rate an Reaktionen an der Einstichstelle, die auf die Zusatzstoffe zurückgeführt werden.

… und ultralang

Auch in der Entwicklung der Basalinsuline besteht das Bestreben, der physiologischen Insulinsekretion näherzukommen. Ein möglichst flaches Wirkprofil soll geringere glykämische Schwankungen, weniger Hypoglykämien und eine bessere glykämische Kontrolle erzielen.
Insulin icodec ist ein in Phase-III-Studien befindliches, ultralangwirksames Basalinsulin. Mit einer Halbwertszeit von 196 Stunden und nahezu gleichmäßiger Verteilung der glukosesenkenden Wirkung über das gesamte Verabreichungsintervall muss es lediglich einmal wöchentlich appliziert werden.
In einer Phase-II-Studie bei Menschen mit inadäquat kontrolliertem Typ-2-Diabetes wurde durch die Einführung von Insulin icodec einmal wöchentlich eine ähnliche glykämische Kontrolle mit vergleichbarem Sicherheitsprofil erreicht wie unter Insulin glargin U100 einmal täglich. Um früher den „steady state“ zu erreichen, der sonst erst nach 3–4 Wochen eintritt, wurde bei der Umstellung von einmal täglichem auf einmal wöchentliches Basalinsulin die Gabe einer „loading dose“ (doppelte Dosis bei 1. Applikation) untersucht. Diese führte im Vergleich zu Insulin glargin U100 täglich zu einer erhöhten „time in range“ (TIR) in Woche 15 und 16, ohne das Hypoglykämierisiko zu erhöhen. Auch wenn aufgrund einer langen Wirkdauer theoretisch das Risiko für eine verlängerte Hypoglykämien besteht, deuten bisherige Erkenntnisse darauf hin, dass das Risiko schwerer Hypoglykämien im Vergleich zur täglichen Basalinsulin-Gabe nicht größer zu sein scheint. Auf alle Fälle ist die Aussicht auf eine reduzierte Anzahl an nötigen Injektionen attraktiv und könnte eine Steigerung der Compliance bewirken.

Praxismemo

  1. Postprandiale Hyperglykämien sind mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert.
  2. Neue Insuline ermöglichen eine effizientere und sichere Therapie durch ein physiologischeres Wirkprofil.
  3. Ultrakurzwirksame Insuline können postprandiale Glukoseexkursionen und späte postprandiale Hypoglykämien reduzieren.