Eine Plenarsitzung des Kongresses widmete sich dem „ATTD Yearbook 2013“, einer Sammlung der praxisrelevantesten Arbeiten zum Kongressthema aus dem vergangenen Jahr, zusammengestellt von den Kongresspräsidenten Prof. Dr. Tadej Battelino (Leiter der Abteilung für pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Universitätskinderklinik Ljubljana/Slowenien) und Prof. Dr. Moshe Phillip (Leiter des Instituts für Endokrinologie und Diabetes, Nationales Zentrum für kindlichen Diabetes, Tel Aviv/Israel).
Das Blutzucker-Selbstmonitoring (SMBG) hat sich als effektive Strategie im Management sowohl des Typ-1- als auch des Typ-2-Diabetes erwiesen; insbesondere für Typ-1-Diabetes gibt es starke Evidenz für einen größeren Benefit bei häufiger Selbstmessung. Prof. Dr. Irl B. Hirsch (Seattle/USA) gab einen Überblick über die rezenten Ergebnisse.
So bestätigt eine Multicenter-Analyse von mehr als 20.000 Typ-1-Diabetikern mit einer Krankheitsdauer von mindestens einem Jahr, die in einem Register aufgenommen waren und kein kontinuierliches Glukosemonitoring verwendeten, dass eine höhere tägliche Anzahl von Blutzucker-Selbstmessungen signifikant mit einem niedrigeren HbA1c-Spiegel assoziiert ist. Der Unterschied der HbA1c-Werte zwischen Patienten ohne Selbstmessung und jenen, die mehr als achtmal täglich Messungen durchführten, betrug mehr als 1,5% (Miller et al., Diabetes Care 2013; 36:2009–14). Den Benefit eines intensiven strukturierten SMBG bei nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern zeigt die PRISMA-Studie (Bosi et al., Diabetes Care 2013, Epub ahead of print). In dieser randomisierten klinischen Studie wurden 1.024 Patienten mit einem medianen HbA1c-Ausgangswert von 7,3% entweder einem intensiven strukturierten Glukose-Monitoring zu vier Parametern (Nüchtern-, Präprandial-, Zwei-Stunden-Postprandial- und Postabsorptionsblutzucker) an drei Tagen/Woche oder einer aktiven Kontrolle (Bestimmung der vier Parameter zu Studienbeginn sowie nach sechs und zwölf Monaten) zugeteilt. Während des Beobachtungszeitraumes zeigte sich in der Gruppe mit intensiver strukturierter Messung eine stärkere HbA1c-Senkung als in der Kontrollgruppe (–0,39 vs. –0,27%). Zu Studienende erreichten mehr Patienten in der Gruppe mit intensivem SMBG eine klinisch bedeutsame HbA1c-Reduktion. Ein Grund für die besseren Ergebnisse könnte sein, dass bei den Patienten mit intensivem SMBG im Rahmen der vorgesehenen Visiten signifikant öfter eine Therapieanpassung stattfand als in der Kontrollgruppe.
Die Autoren folgern, dass ein strukturiertes SMBG auch in einem Patientenkollektiv mit relativ gut kontrolliertem, nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetes die glykämische Kontrolle verbessert und eine gute Orientierungshilfe bei der Medikamentenverschreibung bietet. Hirsch wies darauf hin, dass bei Patienten mit einer so guten glykämischen Kontrolle kein größerer Unterschied als der in der Studie erzielte zu erwarten sei, merkte aber auch die hohen Kosten für die Kostenträger aufgrund der großen Menge an benötigten Teststreifen an. Verbesserungswürdig ist nach Ansicht von Hirsch die Messgenauigkeit der meisten Geräte zur Selbstmessung.
Dank eines besseren Managements des Diabetes, gemessen an der Verbesserung der HbA1c-Werte, konnte über die vergangenen 20 Jahre eine signifikante Reduktion mikrovaskulärer Komplikationen erzielt werden, so Prof. Dr. Satish K. Garg (Aurora/USA). Zu diesem Erfolg hätten technische Fortschritte und neue Medikamente beigetragen, ohne das Hypoglykämierisiko zu erhöhen.
Der Wirkmechanismus von Inhibitoren des Sodium-Glukose-Transporters 2 (SGLT-2-Inhibitoren) führt zu einer gesteigerten Glukose-Ausscheidung über den Harn, die mit einer signifikanten Gewichtsreduktion und Blutdrucksenkung sowie einer Senkung der HbA1c-Werte um 0,5–0,9% im Vergleich zu Placebo einhergeht. Als Nachteil führt Garg ein erhöhtes Risiko für urogenitale Infektionen an (Nisly et al., Am J Health Syst Pharm 2013; 70:311–19), darüber hinaus gelte es im Sinne der Langzeitsicherheit Hinweisen nachzugehen, wonach die Behandlung mit SGLT-2-Inhibitoren mit einem vermehrten Auftreten von Blasen- und Brustkrebs assoziiert sein könnte. Bisher unklar ist laut Garg der Stellenwert der SGLT-2- bzw. SGLT-1-Inhibitoren in der Behandlung des Typ-1-Diabetes.
GLP-1-Analoga (Inkretinmimetika) fördern glukoseabhängig die Insulinsynthese und -freisetzung, vermindern die Glucagonsekretion, verzögern die Magenentleerung, fördern das Sättigungsgefühl und können zu einer Gewichtsabnahme führen. Während kurzwirksame GLP-1-Analoga vorwiegend den postprandialen Blutzuckerspiegel senken, beeinflussen langwirksame Vertreter darüber hinaus auch die Nüchternblutglukose signifikant, fasste Garg die Wirksamkeit zusammen. Derzeit noch laufende Studien untersuchen die kardiovaskuläre Sicherheit der Substanzklasse, die Langzeitsicherheit hinsichtlich Pankreatitis und Pankreaskarzinom ist nicht geklärt. In der Praxis werden GLP-1-Analoga vorwiegend in Kombination mit einem Basalinsulin eingesetzt, aber auch die Kombination mit oralen Antidiabetika ist möglich.
Neu ist eine Formulierung, in der Exenatide in Form unlöslicher Mikrokapseln einmal wöchentlich subkutan verabreicht und von dort kontinuierlich freigesetzt wird. Diese Applikationsform führte bei Patienten mit Typ-2-Diabetes sowohl in Monotherapie als auch in Kombination mit unterschiedlichen oralen Antidiabetika zu einer signifikanten glykämischen Verbesserung und moderatem Gewichtsverlust. Bei Patienten mit einer Basistherapie mit Metformin mit oder ohne Sulfonylharnstoff war der Effekt der einmal wöchentlichen Gabe auf die Blutglukose stärker als titriertes Basalinsulin (Wysham et al., Diabetes Obes Metab 2013; 15:871–81). Gastrointestinale Nebenwirkungen wurden zwar auch hier als häufigste Beeinträchtigung der Verträglichkeit verzeichnet, waren aber seltener als bei herkömmlicher Anwendung.
Bei dieser auch als Gliptine bezeichneten Substanzklasse handelt es sich um orale Inkretine, die den natürlichen GLP-1-Spiegel anheben und deren Wirkmechanismus jenem der GLP-1-Analoga ähnelt. DPP-4-Hemmer sind für die Behandlung des Typ-2-Diabetes untersucht und zugelassen.
Da die Bedeutung von DPP-4-Hemmern bei Typ-1-Diabetes bislang unklar war, erhielten in einer doppelblinden randomisierten Parallelgruppenstudie 141 Patienten mit Typ-1-Diabetes für 16 Wochen entweder Sitagliptin oder Placebo. Obwohl der GLP-1-Spiegel unter Sitagliptin erwartungsgemäß postprandial anstieg, war die Therapie – anders als in kleinen vorangegangenen Studien – nicht mit einer metabolischen Verbesserung oder Verringerung des Insulinbedarfs assoziiert. Einzige Ausnahme waren Patienten mit einem positiven Nachweis von C-Peptid (als Zeichen einer Insulinrestproduktion): Bei Behandlung mit Sitagliptin war ein Trend in Richtung verringerter Hyperglykämie festzustellen (Garg et al., Endocr Pract 2013; 19:19–28). In weiteren Studien soll eine mögliche Rolle der Substanzklasse für die Subgruppe der C-Peptid-positiven Typ-1-Diabetiker untersucht werden, so Garg.
Ziel der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zur Insulintherapie ist, der physiologischen Freisetzung von Insulin aus den Betazellen des Pankreas möglichst nahezukommen und damit nicht nur die glykämische Kontrolle zu verbessern, sondern auch das Risiko für Hypoglykämien zu reduzieren. Einen Schritt in diese Richtung ermöglichen neue, langwirksame Insulinanaloga mit einer geringeren interindividuellen Variabilität und einem flachen Wirkungsprofil.
Insulin degludec ist als Basalinsulin mit einer Wirkdauer von über 42 Stunden das erste ultralang wirksame Insulin auf dem Markt und ist in Europa für Typ-1- als auch für Typ-2-Diabetes zugelassen. In klinischen Studien erzielte Insulin degludec sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes eine mit dem ebenfalls langwirksamen Insulin glargin vergleichbare glykämische Kontrolle, führte aber zu weniger nächtlichen Hypoplykämien. Ein weiterer Vorteil von Insulin degludec ist die Möglichkeit flexiblerer Verabreichungsschemata, ohne die Wirksamkeit und Sicherheit zu beeinträchtigen (Keating, Drugs 2013; 73:57593).
Das langwirksame pegylierte Insulin lispro (LY2605541) konnte in einer Studie mit Typ-2-Diabetikern eine um 48% geringere Inzidenz nächtlicher Glykämien im Vergleich zu Insulin glargin und eine leichte Gewichtsabnahme bewirken (Bergenstal et al., Diabetes Care 2012; 35:2140–47).
Schnell wirksame prandiale Insuline: Probleme beim Einsatz von prandialen Insulinen ist die derzeit noch mangelnde Synchronisierung von Insulinwirkung und postprandialen Glukosespiegeln. Das ultraschnell wirksame inhalative Technosphere Insulin (TI) wird in den Alveolen rasch absorbiert und erzielt eine postprandiale Insulinkonzentration, die jener von Nichtdiabetikern nahekommt (Boss et al., J Diabetes Sci Technol 2012; 6:773–79).
Ein weiterer Ansatz für einen schnellen Wirkeintritt von Insulin, der sich noch im experimentellen Stadium befindet, ist ein intradermal appliziertes lyophilisiertes Hydrogel , aus dem das Insulin freigesetzt wird (Qiu et al., Int J Pharm 2012; 437:51–56).
Prof. Dr. Neal Kaufman (Los Angeles/USA) verwies auf die besonderen Fortschritte auf dem Gebiet der mobilen und webbasierten Anwendungen, die sowohl die Prävention als auch die Behandlung von Diabetes unterstützen – kritisiert aber gleichzeitig die mangelnde Finanzierung durch die Kostenträger. Als Beispiel aus einer großen Anzahl von Publikationen zu diesem Themenkreis wählte Kaufman eine Studie zur Anwendung von internetbasierten Psychoedukationsprogrammen für die Verbesserung der Outcomes bei Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes. Angeboten waren eine Schulung zum Diabetesmanagement und ein Programm zur Verhaltensänderung. Dabei zeigten sich bei Jugendlichen, die beide Programme absolvierten, über einen Zeitraum von zwölf Monaten eine gleichbleibende Lebensqualität und minimal erhöhte HbA1c-Werte. Nach 18 Monaten waren bei Jugendlichen, die beide Programme absolvierten, signifikante Verbesserungen betreffend HbA1c, Lebensqualität, soziale Akzeptanz, Stressempfinden u.a. im Vergleich zu jenen, die nur ein Programm abgeschlossen hatten, zu verzeichnen (Grey et al., Diabetes Care 2013; 36:2475–82). Die Autoren heben als Vorteile internetbasierter Programme hervor, dass sie bei standardisiertem Inhalt eine große Zahl Jugendlicher erreichen können und signifikante Verbesserungen in der langfristigen Gesundheit bei geringem Kostenaufwand bewirken können. Außerdem seien technische Zugänge besonders für Jugendliche attraktiv.