Neues fällt nicht vom Himmel

„Mehr Mut zu Innovationen im österreichischen Gesundheitswesen“ lautete das Thema der Veranstaltung, die bei auslaufender „Delta-Welle“ hybrid ablief. Der Leiter des Gesundheitspolitischen Forums, Dr. Jan Oliver Huber: „Diese Pandemie bleibt die große Herausforderung.“
Nicht nur COVID-19 zeige aber, wie wichtig Zukunftsorientierung sei. „Wir haben ein sehr gut ausgebautes Gesundheitswesen. Es ist wichtig, dass wir diese wesentliche Säule für Gesundheit und Volkswirtschaft für zukünftige Generationen erhalten. Die Demografie ist und bleibt die Herausforderung. Wir müssen mehr in Innovation investieren, nicht nur in Therapien, auch in Strukturen und Prozesse.“ „Academia“, Industrie und öffentliche Hand müssten zusammenarbeiten. „Die Alterung der Bevölkerung gibt den Takt vor.“

Andererseits habe sich gerade in Zeiten von SARS-CoV-2 erwiesen, wie schnell Wissenschaft und Forschung heute in der Entwicklung von Diagnostika und Therapien sein könnten. Und mit E-Medikation, E-Impfpass oder E-Rezept hätte auch die Österreichische Sozialversicherung im Ernstfall rasch reagiert. „Wir können nicht immer auf eine Pandemie warten, damit Innovation schneller stattfindet“, mahnt Huber jedoch. „Wir müssen ihr Raum bieten. Gesundheit ist ein Wachstumsmarkt und bringt bessere Wertschöpfung und ein besseres Leben.“

Der Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), ao. Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann, ging in seiner Keynote Address von den im Thema der Veranstaltung enthaltenen Begrifflichkeiten aus. Mut werde beispielsweise als Fähigkeit definiert, „in einer gefährlichen und riskanten Situation seine Angst zu überwinden“. Die Skala bewege sich jedenfalls zwischen der positiv gesehenen „Beherztheit“ und der eher negativ bewerteten „Waghalsigkeit“.

Neuerungen fördern und zulassen

Innovation hingegen werde beispielsweise als „geplante und kontrollierte Veränderung in einem sozialen System durch Anwendung neuer Ideen und Techniken“ gesehen. „Wir brauchen ein System, das Neuerungen zulässt“, stellte Ostermann fest. Wichtig sei ein Beurteilungsrahmen für den Grad an Originalität. Innovation, das könne aber auch die Anwendung bekannter Verfahren in einem neuen Anwendungsbereich sein. Ostermann: „Die Telemedizin ist ein Beispiel, wie digitale Innovationen die Behandlung grundlegend verändern können.“

Anforderungen für Innovationsstrategien

Für Innovationen im Gesundheitssystem seien jedenfalls regulatorische Anforderungen zu erfüllen, betonte der GÖG-Geschäftsführer. Ostermann zitierte hier drei Kernelemente einer Innovationsstrategie aus Norwegen:


– Die erste Frage sei, welche neuen Therapien und Technologien in das Gesundheitssystem aufgenommen werden sollen. Entscheidende Bedeutung könnten hier Health-Technology-Assessment-Verfahren haben.

– In der zweiten Stufe sei es ganz zentral, als wichtig und nutzbringend beurteilte Innovationen über nationale Leitlinien in die breite Anwendung zu bringen.
– Schließlich benötige man aber wohl immer ein politisch legitimiertes nationales Gremium, das bei der Umsetzung von Innovationen die Prioritäten setze.

Kurzfristig kommt es laut Ostermann auf nationaler Ebene bei solchen Prozessen auf eine frühe Dialogbereitschaft, Transparenz und ein „Commitment“ zu Bewertungsstandards und Verfahren an. Langfristig gehe es um eine gemeinsame und abgestimmte Forschungsagenda mit Prioritätensetzung. Ein langfristiges Ziel müsse auch eine europaweite Abstimmung der unterschiedlichen Preismodelle im Pharmabereich sein.

Vorbild COVID-19-Vakzine

SARS-CoV-2 könnte durchaus einen zusätzlichen Entwicklungsschub gebracht haben. Der GÖG-Geschäftsführer: „Die Pandemie verursachte (im Gesundheitswesen; Anm.) eine forcierte Innovation. Wir mussten improvisieren, man hat zusammengeholfen. Wir sollten schauen, was wir aus der Pandemie an guter Kultur für später mitnehmen können.“
Ein Beispiel sei die Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe, so Ostermann: „Das ist ein ‚best Case‘, jedenfalls ein ‚good Case‘. Wir hatten eine gemeinsame Agenda, das war die Impfstoffentwicklung. Dort konnten wir auf Vorarbeiten zurückgreifen, aber es war für Industrie und Forschung klar, dass man möglichst schnell zu einem wirksamen und sicheren Vakzin kommen musste. Es gab Entwicklungspartnerschaften zwischen Forschungseinrichtungen und Universitäten, Spin-offs und Industrie. In der Bepreisung war klar, dass die Vakzine breit an die Bevölkerung gehen müssen.“

Vinzenz Gruppe inmitten eines Innovationsprozesses

Im Endeffekt geht es um die Patientenversorgung. Dies betonte Dr. Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe mit ihren Krankenhäusern, Reha- und Pflegeeinrichtungen. „Wir betreuen pro Jahr rund 160.000 Patienten stationär und beschäftigen etwa 10.000 Mitarbeiter. Wir haben seit 2015 ein Strategieprogramm bis 2025 laufen“, sagte Heinisch. „Das Programm teilt sich in drei Schritte. Der erste Schritt war eine klare Fokussierung unserer Krankenhäuser. Die kleineren Spitäler haben sich als Fachkliniken auf bestimmte Krankheitsbilder konzentriert. In den großen Krankenhäusern wurden ‚Organzentren‘ geschaffen, in denen fächerübergreifend zusammengearbeitet wird. Der zweite Schritt war, dass wir ‚Gesundheitsparks‘ entwickelt haben. Und schließlich beschäftigt uns die Digitalisierung massivst.“

„Gesundheitspark“: „Das ist eine neue Organisationsform für uns. Es ist ein Netzwerk, in dem das Krankenhaus, niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte, AllgemeinmedizinerInnen, TherapeutInnen, ambulante Rehabilitations- und Pflegeangebote sowie zum Beispiel ‚gesunde‘ Bistros bis hin zu Fitnessstudios als Partner zusammenarbeiten“, stellte Heinisch dar. Räumlichkeiten könnten angemietet werden. Die Partner der Gesundheitsparks sind ausschließlich selbstständig tätig. Das Beispiel des Gesundheitsparks der Ordensklinik Linz: 3.750 Mitarbeiter, 35 niedergelassene Fachärzte (Kassen- und Wahlärzte), 5 Allgemeinmediziner, ein Restaurant, Therapeuten. „Insgesamt arbeiten Vertreter aus 48 Gesundheitsberufen zusammen“, stellte Heinisch dieses innovative Projekt dar.

Eine Frage des ärztlichen Personals?

Der „Ärztemangel“ – eher Defizite bei der (Nach-)Besetzung von Kassenvertragsstellen – stehe immer wieder im Mittelpunkt harter gesundheitspolitischer Diskussionen. ÖVP-Nationalratsabgeordneter Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle, ehemals MedUni-Rektor in Graz, rückte die Zahlen zurecht: „Die Zahl der Ärzte ist in Österreich von 25.000 auf fast 40.000 gestiegen.“ Mit der Medizinischen Fakultät in Linz sei die Zahl der Studienplätze um 300 gestiegen, in den kommenden drei Jahren wolle man in Österreich die Studienplätze um weitere 200 erhöhen.
„Bei den klassischen Fragen von Arbeitszeit und Gehalt hat sich in den vergangenen Jahren in Österreich viel getan“, betonte Smolle. Es gehe jetzt mehr darum, den jungen Ärzten in Ausbildung und späterer Arbeit gemäß ihren Erfordernissen und Wünschen flexibel entgegenzukommen. Sie wollten lernen und ihre Work-Life-Balance umsetzen.
Unumstritten, so Smolle: „Es gibt Schwierigkeiten im Kassenbereich. Es sind rund 360 Kassenarztstellen nicht besetzt. Demgegenüber haben wir rund 10.000 Wahlärzte. Hätten wir die Möglichkeit, einige wenige Prozent ins Kassensystem zu bringen, hätten wir dieses Problem fürs Erste gelöst.“ Auch hier benötige man jede Menge Flexibilität und unterschiedlichste Organisationsformen.

Im Mittelpunkt: Nutzen für Patienten und im Gesundheitswesen Beschäftigte

Eine klare Position bezog beim 121. Gesundheitspolitischen Forum jedenfalls Dr. Katharina Reich, Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium: „Für mich beginnt Innovation dort, wo sie für die PatientInnen spürbar wird, und für die, die mit den PatientInnen arbeiten.“ Egal in welcher Periode des Berufslebens im Gesundheitsbereich, egal in welcher Situation als Patient, Innovation müsse positiv bemerkbar werden.

Dr. Katharina Reich nannte die Vorbereitungen für die in absehbarer Zeit nur im eingeschränkten Ausmaß eintretende Verfügbarkeit der neuen COVID-19-Medikamente (oral) als Beispiel: „Wir stehen da vor Problemen, die total ‚basic‘ sind, für die wir aber noch immer keine Lösung haben. Wie kriegen wir die Medikamente an die PatientInnen? Wie nach einem positiven PCR-Test? Wie machen wir das? Wo ruft der Patient an? Wie wissen wir, ob er eine Indikation für die Medikamente hat? Wir bräuchten wegen der möglichen Wechselwirkungen eine Medikamentenliste.“
Es komme im Gesundheitswesen sehr darauf an, durchaus einfache Probleme zum Nutzen der PatientInnen sowie der Beschäftigten durch Innovation zu lösen. Schließlich, so die Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit: „Der Patient bzw. die Patientin sollte die Digitalisierung des Gesundheitswesens mitmachen können.“ Dies sei nicht altersabhängig, sondern hänge oft von sozialen Faktoren ab. Jedenfalls sei es nicht ausreichend, wenn Patienten noch immer „Bene-Ordner“ an Vorbefunden mit sich schleppten und bei jedem Kontakt ihre „Geschichte“ wieder neu erzählen müssten. „Es fehlt oft an der Endstrecke und am Durchhalten. Innovation ist in Wahrheit die Frage: ‚Wie können wir’s besser machen?‘“