„Neurophobie“ ist der Fachausdruck für die Angst von Medizinstudent:innen vor dem komplexen und (scheinbar) schwer zugänglichen Fach der Neurologie. An der MedUni Wien haben wir versucht, den Neurostatus durch das „3-mal 3 + 3“-Schema (siehe Durchführung eines ausführlichen Neurostatus) zugänglicher zu machen. Aber selbst Kolleginnen und Kollegen, die positivere Gefühle zur Neurologie entwickelt haben, müssen aus Zeitmangel in der Patientenbetreuung die neurologische Statusuntersuchung massiv kürzen. Wir wollen diese Verkürzung unter zwei Gesichtspunkten darstellen:
Um eine noch bessere Systematik in den Kurzstatus zu bringen, erfolgt eine Zuordnung zu den anatomisch-physiologischen Systemen und gleichzeitig eine Reduktion der Untersuchungen auf das absolute Mindestmaß.
Wir prüfen zuerst die Kraft im Seitenvergleich und suchen nach einer muskulären Schwäche (Parese). Die vollständige Lähmung (Plegie) ist dagegen schon auf den ersten Blick durch den völligen Funktionsverlust zu erkennen. Die Kraft kann bei allen Muskeln geprüft werden, das absolute Mindestmaß ist aber der Arm-Vorhalteversuch (beide Arme für einige Sekunden bei geschlossenen Augen nach vorne gestreckt – Handflächen nach oben) – ein Absinken oder das Pronieren einer Seite deckt den Kraftverlust auf. Für die Beine empfiehlt sich das Hochdrücken in den Zehenspitzenstand, eine Kniebeuge und gestrecktes Heben beider Beine aus der Rückenlage, um im Seitenvergleich ein Kraftdefizit zu erkennen. Wenn wir eine Parese erkannt haben, muss ihre Genese fachärztlich weiter abgeklärt werden.Wenn wir in der zweiten Stufe noch selbst die Differenzierung zwischen zentraler (Gehirn, Rückenmark) und peripherer (spinale Nervenwurzel, peripherer Nerv, Muskel) Parese durchführen wollen, können wir eine Steigerung des Muskeltonus (Spastik) und der Muskeleigenreflexe sowie ein positives Babinski-Phänomen (Dorsalflexion Großzehe) bei zentralen Paresen feststellen.
Einen guten Überblick gewinnen wir durch das Bestreichen der Extremitäten mit den Fingern (oder einem Wattebausch) im Seitenvergleich zur Feststellung einer zentral bedingten Störung. Zum ausführlicheren Neurostatus gehören die Untersuchung der Schmerzempfindung (etwa mit der Spitze eines abgebrochenen Holzwattestäbchens), der Temperatur- und der Vibrationsempfindung. Zur Differenzierung von sensiblen Störungen der Nervenwurzeln und der peripheren Nerven ist die Kenntnis der Dermatome und der Hautversorgungsareale der peripheren Nerven notwendig (Vergleich der einzelnen Areale).
Es zeigen sich meist komplexe Kombinationen von motorischen und sensiblen Ausfällen sowie Läsionen von Hirnnerven. Das Betroffensein von Hirnnerven zeigt sich oft schon in Anamnesefragen – Geruchsminderung? (I), Gesichtsfeldeinschränkungen oder -ausfälle (II), Doppelbilder (III, IV, VI), Drehschwindel (VIII), Sprech-und Schluckstörung (IX, X). Untersuchen sollten wir die oberflächliche Sensibilität in den drei Etagen des Gesichts (V) im Seitenvergleich, die Fähigkeit zum Stirnrunzeln, Lidschluss und der Zähne im Seitenvergleich (VII) und das gerade Herausstrecken der Zunge (XII).
Finger-Nase-Versuch zum Vorliegen einer Ataxie: Dabei wird der gestreckte Zeigefinger bei geschlossenen Augen langsam zur Nasenspitze geführt und beobachtet, ob es zu einer glatten oder im pathologischen Fall zu einer ruckelnd-unsicheren (ataktischen) Bewegung kommt. Auch ein pathologischer Romberg-Stehversuch (mit geschlossenen Augen und geringer Standfläche) kann eine Stand-ataxie als zerebelläres Phänomen aufdecken.
Wir überprüfen die zeitliche (Tag, Monat, Jahr) und örtliche (Land, Bundesland, Ort, Gasse) Orientierung, anschließend die Gedächtnisfunktion (Merken von 3 Gegenständen – z. B. Blume, Schlüssel, Ball –, anschließend Ablenkung durch Rechenaufgabe: 100 – 7, 93 – 7 usw., dann Abfrage der 3 Gegenstände) und Fähigkeit zum Zeichnen eines Uhrenzifferblatts (15:30 Uhr), um erste Hinweise auf Demenz zu erhalten. Aphasie zeigt sich durch Sprachverarmung und/oder Sprach-Verständnisstörung (einfache Aufgaben: z. B. linker kleiner Finger ans rechte Ohr) oder Benennungsstörungen (Kugelschreiber, Schlüsselbund).
Ohne Zweifel würden Neurologinnen und Neurologen immer für die Durchführung eines ausführlichen, kompletten Neurostatus plädieren (ausführliche Beschreibung von Eva Hilger siehe siehe Durchführung eines ausführlichen Neurostatus). Aber jede verkürzte neurologische Untersuchung durch Nichtneurologinnen und Nichtneurologen ist für die Betroffenen zweifellos sicherer als – aus Zeitmangel oder Unsicherheit – gar keine („Neurostatus grobklinisch o. B.“!). Für den beschriebenen Neurostatus der großen Systeme werden ca. 5 Minuten benötigt. Die bestätigende Untersuchung beim anamnestischen Vorliegen eines neurologischen Syndroms sollte nicht länger als 2 Minuten dauern.