Niedrige Frauenquote sorgt für Diskussionen in der Ärztekammer

„Die Ärztekammer sollte das Bild der Ärzteschaft widerspiegeln, und da gibt es nun mal fast 50 Prozent Frauen“, meint Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied, Ärztin für Allgemeinmedizin und Stellvertretende Kurienobfrau für den niedergelassenen Bereich der Ärztekammer Wien. Von rund 47.000 Mediziner:innen in Österreich sind 23.102 Frauen. Nur drei davon sind in Führungspositionen der Kammern als Kurienobfrauen tätig. In der jüngeren Generation hat sich das Blatt schon gewendet: Mit 1. Mai waren 54,87 % der ordentlich gemeldeten Studierenden an der MedUni Wien Frauen. Obwohl also fast die Hälfte der ärztlichen Fachschaft und mittlerweile ebenso mehr als die Hälfte der Nachwuchsmediziner:innen weiblich ist, bleibt die Ärztekammer – zumindest in den höheren Positionen – überwiegend männlich.

Männernetzwerke

„Die Ärztekammer ist eine sehr männerlastige Domäne, und diese Männer sind auch viel besser vernetzt als die Ärztinnen. Das hält viele Frauen davon ab, sich hier zu engagieren. Vor allem für jene mit Familie ist eine Tätigkeit in der Standesvertretung eine Zusatzaufgabe“, erklärt Dr.in Alexandra Rümmele-Waibel, MSc., Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und Obfrau der Kurie für den niedergelassenen Bereich der Ärztekammer Vorarlberg. Ihre Kollegin Dr.in Martina Hasenhündl, Obfrau der Kurie des niedergelassenen Bereichs der Ärztekammer Niederösterreich, sieht das ähnlich: „Wir haben im vergangenen Wahlkampf gesehen, wie schwierig es ist, vor allem junge Frauen zu finden. Die Argumentation ist auch durchaus schlüssig: Ich bin berufstätig, ich habe Kinder, einen Mann, führe einen Haushalt. Da ist es schwierig, sich gleichzeitig in der Standesvertretung zu engagieren.“ Aus Kärnten wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass es natürlich schwierig sei, mit kleinen Kindern und Vollzeitjob nebenbei politisch tätig zu sein, dennoch gäbe es aber genug Alternativen: „Einerseits habe ich in Kärnten sehr wohl Jungkolleginnen mit kleinen Kindern erlebt, die sich politisch engagieren. Andererseits gibt es auch genug Frauen, die auf Landesebene mitarbeiten, die aus dem Kinderbetreuungsalter draußen sind. Aber man kann keine Frauen finden, wenn man nicht nach ihnen sucht. Mich macht das sehr zornig, das ist einfach respektlos gegenüber der Hälfte der Kolleg:innen“, ärgert sich Dr.in Petra Preiss, Fachärztin für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Gefäßchirurgie und Herzchirurgie sowie Kurienobfrau für den angestellten Bereich und 1. Vizepräsidentin in der Ärztekammer Kärnten.
Die Kritik führt nun auch zu Diskussionen innerhalb der Kammer. Bei der Wahl zur ÖÄK wurden ausschließlich Männer ins Präsidium gewählt. Weil sich auch in der Bundeskurie der angestellten Ärzt:innen keine Frau findet, gab es Proteste aus einigen Bundesländern. Die Vertreter:innen aus Niederösterreich, Salzburg, Kärnten und Vorarlberg forderten eine Wiederholung der dortigen Wahl, nachdem sie aus Protest gegen die Zusammensetzung des Gremiums vor der Wahl den Raum verlassen hatten. Grund für den Protest der vier Bundesländer war, dass aus ihrer Sicht Frauen und Ärzt:innen in Ausbildung unterrepräsentiert sind. Der wiedergewählte Bundeskurienobmann Dr. Harald Mayer legte in der Folge ein Rechtsgutachten vor, das die Wahl als korrekt bestätigte und wies die Kritik zurück.

Vorurteile als Klotz am Bein

Laut Hasenhündl stecken hinter den Entwicklungen veraltete Rollenbilder, die es Ärztinnen erschweren, Karriere zu machen und sich auch neben Beruf und Familie in der Ärztekammer einzusetzen. „Es ist viel schwieriger, einer Mutter diesen Freiraum für Standespolitik zuzugestehen als den Kollegen. Dort ist es selbstverständlich, dass der Papa sich zusätzlich noch in der Standespolitik engagiert“, weiß auch ihre Stellvertreterin Dr.in Dagmar Fedra-Machacek, Kassenärztin für Allgemeinmedizin. Kollegin Dr.in Krista Ainedter-Samide, Fachärztin für Dermatologie und ebenfalls Stellvertretende Kurienobfrau des niedergelassenen Bereichs, stimmt zu und möchte durch ihre Position zeigen, dass es dennoch möglich sein kann: „Engagiert man sich in der Standesvertretung, ist der Wunsch dahinter meist, Veränderung hervorzurufen und den Kolleginnen zu zeigen: Wenn ich das schaffe, dann schaffst du das auch.“ Hasenhündl sieht es als Aufgabe der einzelnen Fraktionen in der Ärztekammer, sich „darum zu kümmern, dass sich Frauen in der Standesvertretung engagieren“ und auch Führungspositionen bekommen – und zwar nicht nur, wenn es um „Frauenthemen“ geht.

Steinhart bedauert Situation

Der neue Präsident der ÖÄK, MR Dr. Johannes Steinhart, nimmt die Kritik durchaus wahr und will Lösungen suchen. „Die Ärztekammer bietet heute bei der politischen Mitwirkung von Ärztinnen ein gänzlich anderes Bild als in der Vergangenheit, als auch unsere Kammer sicherlich ein Spiegel der jeweiligen gesellschaftlichen Realitäten war. Doch auch früher gab es Ärztinnen in Spitzenpositionen. Ich bedaure in diesem Zusammenhang sehr, dass wir jetzt eine Reihe bewährter, langjähriger Funktionärinnen aus Pensionierungsgründen verlieren.“ Besonders in der vergangenen Funktionsperiode und bei den jüngsten Wiener Kammerwahlen, aber auch schon bei früheren Wahlen habe sich die Situation „sehr deutlich verändert“, und inzwischen engagieren sich in der Standesvertretung „eine große Anzahl an Ärztinnen“.

Neue Lösungen gesucht

„Einige engagierte Kolleginnen haben nach den Wahlen aus familiären Gründen Spitzenpositionen, die wir ihnen angeboten haben, nicht angenommen und haben sich nicht für repräsentative Positionen entschieden, sondern für operante, zum Beispiel in Sektionen oder Kurien.“ Für ihn, Steinhart, gehe es darum, für neue Funktionärinnen grundsätzlich offen zu sein und auch deren jeweilige Lebensumstände zu berücksichtigen. „Es gibt Lebensphasen, in denen ein zusätzlicher zeitlicher Aufwand für die Kammer individuell schwierig sein kann. Wir bemühen uns auch deshalb, die Funktionärsarbeit zunehmend so zu gestalten, dass sie praktikabler wird und sich mit dem Beruf und dem Privatleben möglichst gut vereinbaren lässt, zum Beispiel durch Digitalisierung und Videokonferenzen.“ Eines seiner Ziele sei eine noch „professionalisiertere Leistungskammer“, und dazu gehörte auch die Schulung von Funktionär:innen. „Wir planen zum Beispiel professionelle Weiterbildung, unter anderem in der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Innovative Impulse erwarte ich mir hier auch vom neu gegründeten Referat für Öffentlichkeitsarbeit in der ÖÄK, das von einer Kollegin geleitet wird.“

Mentorin-Programm in Niederösterreich

Die Ärztinnen der Ärztekammer Niederösterreich sind sich einig, dass noch mehr getan werden muss. Jungen Kolleginnen wollen sie durch ein geplantes Mentoring-Programm bei der Karriereplanung unter die Arme greifen, wo Primarärztinnen als Mentorinnen für Jungmedizinerinnen zur Verfügung stehen sollen. Durch das ebenfalls neu einberufene Referat für Rechtsfragen, Antidiskriminierung und Genderfragen wollen sie außerdem einerseits Frauen, andererseits aber auch anderen unterrepräsentierten Gruppen in der Fachschaft (Rechts-)Beistand leisten. Ihre Wiener Kollegin Kamaleyan-Schmied ist durch die Veränderungen der letzten Jahre positiv gestimmt und sieht in der jüngeren Generation der Ärztinnen viel Potenzial: „Es sind zwar nach wie vor mehr Männer in Führungspositionen, aber die neue Generation an Frauen ist schon anders. Die fördern und unterstützen sich gegenseitig. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.“