Und wieder sind wir im „Lockdown“, obwohl wir gehofft haben, dass die Pandemie heuer mit der Impfung ein Ende haben wird. Wir erleben eine beunruhigende Situation. Es gibt die Möglichkeit, mittels Impfung die Pandemie zu beenden – zumindest in den glücklichen Ländern, die über genügend Impfstoff verfügen können. Aber ein Teil der Bevölkerung in Österreich verweigert sich, sodass wir den nötigen Schwellenwert noch immer nicht erreichen. Viele sicherlich aus Angst und Unsicherheit – aus einer Unsicherheit, die allerdings von einer kleinen Minderheit genährt und befeuert wird. Mit den Fantasien, die entstanden sind und sich hartnäckig halten, ist schwer umzugehen, das erfahren wir alle laufend in unseren Praxen. Dennoch ist der Teil der Ängstlichen, Besorgten, Unentschlossenen wahrscheinlich noch erreichbar. Nicht erreichbar sind diejenigen, die aus diversen Gründen eine tiefe Spaltung anstreben. Das sind nicht sehr viele, aber sie sind laut und finden großes mediales Echo. Auch die Impffrage wurde zum Politikum gemacht. Ein Politiker gibt, ohne auch nur den Schatten eines medizinischen Basiswissens zu haben, absurde und gefährliche Therapieanweisungen und dilettiert als Gesundheitsberater. Er hat damit Erfolg: Menschen folgen ihm – und sie erleiden Schaden. Wie jemand damit lebt, Todesfälle und schwer und lange leidende Menschen aus zweifelhaften Motiven verantworten zu müssen, ist mir als Arzt unverständlich.
Unverständlich ist mir auch, dass Ärzte und Wissenschafter Stimmung gegen die Impfung machen, mit Argumenten, die längst nicht mehr nachvollziehbar sind. Auch diese müssen den „Erfolg“ ihrer Aktivitäten verantworten.
In vielen Gesprächen argumentieren verunsicherte Menschen in diesem Land, dass es auch viele Ärzte und Professoren gibt, die gegen die Impfung sind. Das ist nur bedingt richtig, es ist eine absolute Minderheit, nur bieten ihnen Zeitungen und einschlägige TV-Sender eine Plattform, um ihre wissenschaftlich nicht gedeckten persönlichen „Meinungen“ verbreiten zu können. Es geht aber nicht um „Meinungen“, es geht um das, was wir wissen, und darum, wie wir dieses Wissen bewerten und einschätzen.
Wir sehen und erleben die Folgen dieser Pandemie täglich, mit beiden Augen und einer zunehmenden Verzagtheit. Wir sehen unsere teils schwerkranken COVID-Patienten in den Ordinationen. Wir sehen, dass Überbelegung der Intensivbetten eine Realität ist und es zu einer deutlichen Sterblichkeit, mittlerweile auch von jungen Patienten kommt. Wir sehen die massive Be- und Überlastung von Pflegepersonen, Ärztinnen und Ärzten, Reinigungskräften. Wir sehen, wie die Lockdowns und Einschränkungen uns alle erschöpfen, wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Schaden anrichten. Wir sehen auch, dass die Durchimpfung inklusive des 3. Stichs diese Situation beenden könnte – zumindest für die jetzigen Varianten. Und auch für zukünftige wird, ggf. durch Anpassung, die Impfung Abhilfe schaffen. Und wir fordern jede:n auf, der andere daran hindert oder zu hindern versucht, seinen/ihren Beitrag zu dieser gemeinsamen gesellschaftlichen Anstrengung zu leisten, die Verantwortung für sein/ihr Tun und Reden zu übernehmen: für jede:n Infizierte:n, der/die Arbeitszeit verliert und möglicherweise andere, Gefährdetere ansteckt, für jede:n vermeidbar Erkrankte:n, für jede:n, der an Long-COVID verzagt, für jede:n vermeidbar Verstorbene:n.
Impfung gegen COVID-19 wirkt, auch wenn wir Impfdurchbrüche erleben. Im internationalen Vergleich stehen jene Länder am besten da, die eine hohe Impfrate aufweisen, die entscheidende Wirksamkeit des 3. Stiches ist exzellent belegt.
Viele COVID-Skeptiker, -Leugner und Parteien, die sie vertreten, berufen sich auf die Grundrechte, die in der österreichischen Verfassung verankert sind; diese Leute meinen Freiheit und Grundrechte nur für sich, aber nicht für die anderen. Grundrechte sind eine Basis unserer Demokratie, und als bekennendem Demokraten sind sie mir sehr wichtig. In dieser Diskussion wird allerdings das Thema Grundrechte missbraucht. Als Bürger dieses Landes habe ich das Grundrecht auf Gesundheit und die Verpflichtung, die Gesundheit und das Leben anderer zu schützen. Im Epidemiegesetz ist auch ganz klar geregelt, dass einschränkende Maßnahmen gesetzt werden dürfen, um Seuchen einzudämmen. Das ist gelebte Demokratie und nicht die Diktatur, die manche gerne heraufbeschwören wollen.
Nur mit einer gemeinsamen, solidarischen Anstrengung werden wir es schaffen, diese Pandemie in den Griff zu bekommen.