Mit Leib und Seele – Körper und Geist

Die ÖGPAM-Präsidentin Dr.in Barbara Hasiba begrüßte alle anwesenden und zugeschalteten Teilnehmer:in­nen und betonte, dass diesem in Zeiten der Unsicherheit so wichtigen Thema der heurigen Tagung hier in Salzburg Raum zur Erörterung ermöglicht wurde.

Skepsis und Vertrauen – Facetten zwischenmenschlicher Begegnung

Univ.-Prof DDr. Reinhold Esterbauer, Professor am Institut für Philosophie an der Katholisch-Theo­logischen Fakultät Graz nahm uns Ärztinnen und Ärzte auf eine kleine philosophische Reise mit. Der Mensch sei schwankend zwischen der Suche nach Sicherheit und der Lust, ein Risiko wagen zu wollen. Bereits René Descartes habe – nach dem Vorbild der Mathematik – in den Wissenschaften Sicherheit gesucht. Im Arzt-Patienten-Gespräch kommt nach Esterbauer von beiden Seiten der Wunsch nach Sicherheit. Skepsis von Seiten der Patient:innen sollten wir respektvoll begegnen, denn im Zweifel und der Skepsis gewinne der Mensch, die Patient:innen, ICH-Sicherheit. So werde sie/er zum Nachdenken angeregt („dubito/cogito, ergo sum“) und dazu geführt, Eigenverantwortung zu übernehmen. Das Vertrauen hingegen sei asymmetrisch und gehe von einer Seite der Gesprächs­par­tner:in­nen aus. Es mache vulnerabel und zwinge einen, das Risiko einzugehen, seinem Gegenüber Vertrauenswürdigkeit zuzugestehen. In zahlreichen Beispielen aus den personellen Bereichen Partnerschaft, Geschäftsbeziehungen und Pflege sowie aus dem Einsatz von Robotern in der Medizin, Pflege und Kinderbetreuung wurden die Paradoxa zwischen Skepsis und Vertrauen beleuchtet. Das „transhumanistische Projekt“ wolle zukünftig die leibliche Endlichkeit überwinden, den Menschen optimieren und schließlich durch Maschinen ersetzen. Damit werde aber die menschliche Individualität gefährdet. Die Eröffnung dieses technischen Zukunftsraumes brauche ein hohes Maß an Verantwortung, könnten doch persönliche Begegnungen von Antlitz zu Antlitz keine Ethik mehr grundlegen. Der Schlusssatz war: „Die letzte Gewissheit gibt es nicht, umso wichtiger ist personales Vertrauen.“

Gesundheit und Krankheit gestalten Beziehungen durch

… Lebensalter und Prognose:

MR Dr.in Andrea Bitschnau-Friedl erzählte eine sehr berührende Fallgeschichte aus ihrer Ordination: Eine „sich vom Leben benachteiligt fühlende“, 44-jährige Landwirtin bewältigt nach einer infausten Prognose zunächst das Stadium der Resignation und hat dann noch bis zu ihrem Lebensende die Kraft, Veränderungen im eigenen Leben und im familiären Umkreis durchzukämpfen.

… das Wesen der Erkrankung:

Stigmata, Krankheitsakzeptanz, ­Leidensdruck und schubladisierendes Denken beein­flussen die Beziehungen zu unseren Patient:innen, wie Dr. Benedikt Hofbaur referierte, ebenso, wie die Begegnung mit den Patient:innen im Kleinkindalter, während ihrer Pubertät oder im fortgeschrittenen Alter. Am Beispiel der Depression zeigte er die Wichtigkeit, den persönlichen Lebensentwurf der Pati­ent:in­nen kennenlernen zu wollen, aus der Negativspirale der Defizitbenennung herauszukommen, um sie dann zu eigenen Lösungsversuchen anzuregen.

… die Besonderheit von Symptomen:

MR Dr.in Evelin Fürthauer spannte den ­Bogen ihres Referats von den akut lebens­bedrohlichen über harmlose zu sehr komplexen Symptomen, die ängstlich-zurückhaltend bis theatralisch-aggressiv von den Patient:innen präsentiert werden und damit die gesamte Palette der Emotionen widerspiegeln. Symptome können individuell als Lösungsversuch, Ressource oder Ausgangspunkt für Veränderung gesehen werden. Eine zu rasche Diagnosestellung behindert, dass sich Patient:innen damit auseinandersetzen.

Sexualität und der nichtperfekte Körper

Dr.in Marianne Greil-Soyka (links im Bild, gemeinsam mit Dr.in Johanna Leitner und Dr.in Elisabeth Wejbora, die durch den Vormittag führten) sprach im ersten Teil ihres Vortrags über die Merkmale humaner Sexualität, die neben der Fortpflanzung lebenslang als „Sprachorgan“ und Mittel zur Kommunikation dient. Zum „great sex“ ist die organische sexuelle Funktionsfähigkeit gar nicht nötig, essenziell sind aber neben der sexuell-erotischen Intimität Vertrauen, Aufmerksamkeit, eine intensive emotionale Verbindung und gute partnerschaftliche Kommunika­tion. Der mittlere Vortragsteil war der wichtigen Arzt-Patienten-Kommunikation über das Thema Sex gewidmet, welche Hürden dabei sowohl von Patientinnen und Patienten als auch von uns Ärzt:innen zu überwinden sind. Besonders auch bei an Krebs erkrankten Frauen sei die Sexualanamnese ein unerlässlicher Teil des ärztlichen Gesprächs. Im Anschluss an den Vortrag wurden die drohenden gesellschaftlichen Veränderungen – besonders bei Jugendlichen – durch den zunehmenden Konsum von Gratis-Porno-Filmen heftig diskutiert.

Die Bandbreite des Gesunden

An den Beginn ihres Vortrags stellten Dr.in Ursula Doringer und Dr. Thomas Jungblut das Nietzsche-Zitat: „Gesund­heit ist das Maß an Erkrankung, das mir erlaubt, meinen Be­schäf­ti­gungen nach­zu­gehen.“ Die WHO-Definition wurde in Vergleich mit dem biopsychosozialen Ansatz von Gesundheit und dem salutogenetischen Konzept nach Antonovsky, einem hilfreichen Werkzeug im Praxisalltag, gesetzt. Das vorgeführte Video des Rappers Graf Fidi zeigte, dass ein ganzheitlicher Ansatz zur Bewahrung von Gesundheit und Bewältigung von Krankheit wichtig ist und alle Synergien dazu genützt werden müssen.

„Gift und Galle“ – Metaphern im ärztlichen Gespräch

Nach der Mittagspause führte Dr.in Barbara Degn durch das Programm. Dr.in Renate Hoffmann-Dorninger und Dr.in Barbara Hasiba zeigten anhand einer Fülle von Metaphern („die Galle kommt hoch“, „an die Nieren gehen“, „Kopfschmerzen – als ob der Hut zu klein wäre“ u. v. a.), dass Sprachbilder etwas schwer Benennbares sichtbar machen können sowie Brücken vom Erlebten zum Erzählten bauen und Metakommunikation ermöglichen können. Die metaphernspendenden Bereiche können beispielsweise die Natur (Frühjahrsmüdigkeit und Winterdepression), die Kunst (Schwarzmalerei), Musik (der Himmel voller Geigen), aber auch Sport und Kampf („sich durchs Leben boxen“) sein. Besonders wurden die Metaphern aus dem inneren körperlichen Erleben („etwas stößt sauer auf“, „außer sich sein“) sowie aus ­äußeren Kontexten („im Dunkeln tappen“, „etwas schnürt die Kehle zu“) zur Sprache gebracht. Auch somatische Metaphern werden oft zur Problemäußerung genutzt („der Magen/die Blase als Schwachstelle“). Im ärztlichen Gespräch können sie wertvoll sein, wenn sie von beiden ähnlich gebraucht und verstanden werden, sie ­ermöglichen genaues Explorieren und Fokussieren, weisen auch auf Ressourcen hin. Statt rascher Deutungen und einengender Kommentare kann gemeinsam nach Lösungen und Möglichkeiten im Bildgesucht werden.

Im Anschluss fanden drei Workshops zu den Themen „Die Sprache der Sexualität“ (Dr.in Marianne Greil-Soyka), „Berührung berührt“ (MR Dr. Reinhold Glehr) und eine themenzentrierte Balintgruppe „Dem Körpergefühl Bedeutung geben“ (MR Dr. Bernhard Panhofer und Dr.in Susanne Felgel-Farnholz) statt.

Der stimmungsvolle und berührende Nachhall zum Abschluss war ein Zwei-Personen-Stück, „Gute Bes­serung“, nach Franz Xaver Kroetz, gespielt von MR Dr. Bernhard Panhofer und Nina ­Lukas.