Die Frage, wer eigentlich Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Problemen betreuen und behandeln darf, sorgt weiter für Debatten: Der aktuell vorliegende Entwurf für das Psychotherapiegesetz führt jetzt zu Unmut und Kritik seitens der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und einschlägiger Fachgesellschaften.
Sie warnen vor „Fehlentwicklungen“, die zu Versorgungsmängeln und einer „deutlichen Verteuerung“ des Systems führen könnten, wie ÖÄK-Präsident OMR Dr. Johannes Steinhart im Rahmen einer Pressekonferenz ausführte. „Eines der Kernprobleme ist die geplante künstliche Abtrennung der Psychotherapie von der psychosomatischen Medizin und der Psychiatrie. Das widerspricht dem internationalen Stand der Wissenschaft, wonach Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie geeint werden sollten und jeder Bereich vom anderen lernen soll“, betonte Steinhart, der Österreich deshalb auf einem „absurden Sonderweg“ sieht.
Auch Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata, em. Professor für Sozialpsychiatrie an der MedUni Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (ÖGSP), betonte einen fehlenden ganzheitlichen Ansatz. Im geplanten Gesetz solle bestimmt werden, dass „psychotherapeutische Versorgung als Krankenbehandlung bei akuten und chronischen Krankheitszuständen Teil des psychotherapeutischen Berufs sei“, hielt Wancata fest.
Das wecke seiner Meinung nach den Eindruck, dass Psychotherapie für alle Formen und Schweregrade aller psychischen Erkrankungen geeignet und indiziert sei, was internationalen Leitlinien widersprechen würde. „Hintergrund für diese differenzierte internationale Beurteilung ist, dass keine einzige Behandlungsform – auch nicht Psychotherapie – bei allen psychischen Krankheiten, bei allen Krankheitsstadien und bei allen Schweregraden einen Wirksamkeitsnachweis erbringen kann“, betonte der ÖGSP-Präsident.
Ein weiterer Knackpunkt der geplanten Psychotherapie-Gesetzesnovelle ist laut ÖÄK und Fachgesellschaften die Umstellung bei der Psychotherapieausbildung. Derzeit findet diese an Privatuniversitäten und privaten außeruniversitären Ausbildungseinrichtungen statt, an Universitäten gab es bisweilen nur fallweise kostenpflichtige Lehrgänge. Mit der Novelle soll die Ausbildung ab 2026 über ein zweijähriges Masterstudium auch an die öffentlichen Universitäten kommen – was von der Ärztekammer grundsätzlich begrüßt wird. Voraussetzung für einen der bis zu 500 Studienplätze pro Jahr soll ein fachlich einschlägiges Bachelorstudium wie z. B. Medizin sein. Universitäten können außerdem eigene Bachelorstudien anbieten. Von der Ärztekammer und Fachgesellschaften heftig kritisiert wird aber der geplante dritte Ausbildungsteil, die postgraduelle psychotherapeutische Fachausbildung. „Während Psychiater:innen erst nach sechsjährigem Studium und sechsjähriger Facharztausbildung erstmals frei niedergelassen behandeln dürfen, soll es Psychotherapeut:innen in Ausbildung schon ab Anfang ihrer Ausbildung, also nach fünf Jahren, unter – zumeist zeitlich und örtlich – getrennter Supervision möglich sein, zu behandeln“, zeigte sich Prof. Dr. Dietmar Bayer, Stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, irritiert.
Er betonte in diesem Zusammenhang, dass Psychotherapie hochkomplex sei und schwere Nebenwirkungen haben könne. Die in der Verordnung definierten 500 Einheiten der praktischen Ausbildung seien außerdem auf der einen Seite „deutlich zu wenig“, um psychisch kranke Menschen eigenverantwortlich behandeln zu dürfen. Auf der anderen Seite sollen die Einheiten laut Entwurf in einem „klinikartigen Setting“ stattfinden – ein laut Bayer „unklar definiertes“ Wording.
Prim.a Dr.in Christa Rados, President elect der Österreichischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP), forderte, dass zumindest ein Teil der Ausbildung verpflichtend in Einrichtungen der psychiatrischen Krankenbehandlung stattfinden sollte. „Dies ist jedoch im vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen, wodurch eine Ausbildung von Psychotherapeut:innen an der Medizin und speziell an der Psychiatrie vorbei ermöglicht wird. Das würde sich mit Sicherheit zum Nachteil von vielen psychisch erkrankten Menschen auswirken“, ist Rados überzeugt.
Zudem würde die wechselseitige Anrechenbarkeit der Ausbildungen nicht zusammenpassen. Dem vorliegenden Gesetzesentwurf entsprechend müssten Ärzt:innen im Anschluss an ihre Facharzt- oder psychotherapeutisch-medizinische Ausbildung zusätzlich die komplette praktische Ausbildung nach dem Psychotherapiegesetz absolvieren, kritisierte Rados. „Diese nicht nachvollziehbare Verdoppelung von Ausbildungsinhalten wäre eine enorme Verschwendung finanzieller und personeller Ressourcen. Das wird niemand machen.“ Rados befürchtet, dass sich dadurch der Fachkräftemangel in den Bereichen (Kinder- und Jugend-)Psychiatrie noch verschärfen könnte.
Aufgrund der vorgebrachten Kritikpunkte formulierte die Österreichische Ärztekammer mehrere Kernforderungen, die in einer Stellungnahme zum Gesetzestext bereits dem Ministerium übermittelt wurden. Darin wird unter anderem gefordert, dass ein abgeschlossenes Medizinstudium dem Abschluss des ersten AusbiIdungsabschnittes gleichzusetzen ist sowie eine Gleichstellung von Fachärzt:innen für Psychiatrie und Kinderpsychiatrie und von Ärzt:innen mit entsprechender Spezialisierung beziehungsweise mit PSY-3-Diplom mit den Berufsangehörigen der Psychotherapie. Sie sollen auf Antrag ohne Prüfung in die Berufsliste aufgenommen werden. Ebenso sollen Ordinationen beziehungsweise Gruppenpraxen dieser Ärzt:innen psychotherapeutischen Lehrpraxen gleichgestellt werden. Die ÖÄK verlangt in ihren Forderungen außerdem eine Klarstellung, dass hinsichtlich der Ausübung des psychotherapeutischen Berufs grundsätzlich immer nur die psychotherapeutische Behandlung gemeint ist. Diese sei immer durch eine:n Ärzt:in anzuordnen. Darüber hinaus müsse klargestellt sein, dass Psychotherapie und die von Psychotherapeut:innen angewandten Therapien nur dort eingesetzt werden dürfen, wo es ausreichend Evidenz gibt.
Aus den Regierungsparteien ist zu hören, dass eine Überarbeitung durchaus denkbar und auch gewünscht ist. Hinter den Kulissen wird argumentiert, dass man seit Beginn der ÖVP-Grüne-Koalition auf eine einheitliche und breit abgestimmte Lösung dränge, sich bisher aber alle Beteiligten nicht einigen konnten. Der Gesetzesentwurf könnte somit auch ein letzter Versuch sein, noch in der laufenden Legislaturperiode eine Einigung zustande zu bringen. Ob das gelingt, war zu Redaktionsschluss dieser Zeitschrift noch offen.