Das Wichtigste ist, dass sich in diesem Jahrzehnt eine echte Interdisziplinarität entwickelt hat. Das Zusammenwirken der Fächerwurde im Vergleich zu vorher optimiert. Das hat auch auf therapeutische Konzepte unmittelbare Auswirkungen, denn natürlich führt die enge Zusammenarbeit zwischen Fächern, die sich früher misstrauisch beäugten, zu zahlreichen Konzepten wie der neoadjuvanten Therapie, was zum Organerhalt führt. Brustkrebs, Mastdarmkrebs, Extremitätensarkome, abdominelle Karzinome – die Änderungen diesbezüglich sind letztlich alle vom gleichen Prinzip: Die medikamentöse Tumortherapie wurde von ganz hinten im Behandlungskonzept nach vorne gezogen, sogar vor den operativen Eingriff, mit dem Zusatzvorteil, dass für die Patienten nicht nur Heilung, sondern auch verbesserte Lebensqualität, z.B. nicht Amputation einer Brust, oder Mastdarmentfernung und damit künstlicher Ausgang lebenslang, sondern organerhaltendes Operieren dadurch möglich wurde. Das ist nur ein Beispiel, wie sich die Interdisziplinarität tatsächlich auf eine Änderung der Behandlungskonzepte ausgewirkt hat.
Das zweite Prinzip dieses Jahrzehnts ist die zielgerichtete Therapie. Immer häufiger gelingt es, sozusagen nicht mit einer großen Kanone wild in die Gegend des Feindes zu schießen, sondern anhand von Biomarkern sehr genau jene Patienten zu identifizieren, die von einer bestimmten Neuentwicklung – da geht es jetzt sehr stark um medikamentöse Therapien, die meistens auch nicht billig ist – auch wirklich profitieren. Das ist einerseits insofern revolutionär, als sich die Forschung mit solchen Konzepten in den klinischen Behandlungsablauf integriert und diesen direkt umsetzt, andererseits ist es auch so, dass hier ein völliges Umdenken z.B. bei der Industrie stattgefunden hat.
Solche Konzepte waren vor zehn Jahren noch ziemlich verpönt, weil logischerweise der zielgerichtete biomarkerdefinierte Markt viel kleiner ist, aber sie haben sich nun doch richtigerweise im Wesentlichen durchgesetzt. Das ist ein Fortschritt, denn Medikamente für Krebs sind so teuer, dass es niemals durchsetzbar wäre, sie für alle Patienten zu entwickeln ohne genau zu wissen, bei wem sie wirken.
Das dritte große Prinzip, das sich in diesem Jahrzehnt als richtig herausstellte und auch schrittweise dabei ist, etabliert zu werden, ist das der Zentrumsonkologie. Wir wissen heute, dass in dem Spannungsfeld zwischen wohnortnaher Versorgung und Zentrumsmedizin eindeutig bessere Ergebnisse für Letztere gibt. Die Onkologie ist ein Vorreiter davon, und es setzt sich langsam, aber doch die Erkenntnis durch, dass schlicht und einfach ein heute nötiger moderner Qualitätsanspruch nicht zu bieten ist, wenn es unzählig viele Spitäler gibt. So muss man hier sagen, dass der Kostendruck eine Entwicklung beschleunigt, die man inhaltlich schon länger hätte sehen können.
Die Bildung interdisziplinärer Zentren ist der Zug der Zeit. Das heißt nicht, dass es nicht völlig neue Interaktionsschienen geben wird. Im niedergelassenen Bereich gibt es hier großen Nachholbedarf. Natürlich muss ein Vorsorge- und Früherkennungsprogramm wohnortnahe bei den Betroffenen sein. Es kann auch die Nachbetreuung und Palliativmedizin dezentral sein, aber der Kern der Behandlung braucht ein gewisses Volumen, und das ist in einem traditionell so kleinteiligen Gesundheitssystem nicht mehr darstellbar.