Nahezu jede Gewebeverletzung löst eine Entzündungsreaktion mit Erregung von peripheren sensorischen Nervenfasern (Nozizeptoren) aus. Diese Erregung wird nach zentral weitergeleitet und führt zu peripherer und zentraler Sensibilisierung. Daher sind die peripheren Nozizeptoren für neue therapeutische Interventionen besonders attraktiv. Parallel dazu werden endogene Mechanismen der Schmerzlinderung mobilisiert. Beispielsweise können Opioidpeptide aus Immunzellen durch Aktivierung von Opioidrezeptoren auf Nozizeptoren den Entzündungsschmerz blockieren. Entzündung (und damit verbunden Gewebeazidose) ist die essenzielle Komponente der meisten schmerzhaften Syndrome (Arthritis, Darmerkrankungen, Tumoren, Neuropathien, Wunden, Operationen).
Opioidrezeptoren finden sich auf zentralen und peripheren sensorischen Neuronen. Die Bindung von Opioidagonisten löst die intrazelluläre Ankopplung von hemmenden G-Proteinen und anschließend von Arrestinen aus. In der Folge wird die neuronale Erregbarkeit und Freisetzung von Entzündungsmediatoren blockiert. Schmerz kann durch periphere (intraartikuläre, topische), neuraxiale (intrathekale, epidurale) oder systemische (intravenöse, orale) Applikation von Opioiden gelindert werden.
Nebenwirkungen: Systemisch verabreichte Opioide bewirken außerdem Atemdepression, Sedierung, Euphorie, Übelkeit, Obstipation und Sucht. Die meisten Nebenwirkungen werden im zentralen Nervensystem, die Obstipation jedoch vorrangig in der Darmwand ausgelöst.
Die Anwendung konventioneller Opioide ist zwar bei Akut- und Tumorschmerz unbestritten, jedoch bei chronischem Nichttumorschmerz (CNTS) nicht anzuraten. Studien zeigten keine wesentliche Verbesserung von Schmerzintensität oder Lebensqualität dieser Patient:innen, jedoch erhöhte Risiken für Suchtentstehung und diverse Nebenwirkungen. Daher sollen Opioide bei CNTS (z. B. Rückenschmerz, Arthritis, viszeraler Schmerz) vermieden werden. Solche Patient:innen sollten in multimodalen interdisziplinären Programmen mit kombinierten ärztlichen, psychologischen und physiotherapeutischen Verfahren behandelt werden.
Endogene Opioidpeptide (Endorphine, Enkphaline) werden rasch durch Enzyme abgebaut. Die Hemmung solcher Enzyme kann analgetische Effekte erzeugen. Damit können auch unphysiologisch hohe Konzentrationen von (konventionellen) Opioidagonisten an überall im Körper verteilten Rezeptoren vermieden werden. Die Toleranzentwicklung wird dabei reduziert. Eine ähnliche Strategie wird durch „allosterische“ Liganden verfolgt, welche die Wirkung von konventionellen (sog. orthosterischen) Opioiden verstärken können.
Das Konzept der „biased agonists“ (welche bevorzugt bestimmte intrazelluläre Signalwege aktivieren) beruhte ursprünglich auf der Annahme, dass die selektive Aktivierung von G-Proteinen Analgesie ohne Nebenwirkungen auslöst. Da jedoch auch Atemdepression, Suchtpotenzial und Obstipation von G-Protein-Aktivierung abhängen, erbrachten derartige Agonisten keine Vorteile.
Nebenwirkungen können vermieden werden, wenn ausschließlich Opioidrezeptoren auf peripheren sensorischen Neuronen aktiviert werden. In zahlreichen Tierversuchen konnte dieses Prinzip bereits bestätigt werden. Die klinische Relevanz dieser Befunde wurde durch den Nachweis von Opioidrezeptoren und Peptiden im Synovialgewebe von Patient:innen mit Arthritis bestätigt. Nach Gelenkoperationen konnte Schmerz durch intraartikuläre Applikation geringer Dosen von Opioid-Antagonisten (Naloxon) verstärkt und durch Agonisten (Morphin) reduziert werden. Weitere klinische Studien zeigten, dass auch systemisch verabreichtes Morphin fast die Hälfte seiner analgetischen Wirkung über periphere Opioidrezeptoren auslöst.
Diese Studien haben die Weiterentwicklung selektiv peripher wirksamer Opioidagonisten enorm vorangetrieben. Neue Untersuchungen zeigten, dass die Interaktion zwischen Opioidliganden und Opioidrezeptoren im entzündeten Milieu (Azidose) einer Gewebeverletzung, im Vergleich zu einer normalen Umgebung (Gehirn, Darmwand), verstärkt ist. Mittels Computersimulationen wurde ein neuartiger Agonist (NFEPP) entworfen, der Schmerzreduktion durch selektive Aktivierung von peripheren Opioidrezeptoren in verletztem Gewebe, ohne Nebenwirkungen im Gehirn oder Darm, auslöste. Bis es zu einer Anwendung beim Menschen kommt, müssen jedoch noch umfangreiche toxikologische Untersuchungen und klinische Zulassungsstudien absolviert werden.
Interessenkonflikt: Finanzielle Unterstützung durch Deutsche Forschungsgemeinschaft (Exzellenzcluster Math+ EXC 2046 AA1-1; STE 477/19; STE 477/21; STE 477/22) und Bundesministerium für Bildung und Forschung (01GQ2109A).
Daten & Fakten