Osteoporose-Fraktur: Nach Primärversorgung keine Zeit verlieren!

Um funktionelle und strukturelle Gesundheitsschäden so gering wie nur möglich zu halten, sollte eine muskulo-skelettale Rehabilitation nach osteoporose-assoziierten Frakturen unmittelbar nach der Primärversorgung eingeleitet werden. Eine die Osteoporosetherapie begleitende, kontinuierliche muskuloskelettale Rehabilitation unter Einbeziehung sekundärpräventiver Maßnahmen über einen längeren Zeitraum scheint sinnvoll.
Zum Management gehören die chirurgische oder konservative Primärversorgung, die Einleitung, Fortsetzung oder Umstellung der medikamentösen Osteoporosetherapie begleitet von rehabilitativen und sekundärpräventiven medizinischen Maßnahmen. In der ersten rehabilitativen Phase steht das Wiedererlangen alltagsrelevanter Funktion im Vordergrund, in der Folge die Erhaltung der Mobilität, die Minimierung struktureller Gesundheitsschäden, die Reduktion des Sturzrisikos und die Optimierung der Lebensqualität (Abb.).

 

 

Umgang mit Schmerz

Frakturen können akut zu Schmerzen führen und aufgrund bleibender Fehlstellungen und manifester Bewegungseinschränkungen chronische Schmerzen verursachen. Sie können ein aktives Leben beeinträchtigen, zur Immobilität führen und damit den Muskel- und Knochenabbau beschleunigen sowie das Sturzrisiko erhöhen.
Insbesondere vertebrale Frakturen können in der Akutphase sehr schmerzhaft sein und sind bei zunehmender Prävalenz mit einem erhöhten Risiko für chronische Rückenschmerzen und Behinderungen im Alltag assoziiert (Nevitt MC, 1998). Eine Schmerzreduktion fördert in der Akut-phase die rasche Remobilisierung und hilft eine zunehmende Inaktivität des Osteoporosepatienten zu verhindern. Zur Schmerzreduktion stehen neben der medikamentösen Therapie physikalische Modalitäten, wie beispielsweise die Elektrostimulation in der Akutphase, eine individuell abgestimmte Bewegungstherapie, Rückenorthesen und die Vertebro- beziehungsweise Kyphoplastie zur Verfügung.

Wirbelfrakturen beeinträchtigen Funktionalität

Vertebrale Frakturen führen insbesondere im mittleren Brustwirbelsäulenabschnitt zu keilförmigen und in der Lendenwirbelsäule zu bikonkaven Wirbelverformungen. Eine kyphoskoliotische Wirbelsäulenverkrümmung, eine Zunahme des Taillenumfangs und eingeschränkte Thoraxexkursion sind die Folgen (Sinaki M., 2010).
Zusammenhänge zwischen zunehmender Kyphosierung, der Stärke der Rückenmuskeln, der Anzahl an Wirbelfrakturen und der Rückenschmerzen sind bekannt. Ein ausgeprägter Rundrücken kann zu schmerzhaften iliokostalen Friktionen führen. Die Verlagerung des Körperschwerpunktes erhöht zudem die Sturzgefahr, die reduzierte Beweglichkeit beeinträchtigt die Patienten bei alltäglichen Tätigkeiten, wie Bücken, Ankleiden, Herunterheben von Gegenständen über Kopfhöhe. Übungsprogramme zur Stärkung der Rückenmuskulatur mildern langfristig Rückenschmerzen und verbessern die Körperstatik (Itoi E., 1994).
Durch ein progressives Widerstandstraining für die Rückenstreckmuskulatur können Wirbelfrakturen bei postmenopausalen Frauen reduziert werden (Sinaki M, 1989, 2002).
Orthesen werden landläufig zur Wirbelsäulenstabilisierung und zur Behandlung von Rückenschmerzen eingesetzt. Eine Stabilisierung mit rigiden Rückenorthesen ist bei osteoporosebedingten Wirbelfrakturen meist nicht erforderlich, und sensomotorisch wirkende Rückenorthesen werden von den Patienten besser toleriert (Kaplan RS, 1996). Die sensomotorisch wirkende Rückenorthese, bestehend aus einem an die gestreckte Wirbelsäule adaptierten Stab vom siebten Halswirbel bis zur Analfalte und einer mit einem Gurtensystem verbundenen Pelotte über dem Os pubis, bewirkt eine Schmerzreduktion, eine Abnahme der Kyphose, eine Zunahme der Muskelkraft in den Rückenstreckern und eine Verbesserung der Lebensqualität (Peifer M, 2004, 2011). Diese Orthese wird tagsüber während der Alltagstätigkeiten jeweils zwei Stunden vormittags und nachmittags angelegt und kann beim Sitzen und Liegen mühelos abgenommen werden.
Laut DVO-Leitlinien 2014 wird nach frischen Wirbelfrakturen mit einem Ausgangsschmerzgrad von VAS > 5 eine Vertebro- oder Kyphoplastie nach einem erfolglosen konservativen Therapieversuch und Ausschluss anderer Ursachen empfohlen. Ein zusätzlicher analgetische Effekt kann dadurch in den ersten drei bis 24 Monaten erreicht werden. Unangenehme Nebenwirkungen können ein Zement-austritt und eine Embolie sein.

Spezialfall Hüftfraktur

Gelenknahe nichtvertebrale Frakturen verursachen nicht selten permanente Gelenkfehlstellungen, die durch intensives Training, Dehnungsübungen, eventuell in Kombination mit Infiltrationen oder einer Lagerungsschiene und Funktionsübungen zumindest teilweise reduziert werden können. Eine der komplikationsreichsten osteoporotischen Frakturen ist die hüftgelenknahe. Die Mortalitätsrate liegt bei 12–20% im Altersvergleich, und es erreicht nur ein Teil der Überlebenden wieder den Präfrakturstatus. Die meisten Betroffenen benötigen in der Folge Gehhilfen bis hin zu einer permanenten Betreuung und Pflege. Eine frühe postoperative Remobilisierung inklusive progressivem Widerstandstraining für die Quadrizepsmuskulatur könnte das rehabilitative Outcome deutlich verbessern (Kronborg L, 2014). Ein konsequentes Muskelaufbauprogramm mit progressivem Widerstandstraining nach Hüftfraktur verbessert langfristig die Funktionalität, insbesondere die Gehleistung und Gangsicherheit (Binder EF, 2004; Overgaard J, 2013).

Sturzrisiko mindern

Ursache der meisten Frakturen sind Stürze. Die Reduktion des Sturzrisikos und der Sturzangst sind Teil der Nachsorge und Rehabilitation. Zahlreiche Studien zeigen, dass Trainingsprogramme mit den Zielen Körperbalance, Muskelaufbau und Leistungsfähigkeit das Sturzrisiko verringern (Gillespie LD, 2012). In einer kürzlich publizierten Studie konnte gezeigt werden, dass bei Männern die Kraft der Quadrizepsmuskulatur ein unabhängiger Frakturparameter ist (Pham HM, 2016). Ergänzend sind die Evaluierung aller verordneten Medikamente und bei hohem Sturzrisiko auch des häuslichen Umfelds, eine klinische Abklärung neurologischer und kardiovaskulärer Erkrankungen, des Visus, eventueller Fußfehlstellungen inklusive Schuhwerk erforderlich und entsprechende Maßnahmen zu treffen.

 

Literatur bei der Verfasserin

Zusammenfassung eines Vortrags im Rahmen des Osteoporoseforums St. Wolfgang, 21.–23. April 2016

 

„Mehr Awareness für das Knochenbruchrisiko“

Ärzte Krone: Frau Professor Preisinger, als Präsidentin der ÖGKM: Was sind für Sie die drängendsten Problemstellungen im Management der Volkskrankheit Osteoporose, speziell bei uns in Österreich?

Elisabeth Preisinger: Als Fachärztin für Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation liegt mir speziell das Management der Patientinnen und Patienten mit osteoporoseassoziierten Knochenbrüchen am Herzen. Wir sehen viele Patientinnen und Patienten nach Frakturen und viele, die auch nach mehrfachen Frakturen nie bezüglich Osteoporose oder anderen Osteopathien abgeklärt wurden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre es wichtig, ein Augenmerk auf einen evtl. Osteoporosehintergrund zu richten und wenn erforderlich zu behandeln. Hier besteht in Österreich noch einiger Nachholbedarf.
Auch reagiert der Knochen auf viele, insbesondere chronische Erkrankungen. Diabetes mellitus, Hyperthyreose, Amenorrhö bei jungen Frauen, COPD, Niereninsuffizienz, um nur einige Beispiele zu nennen, wirken sich negativ auf die Knochengesundheit aus. Um diese weitgehend erhalten zu können, ist ein interdisziplinäres Agieren erforderlich. Deshalb ist uns die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Fachgesellschaften ein großes Anliegen.

Welche Projekte bzw. Zielsetzungen wird die ÖGKM in denkommenden Jahren verfolgen?

Elisabeth Preisinger: Der Vorstand der ÖGKM setzt sich aus exzellenten Ärztinnen, Ärzten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen. Es ist eine interdisziplinäre Fachgesellschaft, die seit Jahren erfolgreich zusammenarbeitet.
In Zukunft soll die Vernetzung mit den anderen wissenschaftlichen Fachgesellschaften weiter forciert werden. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie innovative Projekte auf dem Gebiet des Knochens und Mineralstoffwechsels werden durch die ÖGKM gefördert. Diesbezüglich werden wir auch versuchen, internationale Kooperationen weiter auszubauen. Die Fort- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten und die gute Versorgung und Information unserer Patientinnen und Patienten ist uns ein Anliegen. Die etablierten Fortbildungsveranstaltungen, wie das Osteoporoseforum und der Wiener Osteoporosetag inklusive der ärztlichen Fortbildung, werden auch zukünftig stattfinden. Die ÖGKM wird weiterhin die Aufgaben wahrnehmen und zu aktuellen Problemen Stellung beziehen sowie Konsensuspapiere und Fortbildungsartikel verfassen wie etwa zuletzt das „Positionspapier zur medikamentenassoziierten Osteonekrose des Kiefers“.

Die Interdisziplinarität ist ein definitorisches Element desOsteoporoseforums St. Wolfang, einer der prominentestenFortbildungsveranstaltungen der ÖGKM mit langjähriger Tradition. Ihr Resümee der heurigen Veranstaltung im April?

Elisabeth Preisinger: Auch heuer haben wieder Spezialisten vieler Disziplinen wie Gastroenterologen, Kardiologen, Orthopäden, Physikalisten, Nephrologen, Geriater, Gynäkologen etc. als Vortragende die Vernetzungen und Verbindungen mit Osteopathien als Begleit- bzw. Folgeerscheinung chronischer Erkrankungen thematisiert. In diesem Zusammenhang wurden physiologische und pathophysiologische Interaktionen beleuchtet, osteologische Notfallsituationen aufgezeigt und auf mögliche Osteopathien, wie Osteogenesis imperfecta, Hypophosphatasie, Diabetoporose und die renale Osteopathie, hingewiesen. Weitere aktuelle Themen waren zu Vitamin D3, den medikamenteninduzierten Kiefernekrosen, zum Osteoporosemanagement und modernen Imaging.
Einige dieser Highlights werden auch beim Wiener Osteoporosetag im Wiener Rathaus ein prominentes Thema sein.

Peter Lex