Paradigmenwechsel in der Betreuung von Parkinson-Patient:innen

Am 5. Dezember 2023 wurde beim Gesundheitspolitischen Forum über die Betreuung von Parkinson-Patient:innen debattiert.

Dr. Jan Oliver Huber, Leiter des Gesundheitspolitischen Forums und Vorstandsmitglied der Karl Landsteiner Gesellschaft, betonte in seiner Eröffnungsrede, dass in Österreich über 20.000 Menschen an Parkinson, einer noch immer unheilbaren Erkrankung, leiden – und es werden mehr werden, prognostiziert die Weltgesundheitsorganisation, die vor einer Art „Parkinson-Pandemie“ warnt. „Bei der Betreuung der Parkinson-Patient:innen geht es stark darum, diese zu einer aktiven Rolle im Management ihrer Erkrankung zu ermutigen und zu befähigen. Dabei spielt die Vernetzung der Gesundheitsexpert:innen eine wichtige Rolle“, so Huber.

Das sagen die Betroffenen

Mag. Ingo Raimon, General Manager von AbbVie in Österreich, präsentierte die Ergebnisse einer Befragung von 230 Parkinson-Betroffenen (durchgeführt von INTEGRAL im Zeitraum von April bis August 2022): Bei 61 % der Befragten wurde die Diagnose von niedergelassenen Neurolog:innen gestellt, bei 28 % in der neurologischen Ambulanz und bei 10 % von Hausärzt:innen. Im Durchschnitt war die Diagnose vor knapp 7 Jahren erfolgt. 93 % der befragten Patient:innen besuchen mindestens einmal im Jahr eine:n niederge-lassene:n Neurolog:in. Im Vergleich dazu waren 48 % noch nie in einem Parkinson-Zentrum. Besprochene Themen beim letzten Arztbesuch waren zumeist der aktuelle Umgang mit der Erkrankung (83 %) und ob die Therapie mit Tabletten noch ausreicht (59 %). Wünsche der Patient:innen an die Therapie wurden nur in 30 % der Gespräche angeschnitten. Die Bekanntheit der Therapiemöglichkeiten bei den Betroffenen ist ausbaufähig: „93 % kennen die Therapie mit Tabletten, und immerhin die Hälfte kennt die Behandlung in Form einer tiefen Hirnstimulation, aber nur ein Drittel weiß über die Möglichkeit einer Pumpen-Therapie bei fortgeschrittener Parkinson-Erkrankung Bescheid“, berichtete Raimon. Seine Schlussfolgerung dazu: „Zwar wird mit Ärzt:innen besprochen, ob die aktuelle Tablettentherapie noch ausreichend ist. Vergleicht man diese Aussage allerdings mit den Daten, dass ca. die Hälfte der Patient:innen noch nie in einer Parkinson-Spezialambulanz war und nur rund ein Drittel die Pumpen-Therapie für fortgeschrittenen Morbus Parkinson kennt, wird erkennbar, dass es hier Sollbruchstellen gibt.“ Aus all diesen Faktoren leitet Raimon die Conclusio ab, dass die Versorgung vor allem von fortgeschrittenen Parkinson-Patient:innen ein Netzwerk und die Zusammenarbeit des intra- und extramuralen Bereichs brauche, um eine optimale Therapieanpassung zu gewährleisten. Zudem: „Eine Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung ist essenziell, um mehr Informationen über das breite Spektrum an Therapiemöglichkeiten bekannt zu machen, denn Morbus Parkinson ist zwar nicht heilbar, aber gut behandelbar. Es braucht aber geeignete Rahmenbedingungen dafür, um die Lebensqualität der Betroffenen so gut und so lange wie möglich zu erhalten“, so Raimon abschließend.

Dr.in Michaela Steffelbauer, niedergelassene Neurologin und Präsidentin der Parkinson Selbsthilfe Oberösterreich, konnte aus Krankheitsgründen nicht persönlich an der Veranstaltung teilnehmen, jedoch wurde ihr Vortrag von Huber vorgelesen. Darin betonte auch Steffelbauer, dass bei Parkinson-Betroffenen noch Aufklärungsbedarf über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten sowie über begleitende Therapiemaßnahmen, z. B. Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, gebe. „Auch die Möglichkeit einer Rehabilitation wird aus meiner Sicht zu selten in Anspruch genommen“, so Steffelbauer. Sie sieht bezüglich einer verstärkten Information der Betroffenen die behandelnden Neurolog:innen in der Pflicht und empfiehlt zudem den Besuch von Selbsthilfegruppen.

MS-Zentren als Best-Practice-Beispiel

Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Christian Enzinger, MBA, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Graz sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, berichtete über seine Erfahrung mit Netzwerken in der Betreuung von Multiple-Sklerose-(MS-)Betroffenen. Er betonte, dass es bei MS von Bedeutung ist, so früh wie möglich mit der Therapie zu beginnen, da man den Krankheitsverlauf durch effektive Therapien positiv beeinflussen könne. Für einen solch frühen Behandlungsbeginn braucht es eine frühe Diagnose, was in seinen Augen viel mit Edukation und Aufklärung sowie guten Netzwerken zu tun hat. In diesem Zusammenhang spielt auch die MS-Zentrumslösung eine Rolle. Die ÖGN hat Kriterien definiert, die Einrichtungen erfüllen müssen, um als MS-Zentrum anerkannt zu werden. Dabei ist u. a. die Teilnahme an spezifischen Fortbildungsprogrammen verpflichtend vorgesehen. Folgende Aspekte sind in Enzingers Augen für MS-Zentren und -Ambulanzen unter anderem von großer Bedeutung: informiert bleiben und gut informieren, klar kommunizieren, das „große Bild“ im Auge behalten, die Patientenperspektive erfragen und partizipative Entscheidungen treffen, realistische Ziele formulieren, „an den Patient:innen dranbleiben“, mit Kolleg:innen austauschen sowie wissenschaftlich fundierte/pathophysiologisch orientierte Konzepte suchen und leben.

Multimodale Betreuung erforderlich

Univ.-Prof. Prim. Dr. Klaus Seppi, Leiter der Neurologie am Bezirkskrankenhaus Kufstein, Professor für Bewegungsstörungen an der Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck, und Vorstand des wissenschaftlichen Beirates der Österreichischen Parkinson Gesellschaft, betonte ebenfalls, dass es gerade bei fortgeschrittener Parkinson-Erkrankung multimodale Betreuung brauche, was eine Verflechtung der unterschiedlichen Fachdisziplinen erforderlich mache. Auch in seinen Augen erfordert die Betreuung der Parkinson-Betroffenen ein großes Netzwerk, zu dem u. a. die Angehörigen, Selbsthilfegruppen, Parkinson-Nurses, neurologische Abteilungen und Parkinson-Ambulanzen an Krankenhäusern, neurologische Abteilungen an Universitätskliniken mit Studienzentren, Pflegeeinrichtungen, Haus-ärzt:innen, Neurolog:innen, Parkinson-Expert:innen, andere ärztliche Disziplinen (u. a. Psychiatrie, Urologie, Chirurgie, Palliativ-medizin, Innere Medizin), Apotheker:innen, Sozialarbeiter:innen, ambulante Pflege, Logo-päd:innen, Ergo- und Physiotherapeut:innen, Neuropsycholog:innen, Rehabilitationseinrichtungen, aber auch Sozialversicherung, Sanitätshäuser, Politik und die Österreichische Parkinson Gesellschaft gehören. Im Hinblick auf die Zukunft betonte er, dass sich derzeit viele innovative Parkinson-Medikamente in klinischen Prüfungen befinden, die Hälfte davon verlaufsmodifizierende Therapien. Auch Seppi sprach sich klar für Parkinson-Zentren aus, u. a. um bei herausfordernden Diagnosestellungen oder Therapieentscheidungen wie Indikationshilfe zu geräteunterstützten Therapien die niedergelassenen Kolleg:innen zu unterstützen. Zudem werden an vielen der Parkinson-Zentren in Österreich neue Therapien in klinischen Studien untersucht.

Gute Gründe für einen Paradigmenwechsel

Ein Paradigmenwechsel in der Betreuung der Parkinson-Betroffenen sei ein ehrgeiziges Unterfangen, aber notwendig, betonte auch Prof. Priv.-Doz. Dr. Gottfried Kranz, Neurologe und Ärztlicher Direktor am Neurologischen Rehabilitationszentrum Rosenhügel, denn das pathophysiologische Krankheitsverständnis habe sich verändert: „Wir begreifen Parkinson mittlerweile als Systemerkrankung. Zudem geht es in der Behandlung immer mehr in Richtung personalisierte Medizin, und das gilt es zu berücksichtigen. Auch Prävention und Früherkennung sollten eine größere Bedeutung erhalten“, so Kranz weiter. Last, but not least sind seiner Ansicht nach der technische Fortschritt und die neuen Eskalationstherapien bereits einen Paradigmenwechsel wert. Auch Kranz sprach sich ganz klar für eine multidisziplinäre Betreuung der Parkinson-Patient:innen aus und erklärte, dass diese am Neurologischen Rehabilitationszentrum Rosenhügel durch eine intensive Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen und eine intensive Einbindung der Patientenbedürfnisse und -wünsche gelebt werde.