„Die Zahlen aus Studien sind immer ziemlich ähnlich. Man kann davon ausgehen, dass bei etwa 10% der Patienten, die ins Krankenhaus aufgenommen werden, ein unerwünschtes Ereignis auftritt. Die Hälfte dieser Ereignisse ist vermeidbar. Die Mortalität beträgt 0,1%“, sagte Dr. Brigitte Ettl, Ärztliche Direktorin des Krankenhauses Hietzing und in der niedergelassenen Praxis als Internistin mit Schwerpunkt Diabetologie tätig.
An sich, so die Plattform-Präsidentin, hat sich in der jüngsten Vergangenheit viel getan, um die Voraussetzungen für mehr Sicherheit im Gesundheitswesen insgesamt zu gewährleisten: „Es gibt jetzt eine nationale Strategie für Patientensicherheit, die das Gesundheitsministerium veröffentlicht hat. Sie wird nun in den einzelnen Bundesländern auf deren Ebene umgesetzt.“
„Der Grundsatz der Patientensicherheit ergibt sich aus dem Selbstverständnis des ärztlichen Berufes“, sagte der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Artur Wechselberger, vor Kurzem bei einer Tagung der Plattform.
Er zitierte Zahlen aus den USA: Dort wurde berechnet, dass jährlich zwischen 44.000 und 98.000 Menschen an Behandlungsfehlern sterben: „Behandlungsfehler sind dort die achthäufigste Todesursache.“ Noch vor wenigen Jahren hätte das Zitieren solcher Zahlen zu einem Aufschrei geführt. Mittlerweile ist die Problematik akzeptiert.
Österreichs Ärzte sind – durchaus im Vergleich zu ihren Kollegen in Deutschland – ausgesprochen engagiert, was das Fehlermeldesystem CIRSmedical betrifft, das Ärztekammer und ÖQMED etabliert haben. Geschäftsführerin Dr. Esther Thaler: „Das System gibt es seit 9. November 2009. Es gab bisher 392 Meldungen, 204 Leserkommentare – und vor allem: fast 132.000 Zugriffe.“
Die entsprechenden Zahlen seien in Deutschland nur dreimal höher. Thaler: „Deutschland ist aber zehnmal größer.“ 55% der Meldungen im österreichischen CIRS entfielen bisher auf Ärzte, 23% auf Angehörige des Pflegepersonals. Bei 45% standen unerwünschte Ereignisse im stationären Bereich im Hintergrund, bei 21% Ereignisse in einer Ordination und bei 8% Ereignisse in einer Ambulanz.
Jetzt fährt der Zug in Richtung niedergelassene Praxis ab. Ettl: „Die Ursachen für unerwünschte Ereignisse werden sich zwischen Spital und niedergelassener Praxis nicht gravierend unterscheiden. Ca. 60% der Zwischenfälle betreffen die Medikation. Dann kommen Probleme, die aus der Kommunikation mit dem Patienten entstehen. Zum Beispiel, dass er nicht richtig verstanden hat, was ihm mitgeteilt wurde.“
Im weiteren Sinn ebenfalls zum Komplex der Kommunikation gehört laut der Präsidentin der Plattform für Patientensicherheit auch das Management der Informationen über die Patienten: „Und dann gibt es noch einen Bereich: Laborbefunde, die übersehen werden und nicht zum richtigen Zeitpunkt Beachtung finden.“
Ettl: „Eigentlich sollte man ein Warnsystem etablieren, das dem Arzt anzeigt, wenn ein solcher Befund hereinkommt. Das kann auf elektronischem Weg geschehen oder auch in normaler Schriftform.“ Wenn der Befund dann eventuell bei der Sprechstundenhilfe hängen bleibe, sei das womöglich genauso schlecht wie wenn er im EDV-System versande. Die Internistin: „Im Grunde bräuchte man eigentlich ein System, das mir als Ärztin nicht erlaubt, das EDV-System herunterzufahren, ohne dass ich das Eintreffen von Befunden zumindest quittiert habe.“
Um die Patientensicherheit in der niedergelassenen Praxis möglichst hoch zu halten, ist keine Spezialausbildung notwendig. Ettl: „Für die Prozesse reicht die ÖQMED-Erhebung durchaus.“
Von entscheidender Bedeutung sei die Kommunikation innerhalb des Ordinationsteams. Die Plattform-Obfrau: „Als Arzt sollte man sich in regelmäßigen Abständen zu fix vereinbarten Terminen mit seinen Mitarbeitern zusammensetzen und die unerwünscht aufgetretenen Ereignisse besprechen.“
Das hätte mit „Schuld“ nichts zu tun, sondern mit dem Austausch von Informationen und Erfahrungen. Daraus könnten sich dann auch Perspektiven ergeben, wie man in seiner Ordination Abläufe so optimiert, dass potenzielle Fehlerquellen vermieden werden.
Ettl: „Es würde auch Sinn machen, wenn niedergelassene Ärzte hier untereinander zusammenarbeiten. Einer lässt den Kollegen mit eine ähnlichen Praxis einen Blick auf die Abläufe in der Ordination machen.“ „Wie geht das bei Dir? Wie macht Ihr das?“, wären da die Fragen. Oder: „Wie stellt Ihr sicher (Nachfragen?), dass der Patient ihm gegebene Informationen wirklich verstanden hat? Ettl: „Im Grunde geht es um einfache Dinge: Meldungen aus dem CIRS mit der Frage ‚Kann das bei mir auch passieren? Was kann bei mir passieren? Wo habe ich in meiner Praxis ein Risiko‘?“ Selbstverständlich könnte man auch einen von der ÖQMED ausgebildeten Riskmanager bemühen. Die ÖQMED bildet derzeit drei bis fünf pro Jahr aus. Sie sind sozusagen Profis in den Analysen.
Zu erwarten sei, so Ettl, dass die E-Medikation mehr Sicherheit bei einer der hauptsächlichen Fehlerquellen auch in der niedergelassenen Praxis bringen wird. Freilich, und das betonte auch Wechselberger: „Man muss komplexe Systeme auch vereinfachen.“ Handhabbarkeit, Benutzerfreundlichkeit und Schnelligkeit seien hier entscheidend.
So meinte Wechselberger: „Wir Ärzte haben oft eine Flussaufwärts-flussabwärts-Sicht. Wir sehen einen Patienten vorbeitreiben, wir holen ihn aus den Fluten und retten ihn. Und da kommt schon der nächste Patient vorbeigetrieben. Wir sollten vielmehr flussaufwärts, hinter die nächste Flussbiegung schauen. Ist da vielleicht eine Brücke zusammengebrochen, wollen Nichtschwimmer den Fluss überqueren? Was sind die Ursachen?“