Prim. Univ.-Prof. Martin Clodi: Ich möchte in den kommenden Jahren die deletäre Auswirkung chronischer erhöhter Blutzuckerwerte ins Zentrum rücken. Es ist den Betroffenen und vielleicht auch manchen Kolleg:innen noch zu wenig bewusst, wie toxisch die erhöhten Glukosewerte auf die verschiedenen Organe wirken. Denn es sind nicht nur die kleinen und großen Gefäße betroffen, sondern auch die einzelnen Zellen der Organe wie Nervenzellen und Kardiomyozyten werden direkt geschädigt. Zur Verhinderung dieser Schäden gehört neben Prävention und Screening auch die Umsetzung einer leitliniengerechten Therapie. Im Besonderen möchte ich mich hier auf die weitere Umsetzung der Lebensstiltherapie konzentrieren sowie die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den einzelnen Anlaufstellen für die Patienten optimieren. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang vor allem auch, dass die antihyperglykämische Therapie nicht an bürokratischen Hürden scheitert, sondern dass es für die österreichische Bevölkerung mit Diabetes einen freien Zugang zu den Medikamenten gibt. Es wird von den Kassen immer wieder die fehlende Evidenz angesprochen. Hier haben wir allerdings sehr viel Evidenz gerade aus rezenten Studien, die zeigen, dass je niedriger der HbA1c-Wert ist, desto geringer sind die Schädigungen und umgekehrt: je höher der HbA1c -Wert ist, desto höher sind die Schädigungen.
Die Nachwuchssorgen sehe ich durchaus kritisch. Es werden in den nächsten Jahren viele aktive Kolleg:innen in Pension gehen, sowohl bei den Ärzt:innen als auch bei der Pflege. Es ist aber durchaus so, dass sehr viele junge engagierte Kollegen in diesen Bereich hineinwachsen und auch an den Universitäten zuletzt die Zahl der Studienplätze deutlich zugenommen hat. So werden zukünftig pro Jahr rund 2.000 junge Kollegen ihre Ausbildung abschließen – zählen wir die Privatunis noch hinzu, sind es sogar 2.500. Das sollte meiner Meinung nach reichen.
Die Frage ist berechtigt. Wir haben mittlerweile sehr viele diabetesspezifische Medikationsformen. Es gibt aber zwei oder drei, die schlussendlich in den Leitlinien ganz nach vorne gewandert sind und daher auch initial eingesetzt werden sollten und können. Es gibt hier nur wenige Dinge, die beachtet werden müssen. Sollte dies nicht ausreichen, kann man die Patienten durchaus zu einem mit Diabetes betrauten Arzt oder zu einer mit Diabetes betrauten Ärztin transferieren.
Würden Sie sich mehr Fortbildungsangebot für die Ärzt:innen wünschen?
Ich denke, dass gerade die COVID-Pandemie die Digitalisierung enorm vorangetrieben hat und dass das Angebot an Fortbildung derzeit wirklich mannigfaltig und auch ausreichend ist. Es geht vielmehr darum, die Kollegen anzuhalten, sich diese Fortbildungen auch anzusehen. Mein Eindruck ist jedoch, dass alle Kolleginnen und Kollegen sehr wissbegierig sind und up to date sein möchten.
Gerade im technischen Bereich der Diabetestherapie hat sich im letzten Jahrzehnt enorm viel getan. Die kontinuierlichen Glukosemessgeräte haben aber eine wirkliche Revolution erzeugt. Auch im Bereich der Insulin-Pumpen gab es Fortschritte, mittlerweile gibt es sogar lernfähige Geräte. Obwohl hierzulande noch nicht offiziell zugelassen, gibt es auch in Österreich schon Patient:innen, die mit Closed-Loop-Systemen ausgestattet sind.
Sie haben vollkommen recht. Es ist genau so, dass die kardiovaskulären Erkrankungen in Wirklichkeit nur eine Folge des Diabetes sind. So sterben jährlich 10.000 Patient:innen in Österreich an den Folgen des Diabetes. Das entspricht jedem 8. Todesfall. Wenn ich auf diesen einen Wunsch zurückkommen darf, dann wäre dieser, dass jedermann versucht, normalgewichtig zu werden oder zu bleiben und sportlich aktiv ist, um das bestmögliche Outcome zu erreichen. Nachdem das eine reine Wunschvorstellung ist und ich etwas Realistischeres wünschen möchte, wäre das schlicht der freie Zugang zu den derzeit aktuell verfügbaren Medikamenten für jeden Patienten und jede Patientin mit Prädiabetes und Diabetes. Diese Medikamente sind nicht rasend teuer, würden aber pro futuro enorm viel an Gesundheitskosten einsparen und natürlich den Patient:innen viele symptomfreie Jahre oder sogar Lebensjahre schenken.
Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Awareness und die Eigeninitiative der Betroffenen? Wie kann man Diabetespatient:innen bestmöglich in der Lebensstiladaption unterstützen? Sind Patientenmanagementprogramme wie „Therapie Aktiv“ die Lösung oder erst der Anfang?
Hinsichtlich Outcome sind wie oben gesagt die Bewegungstherapie und die Gewichtsreduktion das Wesentlichste. Die Awareness hierfür muss geschaffen werden. Dafür ist sehr viel Zeit nötig. In jedem ärztlichen Gespräch sollten gerade für diese Punkte einige Minuten eingeplant werden. Der Wunsch ist, hier mehr Zeit für die Patient:innen zu bekommen. Dies geht natürlich nur, wenn es renumeriert werden würde. Therapie aktiv ist sicher ein Start. Wichtig ist, dass die Patient:innen verstehen, dass nicht der Arzt oder die Ärztin sie behandelt, sondern dass eigentlich sie selbst die besten Therapeuten sind.
Ich versuche bestmöglich mein Normalgewicht zu halten und dreimal pro Woche körperlich aktiv zu sein. In den vergangenen 5 Jahren habe ich das geschafft, in den letzten Monaten leider nicht mehr.