Personalisierte Blutdrucktherapie bei diabetischen Patienten

Mit Diabetes mellitus ist ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko, sowohl für mikro- als auch für makrovaskuläre Komplikationen, assoziiert. Eine schlecht eingestellte Hypertonie hat dabei eine wesentliche Bedeutung.
Zwischen Hypertonie und Diabetes mellitus besteht ein enger Zusammenhang: Einerseits entwickelt etwa die Hälfte der diabetischen Patienten eine Hypertonie, andererseits ist das Risiko für Hypertoniker, innerhalb von fünf Jahren einen Diabetes mellitus zu entwickeln, etwa zweifach erhöht. Bei älteren Diabetikern kann häufig eine isolierte systolische Hypertonie festgestellt werden.

Belegter Nutzen der Blutdrucksenkung

Bluthochdruck ist der möglicherweise gefährlichste kardiovaskuläre Risikofaktor. Die Fragestellung in frühen kontrollierten Studien war daher, ob eine antihypertensive Therapie zu einer Reduktion beziehungsweise Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse führt. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts untersuchte die Studie UKPDS 38 den Einfluss einer strengen Blutdruckkontrolle bei Typ-2-Diabetikern. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die durchschnittliche Blutdruckwerte von 154/87 mmHg aufwies, war in der Interventionsgruppe durch das Absenken der Blutdruckwerte auf 144/82 mmHg eine signifikante Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (besonders Schlaganfall: Risikoreduktion um 44 %; mikro­vaskuläre Erkrankungen: Risikoreduktion um 37 %) nachweisbar. Auch die diabetesassoziierten Todesfälle konnten um 38 %gesenkt werden.1
Eine spätere Studie (ADVANCE), die im Jahr 2007 publiziert wurde, untersuchte neben der genauen Stoffwechselkontrolle eine striktere Blutdruckkontrolle, mit Zielwerten unter 140/90 mmHg. Der positive Effekt auf die Gesamttodesrate war vor allem der guten Blutdruckkontrolle geschuldet.2 Die exakte Blutzuckereinstellung erbrachte keinen darüber hinausgehenden positiven Effekt.3 Die 6-jährige Nachbeobachtung dieser Patienten, die am Ende der ursprünglichen Beobachtungszeit mittlere Blutdruckwerte von 137/74 mmHg aufwiesen, bestätigte anhaltende Vorteile der guten Blutdruckkontrolle – sowohl auf die kardiovaskuläre als auch auf die Gesamtmortalität. Ein nachhaltiger Effekt der genauen Glukosekontrolle war lediglich im Hinblick auf die Verhinderung eines dialysepflichtigen Nierenversagens nachweisbar.4
Als Zielwertempfehlung gilt bei Patienten mit Diabetes mellitus ein systolischer Blutdruckwert unter 140 mmHg. Bei Patienten, die gleichzeitig eine diabetische Nephropathie aufweisen, sollten niedrigere Blutdruckwerte von 130/80 mmHg angestrebt werden.5, 6
In den Empfehlungen der Österreichische Diabetes Gesellschaft aus dem Jahr 2016 werden optimale Zielblutdruckwerte zwischen 130 und 140 mmHg systolisch und 80–90 mmHg diastolischangegeben.6 Niedrigere Blutdruckzielwerte (zum Beispiel120/80 mmHg) können zwar das Risiko für Schlaganfall und diabetische Nephropathie weiter senken, sind aber mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität assoziiert.
In der ACCORD-Studie konnten durch eine Blutdruck­reduktion auf unter 120 mmHg systolisch Schlaganfälle um 47 % gesenkt werden, allerdings blieb die Gesamtmortalität unbeeinflusst.7 Bei diabetischen Patienten mit koronarer Herzerkrankung oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit sollten sehr niedrige Blutdruckwerte vermieden werden. Cooper-DeHoff et al. zeigten, dass bei Blutdruckwerten unter 110 mmHg eine Zunahme der Gesamtmortalität von Diabetikern mit KHK nachweisbar ist. Auch in der VADT-Studie nahm die Rate kardiovaskulärer Ereignisse bei diastolischen Blutdruckwerten unter 70 mmHg zu.9
Die amerikanischen Hypertonieempfehlungen 2017 schlagen nun vor, Diabetiker bei Werten über 130/80 mmHg medikamentös zu behandeln, und empfehlen Blutdruckzielwerte unter diesem Grenzwert.10 Die Grenzwertveränderungen in diesen Blutdruckbereichen geben Anlass zu vielen wissenschaftlichen Diskussionen. Im klinischen Alltag ist die Angst vor zu niedrigen Blutdruckwerten aber wahrscheinlich wesentlich weniger bedeutsam als das Bemühen, systolische Blutdruckwerte unter 140 mmHg zu erreichen.6

Begleiterkrankungen bestimmen die Therapiewahl

Bei der Behandlung einer Hypertonie kommt vorhandenen Begleiterkrankungen und diabetischen Komplikationen eine wichtige Bedeutung zu, nicht nur für das Festlegen des Blutdruckzielwertes, sondern auch bei der Auswahl der antihypertensiven Medikamente.
In der Regel stehen neben ACE-Hemmern und Angiotensinrezeptorblockern weiters Kalziumantagonisten und Diuretika­ zur antihypertensiven Erstlinienbehandlung bei Diabetikern ohne Begleiterkrankungen zur Verfügung. Liegen Begleiterkrankungen vor, werden basierend auf kontrollierten Studien der Vergangenheit bestimmte Substanzklassen bevorzugt eingesetzt (Abb.).
Die Datenlage bei der Behandlung einer diabetischen Nephropathie ist vor allem für Hemmer des Renin-Angiotensin-Systems gut abgesichert. Besteht bei Diabetikern eine koronare Herzerkrankung, sind selbstverständlich auch Betablocker indiziert. Bei Herzinsuffizienz wird auf die Gabe eines Diuretikums meist nicht verzichtet werden können.
Kombinationstherapie individuell anpassen: Bei vielen Patienten wird es notwendig sein, eine Kombinationstherapie zu verordnen, um die oben angeführten kardioprotektiven Zielwerte zu erreichen. Prinzipiell eignen sich alle Substanzklassen zur Kombination. Die gleichzeitige Verabreichung von zwei Hemmern des Renin-Angiotensin-Systems (ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker beziehungsweise Renin-Inhibitoren) hat sich in mehreren kontrollierten Studien wie ALTITUDE und VA NEPHRON-D als nicht vorteilhaft erwiesen und soll/darf bei Diabetikern nicht mehr erfolgen.11, 12
Die ACCOMPLISH-Studie, in welcher Blutdruckwerte von 132/74 mmHg erreicht wurden, verglich die Kombination eines Kalziumantagonisten plus ACE-Hemmer mit der gleichzeitigen Gabe eines ACE-Hemmers und eines Diuretikums. In der Studienpopulation, die sich zu 60 % aus Diabetikern zusammensetzte, fanden sich Vorteile für die mit Kalziumantagonisten behandelten Patienten.13

 

 

Rasch und konsequent senken

Bei all der Diskussion über die geeignetste Substanzklasse sollte aber nicht vergessen werden, dass die konsequente Blutdruckeinstellung wohl der entscheidende Erfolgsfaktor ist. Die Verabreichung unterschiedlicher Antihypertensiva als Fixkombination begünstigt die Qualität der Einstellung und das raschere Erreichen der Zielwerte.14
Die Bedeutung einer raschen Blutdrucksenkung ist seit der Nachanalyse der Daten der VALUE-Studie bekannt, die für eine rasche Blutdrucksenkung kardiovaskuläre Vorteile für Patienten nach Myokardinfarkt nachweisen konnte.15

Weitere antihypertensiv ­wirkende Substanzklassen

Eine Behandlung mit Diuretika ist bei Diabetikern trotz der negativen Stoffwechseleffekte oft unvermeidbar. Interessant ist hier eine vor Kurzem publizierte Arbeit, die bei Gabe von kaliumsparenden Diuretika positive ­Stoffwechseleffekte nachweisen konnte (PATHWAY-3).16 Abgesehen von der guten additiven Blutdruckwirkung in der PATHWAY-2-Studie17 sind für Spironolacton auch ein kardioprotektiver18 und ein antiproteinurischer19 Effekt bekannt. Allerdings muss bei dem Einsatz von Spironolacton auf die Nierenfunktion (kontraindiziert bei einer GFR < 30 ml/min) geachtet werden.
In Hinblick auf die Blutdrucksenkung kommt auch einer neuen antidiabetischen Substanzklasse eine wichtige Bedeutung zu. Für SGLT-2-Hemmer ist neben der blutzuckersenkenden Wirkung auch ein positiver Effekt auf den Blutdruck nachgewiesen.20–22 In ähnlicher Weise ist auch für GLP-1-Agonisten ein blutdrucksenkender Effekt nachgewiesen worden.23 Deshalb und auch aufgrund der positiven renalen und kardiovaskulären Outcome-Daten darf auf diese Substanzklassen bei der Besprechung von Blutdruck und Diabetes mellitus nicht vergessen werden.

Resümee

Eine konsequente Blutdruckeinstellung reduziert kardiovaskuläre Ereignisse und erhöht die Lebenserwartung diabetischer Patienten. Die Vielzahl unterschiedlicher antihypertensiver Substanzklassen erlaubt eine individuell angepasste Blutdrucktherapie, die auch auf mögliche Begleiterkrankungen Rücksicht nimmt.

Literatur:

1 UKPDS 38, BMJ 317:703, 1998

2 Patel et al., Lancet 370:829, 2007

3 Zoungas et al., Diabetes Care 32:2068, 2009

4 Zoungas et al., N Engl J Med 371:1392, 2014

5 ESH/ESC Task Force for the Management of Arterial Hypertension, J Hypertens 31:1925, 2013

6 Schernthaner et al., Wien Klin Wochenschr 128 [Suppl 2]:S62, 2016

7 ACCORD Study Group, N Engl J Med 362;1575, 2010

8 Cooper-DeHoff et al., JAMA 304:61, 2010

9 Palmer et al., Lancet 385:2047, 2015

10 Whelton et al., Hypertension 2017. DOI: 10.1161/HYP.0000000000000065 [Epub ahead of print]

11 Parving et al., N Engl J Med 367:2204, 2012

12 Fried et al., N Engl J Med 369:1892, 2013

13 Jamerson et al., N Engl J Med 359:2417, 2008

14 Bakris et al., J Clin Hypertens (Greenwich) 5:202, 2003

15 Weber et al., Lancet 363:2049, 2004

16 Brown et al., Lancet Diabetes Endocrinol 4:136, 2016

17 Perry et al., Lancet 386:2059, 2015

18 Pitt et al, N Engl J Med 341:709, 1999

19 Schjoedt, Kidney Int 68:2829, 2005

20 Zinman et al., N Engl J Med 373:2117, 2015

21 Neal et al., N Engl J Med 377:644, 2017

22 Tikkanen et al., Curr Opin Nephrol Hypertens 25:81, 2016

23 Vilsbøll et al., BMJ 344:d7771, 2012

In Zusammenarbeit mit dem Fachmedium Diabetes Forum