Phytotherapie in der Urologie: Möglichkeiten und Grenzen

Erkrankungen der Blase und der Prostata gehören zu den häufigsten überhaupt. Viele Frauen machten schon einmal Erfahrungen mit Harnwegsinfekten, überaktiver Blase oder Harninkontinenz. Bei Männern stehen Prostataprobleme im Vordergrund, die sich aber aufgrund der anatomischen Nähe und physiologischen Zusammenhänge ähnlich wie Blasenerkrankungen äußern können.
In der letzten Zeit halten immer mehr Phytopharmaka ihren Einzug in die Welt der Leitlinien. Die wenig aktuelle S2e-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie zur Therapie der benignen Prostatahyperplasie zieht Phytoterapeutika wegen ihrer dem Placeboeffekt überlegenen Wirkung dann in Betracht, wenn synthetische Medikamente abgelehnt werden. Freilich wurde diese Leitlinie seit Jahren nicht überarbeitet, zahlreiche wissenschaftliche Studien aus jüngerer Zeit fehlen daher bei dieser Beurteilung.

Harnwegsinfekte

Am Beispiel des Harnwegsinfekts zeigt sich, dass die Phytotherapie vor allem im frühen Erkrankungsstadium eine gute Behandlungsoption darstellt. Die zunehmende Resistenzentwicklung, die dem breiten Einsatz von Antibiotika zu verdanken ist, mag dazu beigetragen haben, dass pflanzliche Therapieansätze auch hier den Weg in die wissenschaftlichen Leitlinien fanden. So wird der Einsatz von D-Mannose und Bärentraubenblättern mittlerweile für die Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte durchaus empfohlen. Besonders häufig werden bei Harnwegsinfekten Extrakte aus der Preiselbeere oder der mit ihr eng verwandten Cranberry angewendet. Diese miteinander verwandten Beerenpflanzen enthalten Arbutin, ein antibakteriell wirksames Phenoglykosid, sowie Proanthocyanidine (PAC), die als Adhäsionshemmer für uropathogene Stämme von E. coli wirken.
Aber auch die Anwendung einer Kombination aus Kapuzinerkresse und Krenwurzelextrakt ist sehr effektiv und der Antibiotikatherapie zumindest ebenbürtig, allerdings ohne deren Nebenwirkungen und Resistenzentwicklungen, sogar bei Dauerkatheterträger:innen! Sehr interessant erscheint auch eine prospektive, randomisierte Doppelblindstudie, in der ein Kombinationspräparat aus Tausendgüldenkraut, Rosmarin und Liebstöckel im direkten Vergleich mit einer Antibiotikatherapie bei Patient:innen mit Harnwegsinfekt untersucht wurde. Dabei war die Kräuterextraktmischung dem Antibiotikum Fosfomycin in Wirkung und Rezidivwahrscheinlichkeit ebenbürtig.
Daneben gibt es eine ganze Reihe von Pflanzen, die entweder einzeln oder in Mischrezepturen für die so genannte Aquarese eingesetzt werden können. Dazu gehören beispielsweise Goldrute, Birkenblätter, Hauhechel, Brennnessel und viele andere mehr. Sie werden zumeist in Form von Kräutertees hergestellt, die allerdings den strengen Regeln des Arzneibuches entsprechen müssen. Es gibt auch Fertigpräparate, die leichter verfügbar und anwendbar sind.

Benignes Prostatasyndrom

Auch beim benignen Prostatasyndrom beziehungsweise bei der ebenfalls sehr häufigen Prostatitis spielt die pflanzliche Behandlungsschiene eine große Rolle. So erscheint bei letzterer die Therapie mit synthetischen Präparaten oftmals nicht zielführend, zumal die Nebenwirkungen die gewünschten Effekte übertreffen können. Dazu kommen in letzter Zeit zunehmend Berichte, die bisher sehr breit eingesetzte synthetische Medikamente in Verruf bringen, schwerwiegende Nebenwirkungen zu erzeugen. Allen voran sind hier die 5α-Reduktase-Inhibitoren Finasterid und Dutasterid zu nennen, denen neurologische Langzeiteffekte auf Kognition und Depression nachgesagt werden. Und so wurde mittlerweile schon der Begriff des „Finasterid-Syndroms“ geprägt. Aber auch die Anwendung von α1-Blockern, wie von Tamsulosin, steht unter Verdacht, mehr Nebenwirkungen als jene zu beinhalten, die man ohnedies bei jeder Behandlungsintention mit dem Patient:innen besprechen sollte, wie Anejakulation, Blutdrucksenkung, Schwellung der Nasenschleimhäute, das „floppy iris syndrome“ oder Auswirkungen auf den Verdauungstrakt.
Eine Ende 2018 veröffentlichte Metaanalyse von 15 randomisierten, placebokontrollierten Studien über die Wirkung, Sicherheit und Verträglichkeit von Sägepalmenextrakt im Vergleich zu Tamsulosin ergab vergleichbar gute Effekte auf die Verbesserung der Symptome, aber auch der Harnflussrate, wobei die Verträglichkeit derjenigen von Tamsulosin deutlich überlegen war und das Prostatavolumen signifikant abnahm.
Auch zu anderen Wirksubstanzen, wie die Extrakte aus Brennnesselwurzel, Kürbiskernen und der Afrikanischen Lilie werden hier verschiedene Effekte beschrieben, wenngleich sie eine nicht so solide Studienlage aufweisen. Die beschriebenen Effekte reichen von antiinflammatorischen bis hin zu antiproliferativen Effekten auf die Prostata. Manche der bei uns bisher erhältlichen Präparate mit solchen Inhaltsstoffen verschwanden wieder vom Markt, was insofern schade ist, als weniger sorgfältig überprüfte Nachfolger aus dem Bereich der Nahrungsergänzungen auf den Markt drängen und in Drogerien frei erhältlich sind. Für andere Präparate gibt es zurzeit noch zu wenig Evidenz, um sie generell zu empfehlen, wie zum Beispiel für Granatapfelextrakt, dem wachstumshemmende und PSA-reduzierende Wirkungen beim biochemischen Progress des Prostatakarzinoms zugeschrieben werden.

Phytotherapie der Prostata

  • Sägepalme (Sabal serulatae fructus)
  • Brennnesselwurzel (Urticae radix)
  • Kürbissamen (Cucurbitae semen)
  • Granatapfel (Punica granati fructus)
  • Roggenpollen (Secale cereale)
  • Weideröschenkraut (Epilobii herba)
  • Afrikanische Lilie (Hypoxis rooperi)

Phytotherapie bei Harnwegsinfekten

  • D-Mannose
  • Bärentraubenblätter3
  • Preiselbeere/Cranberry3
  • Kapuzinerkresse1
  • Krenwurzelextrakt1
  • Tausendgüldenkraut2
  • Rosmarin2
  • Liebstöckl2

1, 2, 3 als Kombinationspräparate