Das nun in der zweiten Auflage erschienene European Lung White Book der European Respiratory Society (ERS) stellt auf Basis der neuesten Daten der WHO und des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) sowie Aussagen europäischer Experten eine gründliche Auseinandersetzung mit den Belastungen, Kosten und Risikofaktoren einer Reihe von Lungenerkrankungen in Europa dar. Das erste „White Book“ wurde 2003 mit dem Ziel publiziert, die gesundheitlichen und sozioökonomischen Auswirkungen von Lungenerkrankungen in Europa darzustellen. Zehn Jahre später hat die ERS es für angebracht gehalten, die Informationen auf den neuesten Stand zu bringen, um aufzuzeigen, wie sich das Fachgebiet verändert und wie zukünftige Entwicklungen die Praxis beeinflussen werden.
Lungenerkrankungen sind für einen von zehn aller Todesfälle in Europa verantwortlich, wobei jene aufgrund von Lungenkrebs und COPD in den kommenden Jahrzehnten noch ansteigen werden. Der Anteil von Todesfällen aufgrund von Lungenerkrankungen ist in den 28 EU-Staaten deutlich höher (einer von acht Todesfällen, 12,5% aller Todesfälle, 661.000 Fälle jährlich) als in den restlichen Ländern der WHO-Europa-Region (7,5% bzw. 292.000 Todesfälle jährlich). Die vier Erkrankungen Lungenkrebs, COPD, Infektionen der unteren Atemwege (inkl. Pneumonie) und Tuberkulose verursachen einen von sechs Todesfällen. Rauchen und Atemwegsinfekte sind die Hauptursachen für die Belastung durch Lungenerkrankungen in Europa und wären beide potenziell vermeidbar. Es wird geschätzt, dass sich die direkten und indirekten Kosten, die durch Lungenerkrankungen entstehen, auf zumindest 390 Milliarden Euro jährlich belaufen, wobei das eine sehr vorsichtige Schätzung ist, da es nur wenige Daten gibt.
Die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der dreijährigen Studie wurden im New England Journal of Medicine veröffentlicht2.TIOSPIRTM (Tiotropium Safety and Performance in Respimat) mit über 17.000 COPD-Patienten hatte zum Ziel, Nachweise zum relativen Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil von Tiotropium 2,5 µgbzw. 5 µg via Respimat® im Vergleich mit Tiotropium 18 µg via HandiHaler® zu liefern. Bezüglich Größe (17.135 COPD-Patienten) und Dauer (2,3 Jahre Follow-up) war die Studie speziell darauf angelegt, die Analyse der Gesamtmortalität sowie die Zeit bis zur ersten COPD-Exazerbation in einer großen Patientenpopulation zu ermöglichen. Dabei wurden die Einschlusskriterien so breit gewählt, dass die Studienpopulation repräsentativ für eine typische COPD-Patientenpopulation war. Die Studie lieferte für beide Formulierungen von Tiotropium vergleichbare Ergebnisse bezüglich der Zeit bis zur ersten COPD-Exazerbation. Dabei betrug die mediane Zeitspanne bis zu einer ersten COPD-Exazerbation bei beiden Verabreichungsformen mehr als zwei Jahre. Für Tiotropium via Respimat® lag die Dauer bei 756 Tagen verglichen mit 719 Tagen für Tiotropium via HandiHaler®.
Die Studie zeigte für alle Formulierungen eine vergleichbare Überlebensrate, unabhängig von den Mortalitätsursachen. Die Hazard Ratio lag beim Vergleich Respimat® 5 µg vs. HandiHaler® bei 0,96 (95% CI; 0,84–1,09) und beim Vergleich Respimat® 2,5 µg vs. HandiHaler® bei 1,00 (95% CI; 0,87–1,14). Auch das Risiko einer ersten Exazerbation war vergleichbar (Respimat® 5 µgvs. HandiHaler®: HR 0,98; 95% CI, 0,93–1,03). Außerdem zeigten sich bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen in der Vorgeschichte keine Unterschiede in der Gesamtmortalität. Auch das Auftreten unerwünschter Ereignisse und schwerer kardiovaskulärer Ereignisse war in den drei Behandlungsgruppen vergleichbar.
Der anhaltende Einsatz von Antibiotika bei Infektionen der unteren Atemwege (Lower Respiratory Tract Infections, LRTI) führt zu unerwünschten Effekten für Patienten und zu Antibiotikaresistenzen. Lloyd MS et al.1 untersuchten in einer Interventionsstudie Vorteile und Sicherheit eines neuen Verschreibungsprotokolls für die Dauer des Antibiotikaeinsatzes.
Inkludiert waren alle Patienten, die über die Dauer von mehr als einem Jahr Antibiotika für die Behandlung einer LRTI erhielten. In der Anfangsphase wurden Art und Dauer der Antibiotikaanwendung dokumentiert. Endpunkte waren: antibiotikaassoziierte unerwünschte Wirkungen, Aufnahme in eine Überwachungs-/Intensivstation, Länge des Aufenthalts und Tod.
In der zweiten Phase folgte die Implementation eines Antibiotikaprotokolls, das aus automatischen Enddaten, einer von der Schwere abhängigen Antibiotikadauer (fünf Tage für CURB-65-Patienten mit niedrigem Risiko, sieben Tage für Hochrisikopatienten) und Feedback eines Pharmazeuten bestand. Die Anwendung von Antibiotika war in vier therapeutische Subgruppen unterteilt: Pneumonie (PN), akute Exazerbationen bei COPD (AECOPD), Exazerbationen bei Asthma (ExA) und andere (O).
Es wurden 281 Prä- und 221 Postinterventionspatienten in die Studie eingeschlossen. Ein signifikanter Rückgang in der Anwendungsdauer (Tage) konnte bei allen Patienten (8,3 à 6,8; p < 0,001) und in jeder der Subgruppen (p < 0,001) gezeigt werden; PN (9,3 à 7,1), AECOPD (7,7 à 6,2), ExA (6,3 à 5,0) und O (8,5 à 6,6). Dies war im Vergleich zwischen Prä- und Post-Interventionsgruppe mit einem signifikanten Rückgang von unerwünschten Nebenwirkungen durch Antibiotika assoziiert (31,3% à 19,0%;p < 0,0001). Es gab keinen signifikanten Effekt auf die Mortalitätsrate (8,9% à 8,1%; p = 0,6).
Lloyd et al. schließen daraus, dass eine multidisziplinäre Intervention den unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika und die unerwünschten Nebenwirkungen durch Antibiotika signifikant reduzieren kann.
Zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie (PAH) steht derzeit Macitentan, ein neuer dualer Endothelin-Rezeptor-Antagonist mit verbesserten pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften, am Prüfstand. Er wurde in der Phase-III-Studie SERAPHIN an 742 Patienten über 3,5 Jahre getestet und zeigte ein ausgezeichnetes Sicherheits- und Wirkprofil3. Sowohl der primäre, als auch alle sekundären Endpunkte wurden statistisch hochsignifikant erreicht. In der 10-mg-Gruppe reduzierte Macitentan das kombinierte Morbiditäts-Mortalitätsrisiko um 45%. Im Sicherheitsprofil zeigte Macitentan keine Unterschiede bei Erhöhungen der Transaminasen und bei peripheren Ödemen im Vergleich zu Placebo.
Für die Diagnose eines Bronchialkarzinoms sind derzeit eine Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane sowie eine CT-Untersuchung erforderlich. Zur Diagnosesicherung ist eine Bronchoskopie angezeigt4. Dies könnte sich bald ändern, denn Forscher stellten erste vorläufige Ergebnisse zur Detektion von Bronchialkarzinomen durch Marker in der Ausatemluft vor5. Dies wäre eine günstige und nicht-invasive Methode bei Patienten mit hohem Risiko.
Die Idee des „Erschnüffelns“ von Krankheiten stammt zum einen aus der Tierwelt, zum anderen aus der Science-Fiction-Serie „Star Trek“, in der zu diesem Behufe ein Tricorder eingesetzt wird. Vom Tricorder inspiriert, wurden erste Forschungen vom US-Militär zur Detektion von chemischen Waffen durchgeführt. Mediziner griffen die Technologie auf, um Signaturen von volatilen organischen Stoffen in der Ausatemluft von Patienten zu erkennen und Krankheiten wie Tuberkulose, Asthma und Lungenkrebs zuzuordnen.
Die Ergebnisse der am ERS vorgestellten Studie: Von 140 Bronchialkarzinomen bei Nichtrauchern konnten mit der „elektronischen Nase“ 128 erkannt werden, das entspricht einem positiven prädiktiven Wert (PPV) von 91,4%. Zum Vergleich: Bei 120 von 125 gesunden Nichtrauchern konnte ein Bronchialkarzinom ausgeschlossen werden, was einem negativen Vorhersagewert (NPV) von 96% entspricht. Bei Rauchern erkannte die „elektronische Nase“ 114 Lungenkarzinome und sieben nicht (PPV: 91,4%). Bei 84 von 89 gesunden Rauchern wurde kein Krebs festgestellt (NPV: 94,4%).
Doch bevor an einen Einsatz in der Klinik zu denken ist, muss ein großes Problem gelöst werden: Die „elektronische Nase“ erkennt nur individuelle Muster, d.h., dass das Equipment auf Geruchsbilder trainiert werden muss, um zwischen gesunden und kranken Menschen unterscheiden zu können.
Zum Abschluss eine für die Praxis wichtige Beobachtungsstudie6. In dieser wurden die Auswirkungen einer antidepressiven Medikation bei Patienten mit schwer kontrollierbarem Asthma bronchiale untersucht. Ein Ergebnis war, dass nur bei wenigen Asthmapatienten auch die Komorbidität Depression behandelt wurde. Überraschend war, dass Unterschiede in der Schwere der Depression bei steroidnaiven und steroidbehandelten Patienten auftraten. Konkret war die Schwere der Depression in der Steroidgruppe signifikant höher.
In die Studie wurden 57 Patienten mit Kortikosteroid-Langzeittherapie und 83 ohne Steroidtherapie inkludiert. Die durchschnittliche Steroiddosis lag bei 16,4 mg/die. Zu Beginn wurde eine Anamnese mit Lungenfunktionstest durchgeführt. Eine etwaige Depression wurde mit der „Hospital Anxiety Depression Scale-Depression“ (HADS-D) und dem Asthma Control Questionnaire diagnostiziert. Von 57 mit Steroiden behandelten Patienten mit schwerem Asthma bronchiale und depressiven Symptomen erhielten nur sieben Patienten auch eine antidepressive Medikation. Selbiges galt für neun von 83 depressiven Patienten ohne Steroidmedikation. Der durchschnittliche HADS-Score lag in der Steroidgruppe bei 11,58 und in der steroidnaiven Gruppe bei 4,2(p < 0,001), somit war die Schwere der Depression in der Steroidgruppe signifikant höher.
Interessant war allerdings, dass kein statistisch signifikanter Unterschied im Outcome der antidepressiven Therapie festgestellt werden konnte.
Der HADS-Score bei Patienten in der Steroidgruppe plus Antidepressiva lag bei 10,28, bei Patienten mit Steroidtherapie aber ohne Antidepressiva bei 11,3 (p = 0,93). Vergleicht man die HADS-Scores bei Patienten ohne Steroidtherapie konnten nur minimale und nicht signifikante Unterschiede festgestellt werden: 4,2 mit Antidepressiva und 4,1 ohne Antidepressiva.
Literatur:
1 Lloyd MS et al., ERS 2013: Abstract 5046
2 Wise RA et al., N Engl J Med 2013; 369(10):1491–501: Abstract P752
3 Pulido T et al., NEJM 2013; 369:809–18
4 S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Krebsgesellschaft; AWMF-Register Nr. 020/007
5 Bukovskis M et al., Analysis of exhaled breath with electronic nose and diagnosis of lung cancer by multifactorial logistic regression analysis. ERS 2013; Session 205
7 Bhat R et al., Anti-depressants in severe and brittle asthma patients on long term corticosteroids: An observational study; ERS 2013; Abstract P2126