Primärversorgung – quo vadis?

Die Karl Landsteiner Gesellschaft eröffnete im heurigen Jahr ihre Veranstaltungsreihe, das Gesundheitspolitische Forum, in Niederösterreichs Landeshauptstadt.
Zum Thema „Primärversorgung in St. Pölten – was ist neu?“ war eine hochrangige Expertenrunde geladen, und doch stand gleich zu Beginn der Diskussion ein anderer, nicht explizit geladener Gast, im Mittelpunkt: der/die Patient:in.

Patientenströme steuern

Anlass dafür war die neuerlich aufgeflammte Diskussion rund um eine möglichst effiziente Steuerung der Patientenströme durch das komplexe Gesundheitssystem. Den Anstoß hatte der Vize-Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Andreas Huss geliefert, der in einem Zeitungsinterview erneut seinen Wunsch geäußert hatte, den Zugang zu Fachärzt:innen einzuschränken. Konkret sollten – wie in früheren Zeiten – Hausärzt:innen für die Zuweisungen zu Fachärzt:innen zuständig sein. Direkte Besuche bei Fachärzt:innen würde Huss via e-card-Sperrung einschränken. Dr. Jan Oliver Huber, Leiter des Gesundheitspolitischen Forums, schlug dann auch die logische Brücke: Die Steuerung der Patient:innen und die Gesundheitskompetenz derselben gehören gemeinsam diskutiert. Zumal es mit Letzterer in der österreichischen Bevölkerung nicht sehr gut bestellt ist. „Kann die Primärversorgung, können die Primärversorgungszentren hier helfen?“, warf Huber in die Runde.

Mangel an Kompetenz

Dr. Gerald Bachinger, Patienten- und Pflegeanwalt in Niederösterreich, bejahte doppelt: „Ich bin dafür, dass über die Lenkung von Patient:innen diskutiert wird – aber nicht zuerst in den Medien.“ Und weiter: „Die Primärversorgung leistet einen unverzichtbaren Beitrag und ist die Grundlage, um die Versorgung der Patient:innen als ersten und umfassenden Zugang zum Gesundheitssystem bestmöglich anzubieten. Dieser geordnete Zugang ist aber auch für die höheren Versorgungsstufen eine existenzielle Voraussetzung für die bestmögliche Erfüllung ihrer Versorgungsaufgaben. Die traditionelle Struktur der Primärversorgung ist seit Jahren im Umbruch, ja in der Krise. Primärversorgungszentren, die nunmehr endlich verstärkt gegründet werden, werden einen wesentlichen Beitrag leisten, um die Primärversorgung zukunftsfähig zu gestalten.“ Damit diese Entwicklung gelingen hat, braucht es vor allem eines, war sich die Runde einig: den interdisziplinären Ansatz, die Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe.

Zusammenarbeit gefragt

 

Dr. Rafael Pichler, Arzt im PVZ St. Pölten: „Die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe und das große Team in Kombination mit den erweiterten Öffnungszeiten sind Puzzlesteine in der stabilen Patientenversorgung und gleichzeitig auch die Antworten auf die geänderten beruflichen Erwartungen der Ärzteschaft. Parallel zur Etablierung der weiteren PVE sollte im Rahmen der Pionierarbeit weitergedacht werden, welchen Mehrwert solch große Strukturen noch haben könnten.“ Mag.a Christina Engel-Unterberger, Dozentin und Lehrgangsleiterin an der FH St. Pölten, betonte in diesem Zusammenhang die entscheidende Rolle der psychosozialen Dimension in der Primärversorgung. „Es geht uns als Fachkräfte in der Sozialen Arbeit nie nur um das individuelle Verhalten, sondern immer auch um die Verhältnisse und Bedingungen, in denen sich unser Leben abspielt.

Diese Sichtweise deckt sich mit den Zielen einer gestärkten Primärversorgung, die eine personen-, familien- und bevölkerungsorientierte Versorgung gewährleisten soll.“ Was die Zukunft angeht, „baue ich darauf, dass in den nächsten Jahren die psychosoziale Dimension und die psychosoziale Kompetenz in der Primärversorgung noch stärker als bisher zur Selbstverständlichkeit werden und im Sinne eines biopsychosozialen Gesundheitsverständnisses auch zunehmend in den Kernteams vertreten sind“, ergänzte Engel-Unterberger.

An dieser Stelle hakte auch Univ.-Prof.in Dr.in Manuela Brandstetter, für die Studienprogrammleitung Soziale Arbeit an der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten GmbH zuständig, ein: „Demokratievertrauen und Gesundheitshandeln hängen eng zusammen. Ängste, Depressionen sowie Verbitterungsreaktionen stehen in engem Zusammenhang mit einer neuen Politikskepsis sowie einer kollektiven Sorge um die Zukunft unserer demokratisch verfassten Gesellschaft. Soziale Arbeit und andere psychosoziale Berufe haben zum Ziel, das Bewusstsein für Demokratie und Beteiligung an ihren Prozessen zu stärken und gegen Isolations- und Ohnmachtsphänomene einzutreten.“

Zukunftsfit mit Prävention

Ein anderes Zukunftsthema ist und bleibt die Prävention, und hier schließt sich auch der Kreis zur Primärversorgung – in welcher Art und Ausprägung sie auch angeboten wird. St. Pöltens Bürgermeister Mag. Matthias Stadler: „Ich bin fest davon überzeugt, dass gute Gesundheitsversorgung eine der Grundlagen für eine prosperierende Stadt ist. In den vergangenen Jahren haben wir uns intensiv mit dem Thema Gesundheitsprävention auseinandergesetzt. Wir haben Programme und Initiativen ins Leben gerufen, die darauf abzielen, die Gesundheit unserer Einwohner:innen zu erhalten und zu fördern.“ Ein weiterer Schwerpunkt liege auf der Versorgung vor Ort – ein zentraler Baustein der Gesundheitspolitik sei dabei die Stärkung der Primärversorgung. Für Dr. Harald Schlögel, Präsident der Niederösterreichischen Ärztekammer, ist dieser wohnortnahe Ansatz essenziell: „Primärversorgung und Familienmedizin sind die Basis der Gesundheitsversorgung jeden Landes und mehr als nur PVE. Primärversorgung wird in vielen Einzelordinationen und Gruppenpraxen in Niederösterreich geboten. PVE stellen eine wertvolle Bereicherung dar.“

Bürgermeister Stadler ergänzt: „Studien haben gezeigt, dass Länder mit gut ausgebauter Primärversorgung tendenziell bessere Gesundheitsergebnisse aufweisen, darunter niedrigere Sterblichkeitsraten, weniger Krankenhausaufenthalte und eine höhere Lebenserwartung. Eine starke Primärversorgung senkt langfristig die Gesundheitsausgaben, indem sie dazu beiträgt, teure Notfallbehandlungen und Krankenhausaufenthalte zu reduzieren.“ Zudem könnten präventive Maßnahmen und frühzeitige Interventionen teure Folgekosten verhindern. „Eine Auseinandersetzung mit dem Thema auf dieser qualitativen Ebene an unserer Fachhochschule St. Pölten ist dabei eine weitere willkommene und wichtige Maßnahme, weshalb ich den Organisator:innen und allen Beteiligten für diese Initiative danken möchte.“