Das Prostatakarzinom (PCa) ist in Europa das am häufigsten diagnostizierte Karzinom des Mannes. Die Anzahl der Neuerkrankungen pro Jahr liegt in Österreich relativ stabil zwischen 4.593 und 6.028 seit dem Jahr 2000. Pro Jahr verstarben in diesem Zeitraum zwischen 1.066 und 1.260 Patienten an einem PCa. Seit der Einführung der PSA-Bestimmung lassen sich folgende demografische Veränderungen beobachten:
Aufgrund des langsam progredienten Krankheitsverlaufes stellen somit viele diagnostizierte Karzinome für den Patienten kein Risiko dar und sind als klinisch insignifikant zu werten. Manche Studien sprechen von bis zu 50 % überdiagnostizierten Karzinome mit der konsekutiven „Gefahr“ einer Übertherapie. Deshalb kam es rezent vor allem in Deutschland zu einer heftigen Diskussion bezüglich der Sinnhaftigkeit einer generalisierten PSA-Testung beziehungsweise deren Kostenerstattung durch die Krankenkassen. Im Rahmen des Vorberichtes „Prostatakarzinom-Screening mittels PSA-Test“ des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen wird der Nutzen des PSA-Testes in Frage gestellt. Dies führte in verschiedenen überregionalen Printmedien in Deutschland und Österreich zu einer Pauschalisierung unter der Überschrift „Der PSA-Wert ist nutzlos“. Diese Aussage kann von urologischer Seite nicht bestätigt werden. Der Patient ist damit weder sachlich informiert noch erleichtert es ihm seine weiteren Entscheidungen bezüglich PSA-Test und eventueller Biopsie. Der Schaden einer zu späten Diagnose und konsekutiver Metastasierung ist für den Patienten irreversibel und bedeutet in den allermeisten Fällen Leiden.
In Österreich existiert derzeit kein generalisiertes PSA-Screening. PSA wird zusammen mit einer digitorektalen Untersuchung ab dem 45. Lebensjahr und einer Lebenserwartung von > 10 Jahren zur Früherkennung empfohlen. Natürlich bedarf es einer entsprechenden Aufklärung über mögliche Konsequenzen der Testung.
Bezüglich Nutzen und Gefahren eines generalisierten PSA-Screenings wurden in den letzten Jahren drei große prospektiv randomisierte Studien publiziert: die britische CAP-Studie („the cluster randomized trial of PSA testing for prostate cancer“), die europäische ERSPC-Studie („european randomized study of prostate cancer“) und die amerikanische PLCO-Studie („prostate, lung, colorectal and ovarian cancer screening trial“). Vor allem die Ergebnisse der PLCO- und CAP-Studie führten zu einer Infragestellung der PSA-Testung.
PLCO-Studie
In dieser Studie zeigte ein PSA-Screeningprogramm in einer Kohorte von 76.700 Männern nach 7 beziehungsweise 13 Jahren keinen Rückgang der PCa-spezifischen Mortalität. Daraufhin erfolgte im Jahr 2012 eine Empfehlung gegen die generelle Verwendung des PSA-Tests. Dies resultierte in einem signifikanten Rückgang von PSA-Früherkennungsuntersuchungen bei Männern > 50 LJ und der Anzahl an Prostatabiopsien. Parallel zu dieser Entwicklung kam es zu einer vermehrten Inzidenz von fortgeschrittenen und High-Risk-Tumorstadien.
Insgesamt weist die PLCO-Studie jedoch deutliche Schwächen auf, da eine hohe Kontamination der Kontrollgruppe vorlag. 46 % der Teilnehmer des Kontrollarmes unterzogen sich einer jährlichen PSA-Testung – und nur 40 % der Teilnehmer unterzogen sich nach Indikationsstellung zur Prostatabiopsie derselben. Außerdem war der gewählte Beobachtungszeitraum von 10 Jahren zu kurz, um bei einem langsam wachsenden Karzinom wie dem PCa überhaupt einen möglichen Screeningeffekt beurteilen zu können.
CAP-Studie
An dieser Studie nahmen 419.582 Männer mit einem medianen Alter von 59 Jahren teil. Der Interventionsgruppe (189.386 Patienten) wurde ein einmaliger PSA-Test angeboten. Es unterzogen sich lediglich 36 % dieser Patienten einer PSA-Wert-Bestimmung. 6.857 Männer (11 %) wiesen eine PSA-Elevation auf, und 85 % unterzogen sich einer Prostatabiopsie. In der Screeninggruppe wurde bei 4,3 % ein PCa diagnostiziert, das bei 1,7 % einen Gleason- Score ≤ 6 aufwies. In der Kontrollgruppe lag die Anzahl der gesamt PCa (3,6 %) und der ≤-6-Gleason-Score-Tumoren (1,1 %) deutlich niedriger. Methodisch weist die Studie ähnliche Schwächen wie die PLCO-Studie auf: ein kurzer medianer Beobachtungszeitraum von 10 Jahren, eine hohe Kontaminationsrate des Kontrollarmes und eine geringe Anzahl von PSA-Testungen in der Interventionsgruppe.
ERSPC-Studie
Zwischen 1993 und 2003 wurden 181.999 Männer (50–74 Jahre) in diese Studie eingeschlossen. Bereits nach einem medianen Follow-up von 9 beziehungsweise 11 Jahren zeigte sich eine relative Reduktion der PCa-spezifischen Mortalität um 20 und 21 % als Folge eines PSA gesteuerten Screeningprogrammes. Eine weitere Reduktion war jedoch nach 13 Jahren nicht mehr zu beobachten. Insgesamt betrug die Anzahl der zu screenenden Männer, um einen Todesfall verhindern zu können („number needed to screen“), 781 Personen. Die Anzahl der zu diagnostizierenden PCa betrug 27, um einen PCa-spezifischen Todesfalls zu verhindern. Außerdem kam es zu einer relativen Reduktion des Langzeitauftretens von Fernmetastasen um 30 % (3,1/1.000 gescreenten Fällen).
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Studienprotokolle obiger Studien vor Jahrzehnten definiert wurden und mit dem heutigen Einsatz des PSA-Wertes nur mehr bedingt Gemeinsamkeiten aufweisen. In den Studien zeigten sich zwar keine Vorteile hinsichtlich der Gesamtsterblichkeit, jedoch sehr wohl in Bezug auf die prostatakarzinomspezifische Sterblichkeit und das Auftreten von Metastasen. Diese für den Patienten entscheidenden Umstände konnten vor allem in der ERSPC statistisch deutlich belegt werden. Ein Leben mit symptomatischen Metastasen und einer ständigen, nebenwirkungsreichen und belastenden Systemtherapie mit GnRH-Analoga, Chemotherapie und anderen Therapeutika kann durch eine rechtzeitige PSA-Bestimmung in den meisten Fällen vermieden werden.
In allen 3 Studien wurde in der Interventionsgruppe eine signifikant höhere Karzinomrate detektiert. Dies kann natürlich zu einer Übertherapie der Low-Risk-PCa- Fälle führen. Bei circa 50 % erfolgt bei diesen Tumoren eine für den Patienten eventuell unnötige radikale operative oder strahlentherapeutische Therapie mit den assoziierten potenziellen Nebenwirkungen wie Inkontinenz, erektile Dysfunktion und gastrointestinale Symptome. Leider ist eine präzise Vorhersage, welcher Patient von einer Therapie profitiert, trotz verschiedener Parameter zur Risikobeurteilung nicht endgültig möglich.
Der PSA-Wert erfüllt durch seine hohe Sensitivität, aber niedrige Tumorspezifität die Kriterien für ein Screeningverfahren nur bedingt.
Altersabhängige Grenzwerte und PSA-Verlauf
Um eine unnötige psychische Belastung durch falsch positive Befunde und unnötige Biopsien und deren Nebenwirkungen zu vermindern, wurden eine Reihe von Strategien entwickelt:
Es konnte außerdem gezeigt werden, dass die psychische Belastung sowie die Lebensqualität nach einer vermeintlich „unnötigen“ Biopsie vergleichbar ist mit der bei Patienten ohne Biopsie.
MRT und MRT-TRUS-Fusionsbiopsie
Auch konnte die Bildgebung in den letzten Jahren verbessert werden. Es etablierten sich vor allem die multiparametrische Magnetresonanztomografie (mp-MRT) der Prostata und die MRT-TRUS-Fusionsbiopsie. Durch die multiparametrische MRT ist es nunmehr möglich, gezielt Areale der Prostata als krebsverdächtig einzustufen, diese Information kognitiv und softwaregestützt auf die Stanzbiopsie zu übertragen und somit die Detektionsrate signifikanter Karzinome zu verbessern.
Bei auffälligem PSA-Wert erfolgt eine patientenbezogene Interpretation, die im Zusammenspiel mit obigen diagnostischen Modalitäten zu einer Biopsie führen kann. Eine positive Biopsie bedarf einer individualisierten Beratung über das weitere Vorgehen. Dies bedeutet nicht automatisch eine radikale lokale Therapie, sondern kann auch eine aktive Überwachung sein. Somit stellt der PSA-Wert aktuell nur mehr einen der Bausteine zur PCa-Diagnostik und -Früherkennung dar.
Wissenswertes für die Praxis