„Stigmatisierung ist nicht nur ein allgemein-gesellschaftliches Phänomen, sondern immer auch ein unmittelbares individuelles“, sagt Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek im Interview. Immer noch liegt in Österreich die große Herausforderung der psychischen Versorgung in der für den einzelnen Betroffenen hohen Schwelle, überhaupt in Behandlung zu gehen, aber auch Behandlung zu finden.
Immer noch gibt es Bereiche (Stichwort: Kinder- und Jugendpsychiatrie!), vor allem aber auch Regionen mit einer massiven Unterversorgung. Defizite bestehen jedoch nicht nur, was die Verfügbarkeit der Behandlung betrifft, sondern auch, was die gesellschaftliche Akzeptanz von psychischen Erkrankungen betrifft. In den letzten Jahren hat sich zwar – nicht zuletzt auch als Folge des Outings bekannter Persönlichkeiten – einiges auch in Richtung Enttabuisierung und Entstigmatisierung getan. Immer noch habe jedoch ein Magenulkus eine andere Wertigkeit in der Gesellschaft als eine Depression, und erst recht die Suchterkrankung, wie es Michael Musalek pointiert auf den Punkt bringt.
Beginnend mit dieser Ausgabe starten wir mit unserer großen Initiative „Psychische Gesundheit“, in der wir zum einen einzelne psychische Erkrankungen in den Fokus rücken, zum anderen aber auch den Blick auf die damit verbundenen gesellschaftlichen Phänomene werfen wollen.
Politischer Handlungsbedarf. Dem Thema „Psychische Versorgung“ will sich nun auch die Politik annehmen. Eigentlich schon für den Beginn dieser Legislaturperiode geplant, soll nun im September ein Arbeitsprozess gestartet werden, der alle in die psychische Versorgung eingebundenen Berufsgruppen involviert. Letztlich sollen „Schritte in Richtung einer Angleichung der Behandlung psychischer und körperlicher Erkrankungen gesetzt“ und „Zugangsbarrieren gesenkt werden“, sagt Gesundheitsminister Rudolf Anschober im Interview mit der Ärzte Krone. Für viele Betroffene sind die Zugangsbarrieren jedoch derzeit auch finanzieller Natur. „Grundsätzlich wollen wir uns dem im Regierungsprogramm formulierten Ziel des Ausbaus psychotherapeutischer Leistungen in Richtung vollfinanzierter Plätze annähern“, so Anschober. Ob die Ausweitung der kassenfinanzierten Angebote trotz ÖGK-Defizit Chancen auf zeitnahe Umsetzung hat, bleibt abzuwarten.