Psychische Unterstützung von Menschen mit Diabetes

Depression und Angststörungen, sowie „Diabetes-Disstress“ zählen mit Prävalenzen von 22–30 %, 28% und 18–45 % zu den häufig mit Diabetes assoziierten psychischen Komorbiditäten. „Diabetes-Disstress“ wird gegen Depression abgegrenzt und bedeutet so viel wie unbewältigter psychischer Stress. Neben der persönlichen, emotionalen und kognitiven Bewertung von Diabetes beinhaltet der Begriff auch Sorgen, Bedenken und Ängste, die mit einer chronischen, fordernden und progredienten Erkrankung assoziiert sind.

Pathophysiologie und Folgen von erhöhtem Stress

Psychischer oder psychosozialer Stress ist durch eine starke emotionale Komponente charakterisiert und bewirkt eine neuroendokrine Aktivierung, die bei längerer Dauer zu nachhaltigen ungünstigen Auswirkungen im Körper führt. Bei Manifestation von Symptomen wie Rückzug und Traurigkeit, Interesselosigkeit, Verlust von echter Freude, vernachlässigter Diabeteskontrolle und anderen ist Hilfe erforderlich. Die langfristigen Auswirkungen von psychischen bzw. psychosozialen Stressoren auf biologischer Ebene implizieren Handlungsbedarf. Die dabei ausgeschütteten Hormone haben ungünstige Wirkungen auf den Stoffwechsel, auf das kardiovaskuläre System, auf das Gehirn und auf das Immunsystem. Darüber hinaus führt die erhöhte Produktion von Zytokinen zu dem sogenannten Unhealthy Brain mit Neuroinflammation und Neuro-degeneration. Die Langzeitaktivierung des neuroendokrinen Stresssystems resultiert in der Manifestation psychischer und physischer Komorbiditäten.

Psychische Unterstützung

Die psychische Unterstützung für betroffene Patient:innen sollte darauf abzielen, Bewältigungsstrategien zu erarbeiten und damit die Aktivierung neuroendokriner Prozesse zu vermindern. Die Stärkung der Selbstwirksamkeit und des Selbstvertrauens mit Reduktion von Sorgen, Ängsten und Befürchtungen sind dabei wichtige Bausteine. Ein zielführendes Entlastungsgespräch mit aktivem Zuhören, Empathie und Ansprechen der individuellen psychischen Belastungen kann von allen Ärzt:innen durchgeführt werden. Die Methode der kognitiven Umstrukturierung kommt aus der Verhaltenstherapie und ist ein starkes psychologisches Instrument. Negative Gedanken werden in die Sprache übertragen und können an bestimmten Sprachmustern erkannt werden. Negative Sprachmuster sind z. B.: „Das kann ich nicht. Das schaffe ich nicht. Das ist mir alles zu viel.“ Derartige negative Gedanken wirken wie eine Erfolgsbremse und bringen negative Gefühle mit sich. Ungünstige Denkstrategien, die dahinterstecken, sind beispielsweise Überbewertung von Negativem, geringe Akzeptanz von Positivem, zu hohe Erwartungen an sich selbst und voreilige Schlussfolgerungen. Menschen mit ungünstigen Denkstrategien machen häufig unbewusst aus negativen Gedanken und Gefühlen Fakten, und diese Fakten bestimmen dann Erfolg und Misserfolg. Daher ist die Unterstützung bei der Bewusstmachung negativer Gedanken und bei der Umstrukturierung in positive Gedanken eine zielführende Maßnahme.

Resilienz

Resilienz bedeutet vereinfacht so viel wie Widerstandsfähigkeit gegen psychosozialen Stress. Eine hohe Resilienz ist charakterisiert durch Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Selbstwirksamkeit und Selbstreflexion. Sie wirkt der langfristigen Aktivierung der neuroendokrinen Stressachse entgegen und beeinflusst somit das Immunsystem und den Stoffwechsel positiv. In einer schwedischen Studie wurde bei 1,5 Millionen junger Männer im Rahmen der Musterung ein Stress-Resilienztest durchgeführt. Weiters wurde in dieser Population über 27,5 Jahre das Auftreten von Stoffwechselerkrankungen monitiert. Bei 34.000 Männern kam es im Rahmen des Follow-ups zum Auftreten von Diabetes mellitus. Bei niedriger Stressresilienz war das Risiko, in den Folgejahren Diabetes zu manifestieren, fast doppelt so hoch.

Zusammenfassung

Der kombinierte Einsatz der genannten Maßnahmen und wenn notwendig eine Erweiterung um Pharmakotherapie sind individuell zu evaluieren. Bei der Behandlung von psychischen Komorbiditäten geht es nicht nur um die Besserung der psychischen Symptome, sondern auch um nachhaltige positive Effekte auf den Stoffwechsel. Rezente Metaanalysen zeigen, dass psychotherapeutische Interventionen effektiv die psychische Erkrankung positiv beeinflussten, jedoch die Stoffwechselkontrolle häufig nur moderat oder gar nicht. Daher sollten in Studien die psychologischen Interventionen detailliert beschrieben und auch deren Auswirkungen auf die Therapieadhärenz und Lebensqualität untersucht werden.

Praxismemo

  1. „Diabetes-Disstress“ beschreibt psychischen Stress sowie Sorgen und Ängste im Umgang mit der Erkrankung.
  2. Psychische Unterstützung beinhaltet neben aktivem Zuhören und Empathie die Stärkung der Selbstwirksamkeit.
  3. Die eingesetzten Maßnahmen sind individuell zu evaluieren und ggf. um eine Pharmakotherapie zu erweitern.