10 Punkte für die Zukunft der Allgemeinmedizin – Punkt 1: Die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin

Seit 1. Juni 2015 ist die „Ärzteausbildung NEU“ in Kraft; ein zentraler Pfeiler dabei ist die verpflichtende Lehrpraxis. Sie wird in den kommenden Jahren schrittweise von sechs auf neun (ab 1. 6. 2022) und schließlich auf zwölf Monate (ab 1. 6. 2027) ausgedehnt. Die Ausbildung soll nicht mehr „nebenbei“ passieren und eine Art Anhängsel im Routinebetrieb sein, sondern im Mittelpunkt der Tätigkeit der auszubildenden Ärzte stehen.
Begonnen wird nach dem Studium mit einer Basisausbildung, die zumindest neun Monate in konservativen und chirurgischen Fächern umfasst. Am Ende dieser Zeit sollen die Ärzte in der Lage sein, die häufigsten Krankheitsbilder zu erkennen und zu behandeln. Wer Allgemeinmediziner werden möchte, absolviert danach zunächst 27 Monate Spitalsturnus. Dieser enthält folgende Fächer: neun Monate Innere Medizin, drei Monate Kinder- und Jugendheilkunde, drei Monate Frauenheilkunde und Geburtshilfe, drei Monate Orthopädie und Traumatologie und drei Monate Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Zusätzlich müssen zwei Wahlfächer in der Dauer von mindestens drei Monaten absolviert werden. Gewählt werden kann aus folgenden Fächern: Anästhesiologie und Intensivmedizin, Augenheilkunde und Optometrie, Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Neurologie und Urologie.
An diesen Spitalsturnus schließt sich die vorerst sechsmonatige verpflichtende Lehrpraxis bei einem Arzt für Allgemeinmedizin an. In Summe dauert die Ausbildung für angehende Allgemeinmediziner somit künftig mindestens 42 Monate, nach Ausdehnung der Lehrpraxis auf zwölf Monate wird die allgemeinmedizinische Ausbildung mindestens 48 Monate in Anspruch nehmen.
Die Lehrpraxis bildet den letzten Ausbildungsabschnitt und kann bei einem Arzt für Allgemeinmedizin, in einer Lehrgruppenpraxis, in einem Lehrambulatorium oder in einer Spitalsambulanz absolviert werden. Sie muss mindestens 30 Wochenstunden umfassen. Ein erster Lichtblick bezüglich Finanzierung der verpflichtenden Lehrpraxis hat sich kürzlich aufgetan: Die Länder werden 30% der Kosten übernehmen. Nun sei der Bund gefordert, hört man aus der Ärztekammer.

 

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Das Glas ist halb voll und halb leer!

ÖGAM-Präsident Dr. Christoph Dachs und Ärzte Krone haben SC Dr. Clemens Martin Auer vom Gesundheitsministerium zur Situation der Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin befragt: „Für mich ist das Glas halb voll und halb leer – einerseits müssen wir die neue, konsensual beschlossene Ausbildungsordnung auch zum Leben erwecken, das ist ein inkrementeller Prozess. Andererseits sind die Rahmenbedingungen in den Krankenanstalten und in den Lehrpraxen noch nicht ausreichend gegeben. Das muss zu Ende gebracht werden, und ich gehe davon aus, dass wir eine Finanzierungsregel für die Lehrpraxen in absehbarer Zeit auf den Weg bringen. Inwieweit die Ausbildung intramural zufriedenstellend organisiert ist bzw. wird, müssen wir genau beobachten. Insgesamt glaube ich, dass wir bei der Frage der Ausbildung der Allgemeinmediziner noch lange nicht am Ende sind, weil wir aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre und des Defizits, das da an allen Ecken und Enden auftaucht, tiefer gehen müssen und uns auch das Curriculum der ärztlichen Ausbildung generell noch einmal anschauen müssen. Aber da sind natürlich auch die Medizinuniversitäten gefragt.“
Gewisse Dinge könnten nicht von der regulatorischen Ebene geregelt werden, da bedürfe es der Selbstorganisation des ärztlichen Berufsstandes. Auer: „Und es geht auch um die Zusammenarbeit mit den anderen Gesundheitsberufen. Ein an Arbeit überforderter Arzt kann nur dann entlastet werden, wenn die anderen nichtärztlichen Gesundheitsberufe gewisse Tätigkeiten übernehmen. Vielleicht ist das eine oder andere regulatorisch noch nachzuschärfen, aber was sicherlich notwendig ist, ist ein wesentlich größeres Verständnis von gemeinsamer Kooperation, und das ist streckenweise auch eine Ausbildungs- oder Nachschulungsfrage.“

 

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© Nöbauer

Sektionschef Dr. Clemens Martin Auer, BMG, und
Dr. Christoph Dachs, ÖGAM

 

„Keine Rücksichtnahme auf universitäre Bedürfnisse“

Der Rektor der MedUni Wien, Univ.-Prof. Dr. Markus Müller meint zur Frage der Ausbildung: „Die Novelle der Ärzteausbildungsordnung ist ein Versuch einer fälligen Modernisierung der ärztlichen Ausbildung in Österreich. Die universitären Bedürfnisse wurden dabei allerdings nicht ausreichend berücksichtigt. Entscheidend wird die Frage werden, wie diese Formalvorgaben im täglichen Alltag gehandhabt werden können.“

 

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© MedUni Wien/Reinhard Lang

Univ.-Prof. Dr. Markus Müller,
Rektor der MedUni, Wien

 

Quantitative und qualitative Nachbesserungen notwendig

Auch Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger ist kritisch: „Bei der Ausbildung wird es sicher noch Nachbesserungen sowohl quantitativer als auch qualitativer Art geben. Die derzeitig vorgesehene Ausbildung ist das absolute Minimum, das vorläufig ausreichen wird, aber sicher nicht eine optimale Lösung ist. Gerade eine gute/bestmögliche Ausbildung der angehenden Allgemeinmediziner, als Teil der Primärversorgung, ist essenziell, damit dieses Modell funktionsfähig werden kann und die Aufgaben im Rahmen der öffentlichen Primärversorgung erfüllen kann.“

 

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© ÄK Wien/Stefan Seelig

Dr. Gerald Bachinger,
Patientenanwalt