10 Punkte für die Zukunft der Allgemeinmedizin – Punkt 2: Universitäre Verankerung der Allgemeinmedizin

An drei Medizinischen Universitäten Österreichs ist die Allgemeinmedizin bereits akademisiert (Wien, Salzburg, Graz), in Innsbruck gibt es offensichtlich Probleme. Die Ärzte Krone gibt einen Überblick über die Situation und hat Experten aus Politik und Gesundheitswesen befragt.

 

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Univ.-Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch, Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV) in Graz: „Mit der Eröffnung des Instituts für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung setzt nun auch die MedUni Graz neben der Paracelsius Uni Salzburg und der MedUni Wien ein klares Zeichen für die notwendige Akademisierung der Allgemeinmedizin in Österreich. Das war längst überfällig, aber leider fehlt in Österreichs Westen noch jegliche universitäre allgemeinmedizinische Einrichtung, weshalb wir sicherlich noch nicht von einer ausreichenden Verankerung in diesem Land sprechen können.
Probleme ergeben sich erst, wenn Forschungsprojekte umgesetzt werden. Österreich allerdings ist in der allgemeinmedizinischen Forschungslandschaft ein weißer Fleck. Die Hausärzte wissen meist nicht, dass sie Teil eines Forschungsprozesses sein können, sodass wir als IAMEV noch viel Aufbauarbeit leisten müssen. Daher ist es eines unserer ersten Ziele, ein interaktives Forschungsnetzwerk mit Hausärzten aufzubauen. Eine Umfrage bei allen steirischen Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin ergab, dass erfreulicherweise immerhin über 10% der Befragten sich für die Teilnahme an Forschungsprojekten ausgesprachen.
Das Bewusstsein der Politik für die Bereitstellung öffentlicher Forschungsfördergelder fehlt in Österreich zur Gänze. Diese Notwendigkeit – für eine langfristige Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen hausärztlichen Versorgung vor allem im ländlichen Raum – hat man in Deutschland längst erkannt und mit entsprechend hohen Fördersummen reagiert. Damit können Institute für Allgemeinmedizin versorgungsforschungsrelevante Projekte durchführen, was auch hierzulande dringend erforderlich wäre.“

 

Univ.-Prof. Dr. Maria Flamm, MPH, Vorständin des Instituts für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg: „Die universitäre Verankerung der Allgemeinmedizin in Österreich ist, im internationalen Vergleich, noch in einem ausbaufähigen Entwicklungsstadium. Nach dem Lehrstuhl in Wien, wurde 2006 der Lehrstuhl an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Salzburg gegründet. Seit einem Jahr ist auch ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin in Graz besetzt. Um die Rolle der akademischen Allgemeinmedizin im Gesundheitssystem weiter zu stärken braucht es eine partnerschaftliche Verbindung zwischen der Hausarztpraxis und den akademischen Strukturen sowie weiteren Ausbau und universitäre Zusammenarbeit.
Ein Großteil der Patientenkontakte findet in der Primärversorgung statt, daher ist es wesentlich, die Studierenden bestmöglich darauf vorzubereiten. An der PMU ist man daher bemüht, in Lehre und Forschung die gesamte Versorgungskette abzubilden. Auch zukünftige Fachärzte anderer Disziplinen sollten den Arbeitsbereich der Allgemeinmedizin kennenlernen, um im späteren Dialog über Patienten und deren spezifische Bedürfnisse Versorgungsbrüche zwischen den Sektoren zu vermeiden.
Um die Zukunft der allgemeinmedizinischen Versorgung der Bevölkerung langfristig sicherzustellen, ist es wichtig, neben hoher Qualität in der Lehre, auch durch Versorgungsforschung möglichst viele Studierende für das Fach Allgemeinmedizin zu begeistern. Zur Weiterentwicklung der akademischen Allgemeinmedizin sind allerdings entsprechende Ressourcen erforderlich. Eine Etablierung bzw. Aufstockung von entsprechenden Fördermöglichkeiten in Österreich ist notwendig.“

 

Univ.-Prof. Dr. Manfred Maier, Vorstand der Abteilung Allgemeinmedizin, Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien: „Während es in Holland oder England seit Jahrzehnten Abteilungen für Allgemeinmedizin, zum Teil mit mehreren hundert Mitarbeitern gibt, ist das Fach an der medizinischen Universität Innsbruck überhaupt nicht institutionalisiert, in Graz gerade einmal seit einem Jahr und an der MUW wurden die personellen Ressourcen der seit den 1990-ern bestehenden Abteilung und die Verankerung des Fachs im Medizinstudium zuletzt wieder reduziert. Während in Vorzeigeländern jeder Studierende drei bis vier Monate in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen verbringt, sind es in Innsbruck und Graz nur wenige Wochen; in Wien ist es derzeit wieder möglich, das Medizinstudium ohne Erfahrung in der Primärversorgung abzuschließen. Die Finanzierung von wissenschaftlichen Projekten im Fach Allgemeinmedizin ist in Österreich nur durch externe Auftraggeber (!) oder durch EU-Projekte möglich; in anderen Ländern stehen für die angewandte Forschung eigene Fördermittel zur Verfügung, in England z.B. zwei Prozent des Gesundheitsbudgets. In Anbetracht der internationalen Gegebenheiten und des bereits deutlich spürbaren Desinteresses an der Tätigkeit in der Primärversorgung sind diese österreichspezifischen ‚Entwicklungen‘ unverständlich und für die Rekrutierung des akademischen Nachwuchses fatal. Mittel- bis langfristig sind sie zum Schaden des Gesundheitssystems, der PatientInnen und der Universitäten und erfüllen offensichtlich lediglich die Bedürfnisse jener Entscheidungsträger, die aus Angst vor Veränderung und starken Lobbies alles möglichst so belassen wollen, wie es ‚schon immer bei uns war‘.“

 

Und was sagen die Experten aus der Politik dazu?

 

Aus dem Wissenschaftsministerium erreichte uns zu dem Thema folgende Stellungnahme: „Der gesamthafte Blick eines Allgemeinmediziners spielt in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung eine wichtige Rolle. Obwohl diese Ausbildung grundsätzlich nach dem Studium angesiedelt ist, bemühen wir uns, diesen Aspekt über die Leistungsvereinbarungen des Ministeriums mit den Medizinischen Universitäten auch in Lehre und Forschung abzubilden. Ob die Vermittlung der Inhalte durch ein Institut, ein Departement oder ein Zentrum erfolgt, ist nicht entscheidend. Die jeweilige Universität muss bewerten, welche Form am besten den Anforderungen einer modernen Ausbildung entspricht.“

 

Univ.-Prof. Dr. Markus Müller, Rektor der Medizinischen Universität Wien, meint: „Die MedUni Wien hat 2004 als erste Universität Österreichs eine eigene Professur für Allgemeinmedizin, auch als Zeichen der Bedeutung des Faches, etabliert. Auf Basis des neuen Entwicklungsplanes ist ab 2016 eine Neuausschreibung/Nachbesetzung dieser Professur geplant. Die Bedeutung des Faches ist, nicht zuletzt in Anbetracht der geplanten Reformen des – im internationalen Vergleich – untypisch strukturierten österreichischen Gesundheitssystems offensichtlich.“

 

Mag. Georg Ziniel MSc, Geschäftsführer Gesundheit Österreich GmbH ist der universitären Verankerung der Allgemeinmedizin gegenüber skeptisch: „Jede hochwertige Ausbildung braucht eine kritische Masse, sowohl in der Lehre als auch bei den Teilnehmern. Ich bin nicht sicher, ob wir diese Voraussetzung erfüllen, wenn wir überall und gleichermaßen Ausbildungen anbieten – dann haben wir möglicherweise fünf Institute an den Universitäten, und jedes Institut hat eine zu geringe Zahl an Studenten. Das geht meiner Meinung nach nicht. Tendenziell neige ich daher dazu, konzentrierte Ausbildungen aufzubauen. Nicht nur wegen Lehre, sondern auch in Verbindung mit Forschung.“

 

 

IHRE MEINUNG IST GEFRAGT!

Im 3. Teil der Serie in der nächsten Ausgabe der Ärzte Krone am 29. 1. 2016: Vizepräsident der ÖÄK Dr. Johannes Steinhart im Gespräch über die „Allgemeinmedizinische Versorgung“.
Machen Sie mit! Senden Sie uns Ihre Ideen und Vorschläge zu diesem Thema an:
Ärzte Krone, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien
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