Vor Kurzem fand in Wien das „3rd Joint Annual Meeting“ der Schweizerischen und Österreichischen Gesellschaft für Pathologie statt – eine eindrucksvolle Leistungsschau eines diagnostischen Faches, das in seiner Bedeutung mit anderen zentralen diagnostischen Fächern wie der Röntgenologie und der Labormedizin vergleichbar ist. „Alle drei Fächer sind für die Diagnostik und erfolgversprechende Therapie von frühen und fortgeschrittenen Krankheitsbildern maßgeblich“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Klimpfinger, SMZ Süd – Kaiser-Franz-Josef-Spital, Präsident der „Österreichischen Gesellschaft für Pathologie – Österreichische Abteilung der IAP“. Brustkrebs sowie entzündliche Erkrankungen, Krebserkrankungen des Gastrointestinaltraktes und ihre Vorstufen standen im Mittelpunkt international besetzter Vorträge.
Auf der Tagung wurden u.a. molekulare Marker vorgestellt, die prognostische Orientierungen ermöglichen, aber heute auch vielfach als prädiktive Marker die Grundlage für eine zielgerichtete Tumortherapie bilden. Das betrifft zum einen vom Epithel ausgehende Karzinome (z.B. beim Mammakarzinom der Östrogen- und Progesteronrezeptorstatus, die Ki67-Reaktivität, einen Proliferationsmarker oder die Untersuchung auf das Vorliegen einer Amplifikation des Her-2/neu-Gens), zum anderen auch beispielsweise die von umgebendem Bindegewebe ausgehenden Tumore des Verdauungstraktes (gastrointestinale Stromatumore, GIST). Bei den GIST ist die Mutationsanalyse von KIT und PDGFRA therapiebestimmend. Besonders wichtig für die klinische Umsetzung der Diagnose sind die Aktualisierung der Tumorklassifikation nach UICC, die TMN8-Klassifikation sowie neue Methoden wie die Mutationsbestimmung aus dem Serum des Patienten („Liquid Biopsy“), die insbesondere für das Therapie-Monitoring einen neuen Standard bilden.
Besonders weit entwickelt wurde in den vergangenen Jahren die gezielte Tumortherapie beim Mammakarzinom. „Beim Brustkrebs ermöglicht einerseits die wissenschaftliche Identifikation spezieller Tumortypen Aussagen über die Prognose, andererseits bilden die Qualitätssicherung therapieentscheidender Markermoleküle wie Her-2/neu, Ki-67 und die Hormonrezeptoren die Basis der bestmöglichen Therapie für die individuelle Patientin“, so Klimpfinger. „Eine besondere Bedeutung auf unserer Tagung nahmen die vergleichenden Vorträge der klinisch zugelassenen Genexpressionsanalysen wie Oncotype DX, MammaPrint, EndoPredict und PAM50 beim Mammakarzinom ein, die mit dem Ziel der Entscheidung, ob eine Patientin eine Chemotherapie benötigt oder nicht, in den letzten Jahren die Aussagekraft der Diagnose weiter verstärkt haben.“
Darüber hinaus wurden neue neoadjuvante Chemotherapien und Behandlungsmöglichkeiten für das Hormonrezeptor-positive Mammakarzinom aus klinischer Sicht vorgestellt und diskutiert.
Herkömmliche Biopsien könnten in naher Zukunft durch die Entnahme einer einfachen Blutprobe ergänzt und in speziellen Fällen sogar ersetzt werden. Die Liquid Biopsy umgeht das Problem der Gewebeentnahme, indem sie mit Tumorzellen arbeitet, die in das Blut des Patienten ausgeschwemmt werden. „Die Schwierigkeit dabei ist allerdings, dass nicht so viele Tumorzellen im Blut unterwegs sind“, so Univ.-Prof. Dr. Gerald Höfler, Vorstand des Institutes für Pathologie der Medizinischen Universität Graz. „Das heißt, die Zellen sind in einer Blutprobe nicht einfach zu finden und müssen mit aufwendigen Verfahren identifiziert und isoliert werden. Zirkulierende Tumor DNA erscheint deutlich erfolgversprechender.“
Die Liquid Biopsy eröffnet Chancen, die über die Vermeidung invasiver Eingriffe hinausgehen. Sie kann nämlich ohne große Belastung für Patienten in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Während im Anfangsstadium einer Krebserkrankung praktisch immer Material aus Biopsien oder aus der operativen Entfernung des Tumors vorhanden ist, wird es bei fortgeschrittener Erkrankung zunehmend schwierig, an relevante Informationen über den Tumor heranzukommen. Auf die Ergebnisse älterer Biopsien kann man sich nicht immer verlassen: Untersuchungen haben gezeigt, dass Tumoren im Verlauf der Erkrankung ihr genetisches Profil ändern können. Höfler: „Der Tumor kann zum Beispiel Resistenz gegen eine bestimmte Chemotherapie entwickeln. Das kann man an Veränderungen seiner DNA erkennen.“
In Zukunft könnte die Liquid Biopsy also Einfluss auf die längerfristige Gestaltung der Therapie nehmen – dies umso mehr, als bei immer mehr Krebserkrankungen immer längere Überlebenszeiten erreicht werden.
Statt ganzer Zellen kann auch die im Blut zirkulierende Erbinformation des Tumors als Informationsquelle herangezogen werden, der „zirkulierenden zellfreien Tumor-DNA“. Diese DNA-Fragmente gelangen aus Tumorzellen durch Apoptose, Nekrose oder Sekretion in die Blutzirkulation. Zirkulierende zellfreie Tumor-DNA ist ein Tumormarker, der in Zukunft im Rahmen der Liquid Biopsy dank der hohen Sensitivität der Analyse für eine genauere Beobachtung des Krankheitsverlaufes von Patienten genützt werden könnte. Ähnlich wie bei zirkulierenden Tumorzellen ist eine erhöhte Menge dieser DNA im Blut mit einer schlechten Prognose assoziiert. Gleichzeitig könnte auf Basis dieser Methode zukünftig eine individuelle Tumortherapie erstellt und im Falle eines Nichtansprechens oder Verlustes des Ansprechens schneller angepasst werden. Höfler: „Im Bereich der personalisierten Medizin könnte diese diagnostische Methode in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.“
Klinische Routine ist das freilich noch nicht. Höfler: „Wir befinden uns gegenwärtig in einem Prozess der Standardisierung der Labor-Methoden. Deshalb gibt es mit einer einzigen Ausnahme – beim Lungenkarzinom, wenn eine Probengewinnung auf anderem Weg nicht möglich ist – noch keine Empfehlungen in den Leitlinien. Das heißt aber nicht, dass diese Verfahren nicht eingesetzt werden. Bei weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen gibt es kaum standardisierte Therapieschemata basierend auf Empfehlungen der Fachgesellschaften. In dieser Situation kann man auch auf zirkulierende Tumorzellen oder zirkulierende Tumor-DNA zurückgreifen, um die Therapie zu verbessern.“
Waren vor wenigen Jahren noch regelrechte „Sequenzierungsfabriken“ erforderlich, um in einem zeitaufwendigen und teuren Verfahren Informationen über das Erbgut zu gewinnen, so kann das heute in einem Bruchteil der Zeit an einem Tischgerät erledigt werden. Damit könnte sich insbesondere in der Krebstherapie der klinische Alltag in nächster Zeit grundlegend verändern. Dies berichtete Prof. Dr. Gieri Cathomas, Kantonsspital Baselland, Präsident der Schweizer Gesellschaft für Pathologie.
Innovative Technologien haben das Potenzial, die genetische Diagnostik zu einer simplen Routinemethode zu machen. Neue Sequenzierungstechnologien der nächsten Generation (Next Generation Sequencing, NGS) ermöglichen eine millionenfache Parallelsequenzierung von DNA-Fragmenten. Dies bedeutet einen enormen Zeitgewinn in der DNA-Analyse, der nicht durch Verlust an Genauigkeit erkauft wird. Im Gegenteil: Im Vergleich zur klassischen Sequenzierung wird eine erhöhte Sensitivität erreicht. Zudem kann NGS viele genetische Nachweisverfahren gleichzeitig einsetzen, während bei klassischen Methoden mehrere Detektionssysteme parallel betrieben werden müssen. NGS kommt mit relativ kleinen DNA-Mengen aus, was den klinischen Routinebetrieb erheblich erleichtert.
„Der Nachweis genetischer Veränderungen in Tumorgewebe spielt im Zeitalter der zielgerichteten Therapien eine immer wichtigere Rolle. Die Onkologie hat sich längst über eine rein morphologische Klassifikation von Tumoren hinausentwickelt und arbeitet heute mit einem exakten ‚Profiling‘ der Tumorzelle anhand biochemischer und genetischer Merkmale“, sagt Cathomas.