Die Prävalenz des Raynaudsyndroms liegt in Mitteleuropa zwischen 3–7%, Frauen sind etwa viermal häufiger betroffen. Das Raynaudsyndrom ist somit keineswegs selten – trotzdem gehen nur wenige „Patienten“ zum Arzt. Eine Studie aus Großbritannien beschreibt, dass nur 2% aller unter Raynaudsyndrom Leidenden eine ärztliche Konsultation suchen. Auch wenn diese Zahl niedrig erscheint, zeigt die klinische Erfahrung, dass oft nur starke Beschwerden oder die Verschlechterung einer schon Jahre bestehenden Symptomatik die Motivation zum Arztbesuch darstellen.
Unter Raynaudsyndrom versteht man anfallsartig auftretende Vasospasmen peripherer Arterien (vorzugsweise im Bereich der Hände, seltener im Bereich der Zehen, noch seltener im Bereich von anderen akralen Lokalisationen) mit dem typischen Trikolorephänomen: Blässe durch Ischämie, Blauverfärbung durch Zyanose und Rotverfärbung durch reaktive Hyperämie. Allerdings ist nicht in allen Fällen die Klinik so typisch dreiphasig wie in den Lehrbüchern beschrieben.
Die Terminologie ist uneinheitlich, im angloamerikanischen Sprachraum wird das Wort Raynaudphänomen verwendet, im deutschen Sprachraum setzt sich immer mehr der Begriff Raynaudsyndrom durch. Die Attacke mit ihren vielfältigen Symptomen und möglichen Begleiterkrankungen erfüllt die Definition des Syndroms.
Für den klinischen Alltag hat sich eine Einteilung in drei Formen bewährt:
a. Primäres Raynaudsyndrom: Typische klinische Symptomatik, symmetrischer Befall der Finger (Abb. 1), Manifestation ohne trophische Störungen, keine zugrunde liegende Erkrankung identifizierbar. Die Symptome bestehen länger als zwei Jahre. Die Ätiologie ist unbekannt.
b. Sekundäres Raynaudsyndrom: Dieses ist mit einer zugrunde liegenden Erkrankung assoziiert oder eine Folge mechanischer, chemischer oder toxischer Traumen. Der Zusammenhang zwischen Raynaudsyndrom und Kollagenosen ist seit 1896 bekannt (Die Tabelle beschreibt die vielfältigen Erkrankungen die mit sekundären Raynaudsyndrom assoziiert sind). Abbildung 2 zeigt ein typisches klinisches Bild mit Befall einzelner Finger.
c. Suspektes sekundäres Raynaudsyndrom: Es finden sich Hinweise auf eine zugrunde liegende Erkrankung (z.B. sklerodermieartige Veränderungen im Bereich der Finger, z.B. pathologische Kapillarmikroskopie, z.B. positive Autoimmunbefunde). Eine solche kann aber (noch) nicht etabliert werden.
Die Klinik ist eindeutig, im Zeitalter der Elektronik bringen viele Patienten schon ein Handyfoto des Anfalls mit in die Klinik. Die Diagnostik in der Klinik hat zwei Aufgaben:
• Objektivierung und Quantifizierung der pathologischen Vasospasmen
• Differenzierung zwischen den vorher genannten drei Formen des Raynaudsyndroms
Zur Objektivierung der vasospastischen Komponente stehen Kälteprovokationstests (Parameter ist die Wiedererwärmungszeit) oder thermographische Untersuchungen (Plattenthermographie oder Infrarotthermographie) zur Verfügung. Bei diesen Untersuchungen sind Temperaturgradienten zwischen Fingerspitze und Fingerbasis der Messparameter. Zur angiologischen Basisdiagnostik gehört auch die Differenzierung zwischen vasospastischer und okklusiver Komponente. Für eine vasospastische Erkrankung spricht die Normalisierung der Oszillationen innerhalb von einer definierten Zeit nach Kälteprovokation, nach einem Wärmebad oder nach Gabe eines Vasodilatators. Bei pathologischem Befund besteht der Verdacht auf Verschluss von Digitalarterien und/oder großer zuführender Arterien. Nichtinvasive angiologische Untersuchungen wie Doppler Ultraschall und Duplexsonographie, in seltenen Fällen Schnittbildtechniken wie CT oder MR Angiographie dienen der Diagnostik der arteriellen Verschlusserkrankung.
Zur Differenzierung zwischen den drei Formen des Raynaudsyndroms wird die Verwendung eines diagnostischen Algorithmus vorgeschlagen. Abbildung 3 zeigt ein bewährtes Schema. Bei Patienten mit Raynaudsyndrom wird eine klinische Untersuchung, die vorher erwähnten angiologischen Untersuchungen, Blutbefunde inkl. aller Autoimmunparameter, ein Handröntgen, ein Lungenröntgen sowie eine Vitalmikroskopie der Nagelfalzkapillaren durchgeführt. Sind alle Befund negativ wird ein primäres Raynaudsyndrom diagnostiziert. Die Kontrolluntersuchungen erfolgen nach klinischer Einschätzung alle ein bis zwei Jahre.
Positive Befunde im Screening, vor allem positive antinukleäre Antikörper, klinische Zeichen wie Sklerosierung der Haut, pathologische Kapillarmikroskopie, Auftreten im späteren Lebensalter und starke Intensität der Beschwerden führen zur Diagnose suspektes sekundäres Raynaudsyndrom. In solchen Fällen erfolgt ein weiteres Screening (Organscreening). Ziel dieseszweiten Untersuchungsschrittes ist es eine Grunderkrankung zu identifizieren. Diese Untersuchung wird jährlich wiederholt bis ein sekundäres Raynaudsyndrom etabliert ist.
In Spitalskollektiven von Raynaudpatienten, finden sich bei der initialen Untersuchung 60% Patienten mit der Diagnose eines primäres Raynaudsyndroms, 20–25% mit suspekten sekundären Raynaudsyndrom und 5–10% mit der etablierten Diagnose eines sekundären Raynaudsyndroms. Es handelt sich hier um eine bunte Mischung von Erkrankungen (s. Tab.).
Verfolgt man Patienten mit primären und suspekten sekundären Raynaudsyndrom weiter, kommt es zu einem jährlichen Shift von etwa 2% Patienten von primär zu suspekt und von suspekt zu einer definierten Diagnose eines sekundären Raynaudsyndroms. Das Raynaudsyndrom kann somit Vorläufer einer zugrunde liegenden Erkrankung (meist Autoimmunerkrankungen) oder Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung sein („bunte Mischung“ s. Tab.).
Diese Verteilung bzw. hoher Anteil an nicht primären Raynaudsyndrom entspricht mit Sicherheit nicht der Verteilung die man z.B. in einer Allgemeinpraxis erwarten kann. Diese Zahlen beziehen sich auf präselektionierte Spitalskollektive und es besteht kein Grund jungen und meist gesunden Menschen die oft als Nebenbefund in der Ordination Raynaudsymptome angeben mit der Aussicht zu verschrecken dass sie eine Sklerodermie entwickeln werden.
Basis sind Allgemeinmaßnahmen wie Expositionsprophylaxe, Vermeiden von chemischen, mechanischen und thermischen Traumen, adäquate berufliche Exposition. Bei primären Raynaudsyndrom – vor allem bei jungen Patienten – sollte möglichst vermieden werden zu viele und die Lebensqualität einschränkende Ratschläge zu geben (eine Studie konnte zeigen, dass motivierte Raynaudpatienten auch beim Bergwandern, Schitourengehen und Mountainbiken keine Verschlechterung ihrer Symptomatik erlebten!)
Auch die medikamentöse Therapie sollte bei primären Raynaudsyndrom nur zurückhaltend eingesetzt werden. Man denke nur an die häufig auftretende hypotone Kreislaufregulationsstörung bei jungen Frauen die deutlich therapieeinschränkend ist. Nitrathältige Salben gibt es im Handel nicht mehr. Kalziumantagonisten erreichen eine Reduktion der Schwere der Attacken um 30% und eine Reduktion der Häufigkeit der Attacken um drei bis fünf pro Woche. Prostaglandine werden bei primären Raynaudsyndrom selten eingesetzt, noch seltener die thorakale Sympatektomie.
Hier ist ein weites Feld für die im Einzelfall durchaus hilfreiche nichtevidenzbasierte Medizin gegeben. Sie reicht von Parafinbädern bis zu Biofeedback. Man hofft, dass bei allen diesen Therapiennicht pekuniäre Aspekte des Behandlers im Vordergrund stehen.
Bei sekundären Raynaudsyndrom ist neben den gleichen Allgemeinmaßnahmen die Behandlung der Grundkrankheit im Sinne einer interdisziplinären Teamarbeit zwischen Angiologen, Dermatologen und Rheumatologen erforderlich.
Auch wenn die Wirkung der Kalziumantagonisten bei sekundären Raynaudsyndrom nicht besser ist als bei primären Raynaudsyndrom, werden diese in Guidelines vor allem bei sklerodermieassoziierten Ray
naudsyndrom als „ first line“ Therapie angegeben. Zur Abheilung von Ulcerationen wird Iloprost, zur Verhinderung des Auftretens neuer Ulcerationen der Endothelin I Rezeptor Antagonist Bosentan empfohlen.
Präliminäre Daten gibt es für PDE-5-Hemmer (vor allem Sildenafil) und für Statine.
Auch wenn zu Recht die Behandlung der sklerodermieassoziierten Raynaudkomplikationen besonderes klinisches Interesse hervorgerufen hat, sollten alle anderen sekundären Raynaudursachen nicht vergessen werden. Die Therapie des sekundären Raynaudsyndroms reicht von der Ausschaltung einer Emboliequelle bei M. embolicus, von der Behandlung der Thrombangitis obliterans über die Behandlung von endokrinologischen und hämatologischen Erkrankungen bis hin zur immunsuppressiven Therapie (manchmal ist auch einfaches Denken z.B. Absetzen eines Betablockers äußerst wirksam).