Reiseimpfungen mit spezieller Indikation – was wird empfohlen?

Bei etlichen Reiseimpfungen mit spe­zieller Indikation ist es in letzter Zeit zu gravierenden Änderungen in den Empfehlungen gekommen. Insbesondere die Änderungen in den WHO-Empfehlun­gen zu Gelbfieber und Tollwut haben zu Diskussionen in Fachkreisen geführt. Um Verunsicherungen vorzubeugen, haben die namhaften österreichischen Fachge­sellschaften vor kurzem auf Basis der wis­senschaftlichen Evidenz eine Harmonisie­rung der Impfempfehlungen erarbeitet und ein österreichisches Konsensus-State­ment publiziert.1 Zu beachten ist, dass sich die Indikationsstellung nach epidemiolo­gischen, geografischen, aber auch demo­grafischen und reiseassoziierten wie auch individuellen Parametern richten sollte, wie Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch, Zentrum für Reisemedizin, Wien, betont.

Gelbfieber – auffrischen oder nicht?

Gelbfieber ist eine durch Stechmücken übertragene Flaviviruserkrankung, die in vielen Staaten Subsahara-Afrikas und Süd­amerikas endemisch ist. Relativ rezente Ausbrüche in Brasilien und anderen süd­amerikanischen Ländern sowie in Angola zeigen, dass Gelbfieber in Endemiegebie­ten nach wie vor ein Problem darstellt. Kollaritsch verweist auf eine für die Reise­medizin gravierende Änderung der epide­miologischen Situation: Erstmals seit rund 30 Jahren waren 2017–2018 auch wieder große, touristisch frequentierte Küstenab­schnitte Brasiliens betroffen, sodass im

Rahmen der Ausbrüche auch ungeimpfte Touristen erkrankten.

Für eine Reihe von Staaten ist als Einreise­voraussetzung verpflichtend eine Gelbfie­ber-Impfung nachzuweisen. Die Impfung muss daher in autorisierten Gelbfieber­impfstellen erfolgen und offiziell bestätigt werden.

Lebenslange Gültigkeit: Bis vor kurzem galt für die Gelbfieberimpfung eine inter­nationale Gültigkeit von 10 Jahren. Im Juli 2016 hat die WHO jedoch die Impfung auf „lebenslange“ Gültigkeit hochgestuft. Tat­sächlich gibt es für die Annahme, dass mit nur einer Impfung tatsächlich bei allen ein lebenslanger Impfschutz gewährleistet bleibt, keine ausreichende Evidenz, wie Kollaritsch betont. Er verweist auf rezente Antikörperuntersuchungen, die zeigen, dass von Reisenden, die vor mehr als 10 Jahren geimpft worden waren, 18 % nicht mehr geschützt waren.

Ungeachtet der WHO-Empfehlungen wird in Österreich wie auch in etlichen anderen Staaten (darunter Deutschland, der Schweiz und den USA) Reisenden, die in Endemie­gebiete fahren, in denen tatsächlich eine Ausbruchssituation vorliegt, daher sehr wohl nach 10 Jahren zur Auffrischung be­ziehungsweise auch zur Titerkontrolle in Speziallabors geraten.

Die Diskrepanz zwischen WHO-Emp-fehlung und Individual-Reiseempfehlung lässt sich durch die unterschiedlichen Ziel­richtungen erklären: Vor dem Hintergrund weltweit limitierter Gelbfieber-Impfstoff­mengen zielt die WHO mit ihren Empf-ehlungen auf den mit den verfügbaren Impfstoffmengen maximal erreichbaren Kollektivschutz. Möglichst viele Menschen sollen die Chance auf eine Primärimpfung haben, um den Preis, dass einige den Impf­schutz verlieren. „Das steht jedoch in Dis­krepanz zu den Zielrichtungen der Reise­medizin, die auf Individualschutz abzielen muss“, sagt Kollaritsch. Entscheidend, ob in der Reisemedizin zur Auffrischung nach 10 Jahren geraten wird, ist daher die epide­miologische Situation der Zielregion.

Einen Vorteil sieht Kollaritsch jedoch in der lebenslangen Gültigkeit: All jene, die (nur) aus formalen Gründen eine Gelbfie­berimpfung brauchten, ersparen sich die Auffrischung. „Aber für die, die in Risiko­gebiete reisen, geht es mir um den tatsäch­lichen Schutz, und das ist mit lebenslang einfach nicht real.“

 

Tollwutimpfung: lebenslang boosterbar

Änderungen in den Impfempfehlungen gibt es auch bei der Tollwutimpfung. Die präexpositionelle Tollwutimpfung zählt zu den wichtigsten Reiseimpfungen, wie Kol­laritsch betont: „Die Impfstrategie ver­sucht, mehreren Parametern gerecht zu werden. Im Vordergrund steht, einerseits mit absoluter Sicherheit eine Tollwut

erkrankung mit möglichst wenigen Impf­stoffdosen verhindern zu können, anderer­seits auch eine lebenslange Boosterbarkeit nach präexpositioneller Impfung zu erhal­ten.“ Im Expositionsfall soll der Reisende nicht auf die Verfügbarkeit von Rabies-Immunglobulin angewiesen sein.

Weltweit sterben pro Jahr mindestens 50.000 Menschen an Tollwut. Die Erkran­kung ist absolut letal. Das Ansteckungsri­siko ist in großen Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas hoch. Österreich und Westeuropa (nicht jedoch Südost- und Osteuropa) gelten seit 2008 als frei von – terrestrischer (!) – Tollwut, die in unseren Breiten hauptsächlich von Füchsen über­tragen wird. Neben der terrestrischen Tollwut gibt es auch die Fledermaustoll­wut, die vor allem in Südamerika und Af­rika, vereinzelt aber auch in Westeuropa vorkommt.

Von den modernen Gewebekultur-Vakzi­nen ist in Österreich derzeit nur Rabipur® zugelassen; Kollaritsch betont die exzel­lente Verträglichkeit und Wirksamkeit. Andere Impfstoffe können von den reise­medizinischen Zentren bei Bedarf (zum Beispiel bei Hühnereiweißallergie) inter­national bestellt werden. Derzeit sind für Rabipur® 2 präexpositionelle Impfschema­ta als gleichwertig zugelassen: je eine Imp­fung an den Tagen 0–7–21 (oder 28) oder an den Tagen 0–3–7. Die Impfdosis ist je­weils 1 ml und wird intramuskulär verab­reicht. Eine streng (!) intradermale Verab­reichung von nur 0,1 ml ist alternativ möglich und gleichwertig, so Kollaritsch: Dieser – ressourcensparende – Applikati­onsweg ist vor allem bei Versorgungseng­pässen von Relevanz.

2 statt 3 Teilimpfungen möglich. 2018 hat die WHO eine Empfehlung für nur 2 Tei­limpfungen im Abstand von nur 7 Tagen ausgesprochen. Studien zeigen keinen Un­terschied in der erreichten Immunantwort. Allerdings ist dieses neue Schema nicht zugelassen und somit „off label“, wie Kolla­ritsch betont, und bedarf daher einer in­tensivierten Aufklärung und dokumentier­ten Zustimmung.

Boosterung situationsbezogen. Unab­hängig vom Impfschema ist keine routine­mäßige Boosterung vorgesehen. Diese er­folgt situationsbezogen: Im Verletzungsfall mit tollwutsuspektem Tierkontakt ist un­abhängig davon, wann die Grundimmuni­sierung erfolgt ist, postexpositionell eine zweimalige Auffrischung vorzusehen (am Verletzungstag = Tag 0 und Tag 3). Fährt der Reisende in eine Endemieregion, wo im Falle einer Verletzung mit tollwutsus­pektem Tierkontakt die zeitnahe Verfüg­barkeit eines modernen Impfstoffes nicht gewährleistet wäre, sollte die Auffrischung vor der Reise erfolgen!

 

Japanische Enzephalitis – Risikoabwägung

Die japanische Enzephalitis ist wie auch Gelbfieber eine durch Stechmücken über­tragene Flaviviruserkrankung und ist aus­schließlich im asiatischen Raum, von Indi­en bis Japan, verbreitet. Das Risiko ist im ländlichen Bereich aufgrund der höheren Mückenbelastung wesentlich größer als im städtischen Bereich. „Die Nähe von Be­wässerungsanlagen und Reisfeldern sowie intensive Schweinezucht begünstigen das Auftreten der Erkrankung“, erläutert Kol­laritsch. Jährlich ist von mindestens 50.000 Erkrankungsfällen, davon etwa 15.000 mit tödlichem Ausgang, auszugehen; die Dun­kelziffer ist jedoch hoch. Gelegentliche epi­demische Ausbrüche wurden in den letz­ten Jahren aus Indien und Vietnam gemeldet. Im klassischen touristischen Reiseverkehr sind gemeldete Erkrankun­gen sehr selten. Kollaritsch: „Die Impfung wird daher vor allem jenen Reisenden empfohlen, die sich abseits der Großstädte in ländlichen Gebieten des mittleren und ostasiatischen Raums aufhalten wollen.“
Seit zehn Jahren ist ein attenuierter Gewe­bekultur-Totimpfstoff zugelassen und er­setzt die früher gebräuchlichen maushirn­basierten Vakzinen. Der Impfstoff gilt als sehr gut verträglich. Das konventionelle Impfschema besteht aus 2 Impfungen im Abstand von 4 Wochen und einer Booste­rung nach 12 bis 24 Monaten. Bei Erwach­senen ist alternativ auch ein Kurzschema mit 2 Impfungen im Abstand von 7 Tagen möglich, mit Boosterung wie beim Stan­dardschema. Nach der empfohlenen Boos­terung ist mit einer Immunisierung von mindestens 10 Jahren zu rechnen.

Als entscheidende Reiseempfehlung ist wie bei allen mückenübertragenen Erkrankun­gen der konsequente Mückenschutz von Bedeutung, betont Kollaritsch.

 

Typhus – keine generelle Empfehlung

Die Typhusimpfung war noch vor wenigen Jahren eine Standardimpfung für Fernrei­sende. Heute wird sie nicht mehr generell empfohlen. „Die Indikation ist differen­zierter zu stellen“, erläutert Kollaritsch.

Infektionen mit Salmonella typhi sind in allen subtropischen und tropischen Regio­nen mit schlechtem Hygienestandard häu­fig. Die Inzidenz korreliert mit dem Zu­gang zu sauberem Wasser. Die weltweiten Erkrankungszahlen, so Kollaritsch, wer­den auf 11 bis 20 Millionen Fälle jährlich geschätzt. Zwar ist die Datenlage mangel­haft, dennoch kann in den letzten Jahren von einer kontinuierlichen Abnahme an gemeldeten Typhusfällen ausgegangen werden.

Auch im Antibiotika-Zeitalter ist Typhus eine prinzipiell lebensgefährliche Erkran­kung. „Auch bei bester medizinischer Ver­sorgung stirbt etwa 1 % der Patienten. Un­behandelt liegt die Letalität bei rund 30 %.“ Erschwerend sind die in Endemieländern hohen Antibiotikaresistenzraten, allen vo­ran Chinolon-Resistenzen. Oftmals müssen bereits in der Erstlinientherapie Reser­veantibiotika eingesetzt werden.

Vor dem Hintergrund einer rückläufigen Typhusinzidenz bei Reisenden, der Ver­fügbarkeit eines zwar gut verträglichen, jedoch in seiner Effektivität nur mäßig evaluierten Impfstoffes und des Umstan­des, dass es sich um eine behandelbare Krankheit handelt1, sollte die Indikation zur Impfung heute präziser gestellt wer­den. Neben der Region (Indien et cetera) ist vor allem die Art der Reise und die zu erwartende Hygienesituation und Dauer der Exposition zu berücksichtigen. So wird die Impfung beispielsweise bei Reisen in den süd- und teilweise südostasiatischen Raum sowie in ärmere Länder Afrikas empfohlen, insbesondere dann, wenn ländliche Gebiete bereist werden. Für an­dere Länder wird nach lokaler Epidemio­logie und Art der Reise differenziert.

Nicht empfohlen wird die Impfung bei „klassischen“ Touristen und Geschäftsrei­senden. Geimpft werden sollten Personen mit Langzeitaufenthalt in Endemiegebie­ten oder auf Reisen mit schlechten Hygie­neverhältnissen, Expatriates, Urlauber auf Verwandtenbesuch sowie Personen unter PPI-Behandlung beziehungsweise mit Achlorhydrie. Kollaritsch: „Generell ver­sprechen eine konsequent eingehaltene Nahrungsmittelhygiene und strikte Hän­dehygiene eine deutliche Reduktion des Typhusrisikos und relativieren oftmals die Impfindikation zur Typhusimpfung.“

 

Cholera – nicht mehr impfen

Die Cholera ist in weiten Teilen Asiens und Afrikas endemisch und führt zu jährlich 3 bis 5 Millionen Erkrankungsfällen und 100.000 bis 120.000 Todesfällen. Zurzeit verzeichnet der Jemen einen Ausbruch mit mehr als einer Million Erkrankungsfällen. Das Auftreten von Epidemien ist praktisch immer eng mit den hygienischen Bedin­gungen verknüpft und in den klassischen Verbreitungsgebieten immer möglich, be­tont Kollaritsch.

In Europa werden sehr vereinzelt „impor­tierte“ Cholerafälle gemeldet. Insgesamt ist das Risiko für touristisch Reisende je­doch als extrem gering einzustufen und liegt bei weniger als 1 pro 1 Million Tou­risten, wie Kolleritsch betont. Er verweist auf das Einhalten von Basishygieneregeln: „Cholera bekommt man nicht, man holt sie sich.“

Mit der seit 2003 verfügbaren Schluckimp­fung (oraler Totimpfstoff), die zweimal im Abstand von 1 bis 6 Wochen erfolgen muss, kann ein Impfschutz von etwa 90 % erreicht werden. Dieser nimmt jedoch im Laufe von 2 Jahren sukzessive ab. Eine ge­wisse Wirkung auch gegen die wichtigsten Auslöser der Reisediarrhö, enterotoxinbil­dende E. coli, wurde in einigen wenigen Studien zwar gezeigt, aber nur unzurei­chend evaluiert. Der Impfstoff ist daher in dieser Indikation von der EMA nicht zuge­lassen. Kollaritsch: „Eine Verabreichung in dieser Indikation ist daher als ,off label‘ einzustufen.“

Die Choleraimpfung wird im touristischen Reiseverkehr auch bei Reisen in Endemie­gebiete von der WHO nicht mehr empfoh­len. Eine Ausnahme sind Personen im hu­manitären Einsatz in Ausbruchsgebieten.

 

Meningokokken – entsprechend Impfplan PLUS Reiseimpfung

Bekanntermaßen zeigen die fünf wichtigs­ten humanpathogenen Serogruppen (A, B, C, W135, Y) regional unterschiedliche Ver­teilungsmuster (Serogruppen B und C in Industrieländern). Das Risiko einer Me­ningokokkenerkrankung ist im Haupten­demiegebiet, dem sogenannten afrikani­schen Meningitisgürtel, vor allem während der Trockenzeit exorbitant erhöht: Die In­zidenzen liegen bei bis zu 1.000 pro 100.000!

Cave Menschenansammlungen. Neben der regionalen epidemiologischen Situati­on lassen vor allem die Reiseumstände Rückschlüsse auf das Risiko zu. Menschen­ansammlungen auf engstem Raum begüns­tigen die tröpfchenassoziierte Übertragung. Klassisches Beispiel ist der Hadsch nach Mekka. Saudi-Arabien schreibt daher für die Einreise eine Impfung mit dem konju­gierten quadrivalenten Impfstoff (A, C, W135 und Y) vor.

Ein höheres Risiko besteht generell dort, wo viele Menschen auf engem Raum zu­sammenkommen (Flüchtlingsheime, Ka­sernen, Studentenheime, Massenveranstal­tungen und Großereignisse). Als spezielle Risikogruppen gelten auch männliche Ho­mosexuelle ebenso wie Personen mit Im­mundefekten, so Kollaritsch.

Außerhalb der Risikogebiete und der spe­ziellen Risikoprofile lässt sich das indivi­duelle Risiko für den Reisenden nicht präzise quantifizieren, so Kollaritsch. Als erste Empfehlung verweist er daher auf die allgemeine Impfempfehlung gegen Meningokokken, wie sie im Impfplan Ös­terreich 2019 verankert ist. Eine zusätzli­che Impfindikation als Reiseimpfung be­steht für Reisende in Hochrisikogebiete (Hadsch nach Mekka, afrikanischer Me­ningitisgürtel oder Gebiete mit Ausbrü­chen). Es sollte ein konjugierter Menin­gokokkenimpfstoff geimpft werden, der möglichst umfassend die Serogruppen der Region abdeckt. „Üblicherweise wird dies eine einmalige Impfung mit einem quadrivalenten Impfstoff sein, in Einzel­fällen zusätzlich die Impfung gegen Me­ningokokken B. Insbesondere Kinder und Jugendliche sind Zielgruppe.“

 

Quelle: „Konsensusstatement und Empfehlungen: Reiseimpfungen mit spezieller Indikation“ der Medizinischen Universität Wien (ISPTM), der ÖGVak, der ÖGTPM und der ÖGIT. Abrufbar unter: http://www.oegit.eu/publikationen_weitere.ht