Reposition innerhalb von 6 Stunden bei Schulterluxation

Immer, wenn die Skigebiete öffnen, steigt die Frequenz von Sportverletzungen des Schultergelenkes. In Zeiten wie diesen, in denen die Sorge um eine Überlastung des Gesundheitssystems besteht und Patienten entweder aus Angst vor einer Ansteckung oder einer „Belästigung“ der Krankenhäuser mit den eigenen Problemen den Besuch dort vermeiden, ist es umso wichtiger, diese Verletzung auch im niedergelassenen Bereich konsequent und effizient abzuklären und einer Behandlung zuzuführen.

Erstmaßnahmen

Die häufigste Verletzung der Schulter ist die Schulterverrenkung, gefolgt vom Knochenbruch des Schlüsselbeines. Der Entstehungsmechanismus einer Ausrenkung ist eine abrupte Außendrehung der Schulter in Horizontalstellung des Gelenkes (z. B. ein Skisturz im Hang bei feststeckendem Skistock). Die Erste-Hilfe-Maßnahmen bestehen in der schmerzfreien Lagerung des Armes, meistens sitzend, da dies in der Regel besser ertragen wird. Eine Überprüfung der Fingerbeweglichkeit und das Tasten der Pulse sollten noch an der Unfallstelle stattfinden, um einen Ausgangsbefund zu dokumentieren. Repositionsversuche sollen unterlassen werden, da Begleitverletzungen provoziert oder eine eventuell vorhandene Fraktur gelöst werden kann. Gefäßverletzungen werden an der Unfallstelle durch fehlende Pulse erkannt, da durch die Zerreißung der Gefäßintima und Einrollen derselben intraluminal ein Gefäßverschluss vorliegt. Ausrisse von Gefäßen mit raschem, schockprovozierendem Blutverlust und mächtigem Hämatom stellen eine Rarität dar.

Klinik und Bildgebung

Symptomatisch stehen meist starke Schmerzen im Vordergrund, und der Arm kann kaum bewegt werden. Selten entsteht an der Schulter selbst ein Hämatom oder eine Schwellung. Eine ausgerenkte Schulter sieht „eckig“ aus – die Schulterkontur ist abgeflacht. Diese Optik entsteht aufgrund der leeren Schulterpfanne und fällt hauptsächlich bei der vorderen Verrenkung auf. Eine Innenrotation des Armes ist schmerzhaft, da der Oberarmkopf unterhalb der Gelenkpfanne zu liegen kommt und durch die reflektorisch kontrahierte Deltamuskulatur gegen den Pfannenhals gepresst wird.
In der obligatorischen Röntgenuntersuchung bekommen wir eine leere Schulterpfanne, einen Oberarmkopf unterhalb der Gelenkpfanne und manchmal eine Eindellung am Oberarmkopf hinten zu sehen, die sogenannte „Hill-Sachs-Delle“.
Die Überprüfung der Axillarisfunktion erfolgt erst im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung und soll genau dokumentiert werden. Die Inzidenz der Axillarisläsionen nach vorderer Schulterluxation liegt bei 0,4–50 % der Fälle. Ein Abriss des Nerven ist eine Seltenheit, meist liegt eine Neurapraxie vor, die sich innerhalb von 3 Wochen erholen kann. Häufigste übersehene Nervenverletzung ist die obere Plexusläsion, die besonders bei der Verrenkung der Schulter des älteren Patienten stattfindet.

Reposition

Der notwendige erste Schritt ist die Reposition des Gelenks, wobei hier der Methode nach Kocher der Vorzug zu geben ist. Durch die geführte Bewegung der Schulter gelingt es, den festsitzenden Humeruskopf zu lösen, und die Reposition gelingt ohne Kraftaufwendung. Auf ausreichende medikamentöse Analgesie ist zu achten. Maßnahmen mit Zug und Gegenzug sind der Einrichtung in Allgemeinanästhesie vorbehalten. Hier ist eine kurze Relaxation des Patienten notwendig, um Frakturen zu vermeiden, denn gerade bei älteren Patienten ist Osteoporose am Humeruskopf zu bedenken. Die Reposition soll unter Bildverstärker-Kontrolle erfolgen.
Ist das Gelenk reponiert, wird eine Stabilitätskontrolle angeschlossen. Verbände sind eher schmerzbedingt notwendig, eine Ruhigstellung verhindert keine verbleibende Instabilität.
Bevor der Patient entlassen wird, ist eine Röntgenkontrolle des Schultergelenkes in mindestens 2 Ebenen und eine abschließende Überprüfung der Handfunktion, des Ellbogens und des Hautareals des Axillaris-Versorgungsgebietes notwendig und zu dokumentieren. Eine Wiederbestellung am Folgetag (nach 12–24 Stunden) zur neuerlichen klinischen Untersuchung ist obligatorisch. Idealerweise erfolgt die Untersuchung durch den reponierenden Arzt.

Wie geht’s weiter?

Eine Abklärung der Kapsel-Band-Situation mittels MRT ist zu empfehlen. Besteht der Verdacht auf knöcherne Verletzungen ist die CT-Untersuchung die Diagnostik der Wahl. Den Großteil der Verletzungen des Kapsel-Band-Apparates stellen die Labrumablösungen dar. Hier sind mehrere Formen beschrieben, denen allesamt jedoch die Ablösung der vorderen unteren Gelenklippe mit Verlagerung nach medial, d. h. Verschiebung in Richtung Subscapularis, gemein ist. Dadurch kommt es zu einer Lockerung des wichtigen mittleren glenohumeralen Bandes (MGHL) und Insuffizienz der „Hängematten“-Funktion mit vorderer unterer Instabilität des Humeruskopfes. So erklärt sich die doch hohe Rezidivrate nach traumatischer Erstluxation der Schulter.
Die Rezidivrate ist bei konservativer Behandlung von der Dauer einer Ruhigstellung unabhängig. Es gibt zwar Überlegungen die Schulter in Neutralstellung für 3 Wochen ruhigzustellen, um durch eine Anspannung des MGHL das Labrum zu dirigieren, doch hierbei wird die Translationstendenz des Humeruskopfes unterschätzt und eine Subluxationsstellung provoziert.
Eine nicht zu vernachlässigende Begleitverletzung stellen die Verletzungen der Rotatorenmanschette dar. Besonders die Altersgruppe > 40 Jahre ist gefährdet. Klinisch ist eine bestehende Schmerzsymptomatik > 12 Stunden ein wichtiger Hinweis. Eine MRT-Untersuchung schafft auch in diesem Fall Klarheit.

Management von Begleitschäden

Die Fixierung des Kapsel-Band-Apparates an den Pfannenrand und die Rekonstruktion abgerissener Sehnen ist oberste Prämisse. Eine verbleibende Schulterinstabilität führt unweigerlich zu Folgeschäden. Neben den Sehnenschäden ist die zunehmende Zerstörung des Gelenkknorpels der Pfanne bis hin zur Ausbildung einer „Luxationsrinne“ zu erwarten. Die Anzahl der Rezidivluxationen nimmt im Alter zwar ab, die Rate an Begleitverletzungen jedoch zu. Eine frühzeitige operative Stabilisierung einer traumatischen Schulterverrenkung ist heute die Domäne der arthroskopischen Chirurgie. Die wieder in den „Normalzustand“ gebrachte Schulter bedarf nur mehr einer kurzen Ruhigstellung mit dem Vorteil einer frühfunktionellen Rehabilitation.

Wissenswertes für die Praxis
  • Die Reposition der Schulter muss innerhalb der Sechs-Stunden-Grenze stattfinden.
  • Eine Kapsel-Band-Verletzung tritt nach traumatischer Schulterluxation immer auf, die Abklärung dieser Strukturen ist daher obligatorisch.
  • Rezidivluxationen treten häufig auf und bringen Folgeschäden der Sehnen und des Knorpels mit sich.
  • Die arthroskopische Operation ist heute Standard und stellt den physiologisch-anatomischen Zustand des Schultergelenkes wieder her.