Einer aktuellen Erhebung zufolge haben etwa 8 % der Allgemeinbevölkerung in Österreich eine klinisch relevante Insomnie, also eine Ein-und/oder Durchschlafstörung mit Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit, wie der Schlafmediziner Prof. Dr. Stefan Seidel erläutert. Im Alter dürfte die Prävalenz auf bis zu 25 % ansteigen. „Auf Basis von Daten, die man aus anderen Ländern kennt, ist anzunehmen, dass der Anteil im Alter – das heißt in der Altersgruppe ab 60 Jahren und darüber – in Richtung 15 Prozent, 20 Prozent und 25 Prozent gehen wird.“
Ein-und Durchschlafstörungen im Alter sind primär physiologischen altersbedingten Veränderungen geschuldet, wie einem reduzierten Melatoninspiegel, wodurch der Schlaf nachts fragiler wird und man öfter erwacht. Eine Störung des zirkadianen Rhythmus wird, wie Seidel erläutert, insbesondere bei sehr alten und hochaltrigen Menschen auch durch Veränderungen wie beispielsweise Katarakt verstärkt, weil dadurch weniger Sonnenlicht durch das Auge dringt und damit die Zeitgeberfunktion des Lichtes schwächer wird. „Dadurch wird die Stabilität des Schlaf-wach-Rhythmus zusätzlich zur reduzierten Melatoninproduktion verschlechtert.“
Wenig Tagesstruktur. Dazu kommen Veränderungen im Alltag, mit allen Aspekten eines weniger geregelten sozialen und beruflichen Alltages. Gerade in Pflege-und Wohneinrichtungen für ältere Menschen kommt es oft auch dazu, dass sich die Tagesstruktur weitgehend aufhebt, was dazu führt, dass die Betroffenen oft mehrmals kurz untertags schlafen, wodurch der Schlafdruck in der Nacht weiter reduziert wird. Seidel: „Die Situation wird verschärft, wenn Demenzerkrankungen oder andere neurodegenerative Erkrankungen dazukommen.“
Korrelierend mit dem Alter ist prinzipiell eine höhere Rate an Demenzerkrankungen und neurodegenerativen Erkrankungen zu beobachten. Schlafstörungen und neurodegenerative Erkrankungen sind dabei miteinander verknüpft.
Aus Longitudinalstudien weiß man, dass für ältere Menschen mit instabilem Schlaf-wach-Rhythmus die Wahrscheinlichkeit, neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln, erhöht ist. „Umgekehrt hat Schlaf einen durchaus reinigenden, reparierenden Effekt auf das Gehirn“, betont Seidel. So zeigen Untersuchungen an Probanden, dass bei künstlichem Schlafentzug zumindest vorübergehend mehr Amyloid-beta im Gehirn vorliegt. „Schlaf ist somit auch für dessen Abtransport aus dem Gehirn relevant und erfüllt damit eine neuroprotektive Funktion.“
Besteht somit ein Kausalzusammenhang zwischen Schlafstörung und Demenzentwicklung? Seidel dazu: „Ob die Neurodegeneration dazu führt, dass die Menschen weniger Tiefschlaf generieren können, oder ob weniger Tiefschlaf die Neurodegeneration treibt, ist nicht abschließend geklärt.“
Mit zunehmendem Alter werden in der Nacht die Wachphasen häufiger, und der Schlaf wird unruhiger. Doch wann bedürfen Schlafstörungen einer Abklärung und wann sind sie behandlungspflichtig? Hier sei es wichtig, nicht nur die Nacht zu betrachten, betont Seidel. „Vor allem wenn es um die klinische Relevanz einer Schlafstörung und die Behandlungsrelevanz geht, muss auch der Tag mitbetrachtet werden! Führt die Schlafstörung untertags zu Konzentrationsschwächen, Stimmungsbeeinträchtigung, Abgeschlagenheit und Fatigue – insbesondere wenn diese Symptome neu auftreten –, dann sollten zugrunde liegende Ein-und Durchschlafstörungen abgeklärt und auch behandelt werden.“
Es ist zu beachten, dass eine chronische Schlafstörung neben dem erwähnten Risiko für neurologische Erkrankungen auch das Risiko für eine Reihe internistischer, insbesondere vaskulärer Erkrankungen erhöht, wie arterielle Hypertension, Myokardinfarkt, Diabetes, aber auch Adipositas.
Die Gewichtszunahme könne dabei zwar im Zusammenhang mit geändertem Verhalten und nächtlichem Essen stehen, man wisse jedoch auch von gesunden Probanden im jungen Erwachsenenalter, dass sich bereits bei mehrtägigem, nur leichtem Schlafentzug das Ansprechen auf Insulin verschlechtere, so Seidel. Der Zustand ist bei gesunden Probanden prinzipiell reversibel. Bei chronischem Schlafmangel zeigen sich jedoch Folgen wie etwa eine Erhöhung des Diabetesrisikos.
Als entscheidend für die Abklärung verweist Seidel auf drei wesentliche Aspekte: die Dauer/Chronizität, das fehlende Ansprechen und der Ausschluss einer zugrunde liegenden Problematik. Eine fachärztliche Abklärung sollte daher bei länger bestehenden Schlafstörungen (drei Monate und länger) und ebenso bei Hinweisen auf eine zugrunde liegende Erkrankung veranlasst werden. Als solche kommen etwa Schlafapnoe und Restless-Legs-Syndrom (RLS) in Betracht, ebenso anamnestische Hinweise, etwa des Partners, auf ein auffälliges Verhalten etwa in Richtung einer Parasomnie. „In diesen Fällen ist die fachärztliche Begutachtung, aber auch früh bereits ein Schlaflabor zu empfehlen.“
Bei älteren insomnischen Patienten mit Ein-und Durchschlafstörungen und Tagesbeeinträchtigungen sollte als erste Maßnahme verhaltenstherapeutische Interventionen in Betracht gezogen werden. So sind im ersten Schritt kontraproduktive Schlafzeiten tagsüber ebenso wie etwa falsche Rituale, wie Blaulicht vor dem Schlafengehen (TV), zu hinterfragen. „Ein Ansatz wäre zum Beispiel die sogenannte ,Schlafrestriktion‘, das heißt, die Bettzeiten zu verkürzen, um mehr Schlafdruck aufzubauen.“
Weiters ist gerade bei älteren Menschen die Medikation – Stichwort: „Polypharmazie“ – zu überprüfen. Eine Reihe von Medikamenten können die Schlafstörungen noch verschärfen, Albträume produzieren et cetera.
Zu beachten sind Diuretika – hier vor allem der Einnahmezeitpunkt: Eine Einnahme in der zweiten Tageshälfte sollte vermieden werden, weil damit ein nächtlicher Harndrang entsteht. Auch Betablocker können bei älteren Patienten zu schlafstörenden Albträumen führen.
Weiters zu beachten sind Medikamente, welche die Tagesbefindlichkeit beeinflussen können und gerade bei Älteren häufiger zur Anwendung kommen, wie Therapien mit Antipsychotika und Benzodiazepine. Seidel dazu: „Weniger ist oft mehr.“
Wie Seidel betont, sollten auch etwaige Steroidtherapien (wie sie etwa bei rheumatischen Beschwerden in niedriger Dosierung gegeben werden) an den Tagesrhythmus angepasst sein. „Gerade Steroide sollten nur am Morgen gegeben werden, damit nicht gegen den zirkadianen Rhythmus gehandelt wird.“
Sollte mit verhaltenstherapeutischen Interventionen und einer Medikationsanalyse kein ausreichender Erfolg erreicht werden können, geht es im nächsten Schritt der Insomniebehandlung um den gezielten Einsatz von Melatonin und schlaffördernden Substanzen – „wohl dosiert und mit einem gewissem Ziel, das heißt nicht unbegrenzt“, wie Seidel betont.
Neben Melatonin und Phytotherapeutika kommen weiters auch Trazodon und Mirtazapin in Betracht. Generell sind nicht nur bei synthetischen, sondern auch bei Phytotherapeutika potenzielle – vor allem gastrointestinale Nebenwirkungen – zu beachten, ebenso wie teilweise auch Wechselwirkungen (Stichwort: „Johanniskraut“).
Melatonin. Mit der Melatoningabe werden zwei Effekte erzielt: Zum einen wirkt es als sogenanntes „Uhrenhormon“ schlafrhythmusstabilisierend, zum anderen hat es auch einen schlafanstoßenden Effekt, der bei Einschlafstörungen ausgenutzt werden kann.
Wird Melatonin in Retard-Formulierungen eingesetzt, kann dadurch der physiologische Melatoninverlauf noch besser nachgezeichnet werden. Zur Wirksamkeit von retardiertem Melatonin in der Behandlung von Insomnie liegen gute Daten bereits ab einem Alter von 55 vor, so Seidel. Wenngleich keine Langzeitgabe untersucht wurde, sei der Langzeiteinsatz aus schlafmedizinischer Sicht über eine in den Studien untersuchte hinausgehende Dauer durchaus sinnvoll. Probleme bestehen jedoch mitunter in der Kassenerstattung.
Unter den Phytotherapeutika verweist Seidel im Besonderen auf Baldrianextrakt, für den Evidenz für die Wirksamkeit in der Behandlung von leichten Ein-und Durchschlafstörungen vorliegt. Häufig eingesetzt werden auch Kombinationen mit Melisse und Hopfen, auch mit Tryptophan als Baustein für Melatonin, oder Kombinationspräparate, in denen auch Melatonin enthalten ist. Die Wirkstärke sei in verschiedenen Kombinationspräparaten mitunter eher niedrig, die Wirksamkeit ergibt sich durch die Kombination und wird durch den Umstand verstärkt, dass Patienten damit etwas in der Hand haben, mit dem sie sich selbst „etwas Gutes“ tun können, durchaus auch als Ritual am Abend.
Trazodon und Mirtazapin. In weiterer Folge kommen in der Behandlung von Insomnie bei älteren Patienten Trazodon oder Mirtazapin zur Anwendung. Hier ist zu beachten, wie Seidel betont, dass die schlafanstoßende Wirkung der Substanzen durchaus bereits in niedriger Dosierung gegeben ist und daher mit niedriger Dosierung begonnen werden sollte. Bei Mirtazapin kann oft schon mit 7,5 mg das Auslangen gefunden werden, ohne dass Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit in Kauf genommen werden müssen. Ebenso ist es bei Trazodon meist ausreichend, mit 25 mg (das heißt einem Drittel der kleineren Dosierungsstärke) zu beginnen, um Erfolge in der Behandlung der Schlafstörung zu erzielen.
Gerade beim älteren Menschen ist es wichtig, einen „Overhang“ am nächsten Tag zu vermeiden. Vorsicht ist daher bei Benzodiazepinen, die nach wie vor sehr breit eingesetzt werden, geboten, wie Seidel betont: „Es ist zu beachten, dass sie zu Benommenheit und damit zu einem erhöhten Sturzrisiko führen, dass sie auch in die Schlafarchitektur eingreifen und damit die Zusammensetzung der Schlafstadien verändern und letztlich auch in Hinblick auf die anfangs erwähnte Gedächtniskonsolidierung kritisch zu sehen sind.“
Bei spezifischen, der Schlafstörung zugrunde liegenden Ursachen muss primär deren kausale Therapie erfolgen: Liegt etwa eine ausgeprägte Schlafapnoe vor, dann bedarf es einer pulmologischen Therapie, bei deutlichem Übergewicht sollte die Gewichtsreduktion angestrebt werden. Im Falle eines RLS ist die Zuziehung eines Facharztes für Neurologie zu erwägen: „Therapeutisch kommen auch beim Restless-Legs-Syndrom neben medikamentösen Therapien eine Reihe nichtmedikamentöser Maßnahmen wie Eisensupplementation, Kälte-Anwendungen, Yoga et cetera in Betracht.“
Wesentlicher Stellenwert kommt auch der Patientenkommunikation und der Vermittlung realistischer Therapieziele zu. „Keine der Maßnahmen wird dazu führen, dass das Schlafprofil total geglättet wird.“ Auch bei Gesunden sind die Nächte und Schlafmuster nicht immer gleich; auch unter Medikation bleiben daher Unterschiede bestehen. Wichtig sei, das dem Patienten auch im Gespräch zu vermitteln.
Last, but not least verweist Seidel auf einen Aspekt, der oft übersehen wird: die heilsame Wirkung von Optimismus. So konnte in einer aktuellen Publikation, die auf einer Umfrage mit repräsentativer Stichprobe basiert, ein Zusammenhang zwischen Optimismus und Schlafqualität gezeigt werden. „Wenn jemand optimistisch ist, dass die Nacht gut oder nicht so schlimm wird, sind die Chancen auf bessere Schlafqualität auch höher. Das versuche ich auch zu vermitteln. Ich glaube schon, dass eine optimistische Haltung wesentlich ist.“