Nicht nur in Zeiten der Pandemie, sondern auch zu allen anderen Zeiten deckt die Schlafmedizin ein großes Spektrum an Erkrankungen ab, die in unterschiedlichsten Quellfächern verwurzelt sind und darüber hinaus zahlreiche weitere medizinische Fächer berühren.
Dies hat auch dazu geführt, dass die Spezialisierung im Bereich der Schlafmedizin, die von der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung in Zusammenarbeit mit mehreren Sonderfächern entwickelt wurde, mittlerweile über die Österreichische Ärztekammer erlangt werden kann und für Allgemeinärzte und Mediziner verschiedenster Fachrichtungen zugänglich ist.
Insgesamt befassen sich Schlafmediziner mit den großen Kategorien der Insomnien, der schlafbezogenen Atmungsstörungen, der Erkrankungen mit im Vordergrund stehender erhöhter Tagesschläfrigkeit und Hypersomnie (auch Hypersomnolenzsyndrome genannt), den zirkadianen Störungen, Parasomnien und den schlafbezogenen Bewegungsstörungen.
Diese Klassifikation ist in der in der Schlafmedizin verwendeten International Classification of Sleep Disorders (ICSD-3) aus dem Jahr 2014 niedergelegt, eine Revision dieser Klassifikation ist derzeit in Vorbereitung. Auch die ICD wurde bereits hinsichtlich der Schlafstörungen aktualisiert: Während in der derzeit noch gültigen ICD-10 die Schlafstörungen ja letztlich nicht mehr zeitgemäß in organische und nichtorganische Schlafstörungen unterteilt werden und ansonsten vereinzelt schlafmedizinische Erkrankungen sich über die ganze Klassifikation verteilt finden, soll in der ICD-11, die derzeit in Vorbereitung und in Beta-Version auf der Website der WHO einsichtig ist (icd.who.int/browse11/l-m/en), die Schlafmedizin ein eigenes Kapitel darstellen, das die Einteilung der großen Kategorien wie in der International Classification of Sleep Disorders reflektieren wird.
Bezüglich der Insomnien wurde in der derzeitigen ICSD-3 die Unterteilung in mehr als 10 Subtypen der Vorklassifikationen verlassen, und lediglich chronische Insomnien, kurzzeitige Insomnien und andere Insomnien wurden unterschieden. Zahlreiche neuere Untersuchungen zur Genetik und Pathophysiologie der Insomnie weisen auf multiple genetische Einflüsse hin (so besteht zum Beispiel eine Assoziation der Insomnie mit Genvarianten, die auch beim Restless-Legs-Syndrom [RLS] eine Rolle spielen). Pathophysiologisch wurden neben vermehrten Arousals im Non-REM-Schlaf auch Fragmentierung des REM-Schlafes beschrieben.
Bei Insomnien, die im Rahmen einer anderen Erkrankung oder fassbaren Ursache auftreten, zum Beispiel einer psychiatrischen Grunderkrankung oder RLS, sollte immer die Ursache zunächst oder zumindest auch parallel behandelt werden. Bezüglich einer Behandlung der Insomnien gibt es zunehmende Evidenz, dass nichtmedikamentöse Therapieverfahren, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (Cognitive Behavioural Therapy for Insomnia – CBT-I) einen wesentlichen Pfeiler jeder Insomnie-Therapie darstellen soll und für sehr viele Patienten auch First-Line- Therapie ist. Medikamentöse Therapieverfahren können zusätzlich zum Einsatz kommen. Um die Qualität der CBT für Insomnie zu gewährleisten und auch zu standardisieren, wurde die European Academy for CBT-I ins Leben gerufen.1
Neuere medikamentöse Entwicklungen zur Behandlung der Insomnie (zum Beispiel die dualen Hypocretin-Orexin-Rezeptor-Antagonisten Suvorexant und Lemborexant) wurden bereits für bestimmte Indikationen untersucht und in den USA bereits auch zugelassen; welche Rolle sie im europäischen Kontext künftig spielen werden, bleibt dennoch abzuwarten.
Bezüglich der schlafbezogenen Atmungsstörungen (SBAS) stellt die Positive- Airway Pressure-(PAP-)Therapie weiterhin den Goldstandard für die häufigsten Formen dar. Masken für die PAP-Therapie und Geräte für Patienten, die mit Continuous- Positive-Airway-Pressure-Therapie alleine nicht behandelt werden können, werden laufend weiterentwickelt. Für ein bestimmtes, eng begrenztes und im Verhältnis vergleichsweise kleines Segment von Patienten kommen verschiedene chirurgische Therapieverfahren in Frage; eventuell in Zukunft auch wieder medikamentöse Ansätze. (www.worldsleepsociety.org)
Bezüglich der Narkolepsie gibt es derzeit ein großes Spektrum an neuen Therapieentwicklungen. Der Dopamin-Reuptake- Hemmer Solriamfetol wurde bereits von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) positiv beurteilt. Nach Auskunft der Firma wird derzeit daran gearbeitet, die Substanz in Österreich bald verfügbar zu machen. Außerdem ist eine interessante Entwicklung, dass für die Substanz Natriumoxybat, die wegen der sehr kurzen Plasmahalbwertszeit zweimal pro Nacht genommen werden musste (meist die zweite Dosis um 2 Uhr morgens) und die aufgrund des hohen Salzgehaltes problematisch war, modifizierte Präparationen in Prüfung sind, welche eine längere Halbwertszeit oder einen reduzierten Salzgehalt aufweisen. Eine weitere Neuentwicklung sind die Hypocretin-Rezeptor-Agonisten, die sich derzeit noch in klinischer Entwicklung befinden. Eine solche Therapie wäre jedoch im Gegensatz zu den bisher verfügbaren symptomatischen Therapiemöglichkeiten ein Ansatz näher an der kausalen Pathophysiologie der Narkolepsie Typ I.
Zirkadiane Störungen sollten als komorbide Faktoren bei Schlafstörungen und Tagesschläfrigkeit mehr als bisher in die differenziale Diagnose miteinbezogen werden.
Bezüglich der Parasomnien ist sicherlich die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (auch „Rapid Eye Movement Sleep Behavior Disorder“, RBD) von herausragender Bedeutung. Nicht nur, weil die klinisch isolierte REM-Schlaf-Verhaltensstörung (auch idiopathische RBD) häufiger nach mehreren beziehungsweise vielen Jahren in eine Alpha-Synuclein-Erkrankung (meistens Morbus Parkinson oder Demenz mit Lewy- Körperchen) übergehen kann.
Die RBD wird sicher noch zu selten und zu spät diagnostiziert, da viele Patienten nicht wissen, dass Bewegungen aus dem Traum heraus nicht physiologisch sind und auch Stürze aus dem Bett immer hinsichtlich einer Parasomnie abgeklärt werden sollten. Für Hausärzte ist es wichtig, zu wissen, dass in der Regel erst die Bettpartner der Patienten wichtige Hinweise auf eine RBD geben können. Konkret zu erfragen sind Aufreden aus dem Schlaf heraus, stimmliche/sprachliche Äußerungen, die auf Streit- oder Kampfsituationen hinweisen, häufig auch verbunden mit entsprechenden Bewegungen. Während Patienten bei RBD schnell weckbar sind und in der Regel direkt nach dem Wecken noch einen lebhaften Traum erinnern können, ist am Folgetag oft die Erinnerung an den Traum gelöscht.
Bezüglich schlafbezogener Bewegungsstörungen ist erfreulicherweise mittlerweile allgemein bekannt, dass dopaminerge Behandlung mit der niedrigstmöglichen Dosis überhaupt erfolgen soll, da dopaminerge Nebenwirkungen wie Impulskon-trollstörungen et cetera im Auge behalten werden müssen und dass ein über die Zeit der Behandlung verschlechtertes Ansprechen mit Höherdosierung von dopaminerger Medikation durch die Patienten selbst ein möglicher Hinweis auf eine Augmentation sein kann.
In der Buchvorstellung geht es um eine Neuerscheinung, die das Spektrum der Schlafmedizin für Kollegen aller Fachrichtungen in der Übersicht darstellt.