An der Stimulationstechnik hat sich dahingehend etwas grundlegend geändert, als man Stimulatoren entwickelt hat, die auch aufladbar waren. Das heißt, man konnte ganz einfach durch Wiederaufladen der Geräte, das etwa einmal pro Woche erfolgen musste, eine Batteriedauer von zehn Jahren gewinnen. Im Bereich der Hochtechnologie konnten sich die elektronischen Pumpen durchsetzen, die den Vorteil haben, dass den Patienten ein Tagesprofil erstellt werden kann, mit dem man zusätzlich auch die Möglichkeit geben kann, sich einen Bolus abzurufen. Der Marktführer hat ein relativ robustes, aber doch auch von der Technik her raumraubendes System – die Rollerpumpe. Es gibt aber auch noch andere Technologien, wo versucht wird, mit vibrierenden Membranpumpen zu arbeiten, die sehr viel weniger Raum brauchen.
Auf dem medikamentösen Sektor hatten wir das Glück, dass wir das Seeschneckengift Ziconotid (Prialt®) bekommen haben, mit dem Vorteil, dass es die typischen Morphinnebenwirkungen wie Obstipation, Harnverhalten, Libidostörungen usw. nicht aufweist. Allerdings ist es für Arzt und Patient eine gewisse Herausforderung, weil die Dosen unglaublich schwanken – nämlich um fast 1000%.
Auf dem Gebiet der Neuromodulation war die vollkommen neue Technologie der sogenannten Hochfrequenzstimulation ein entscheidender Fortschritt, bei der man mit Frequenzen von ungefähr 10.000–15.000 Hertz arbeitet. Natürlich braucht diese höhere Frequenz sehr viel mehr Energie. Da war eben der Fortschritt der wiederaufladbaren Batterie entscheidend.
Die Wiederaufladbarkeit hat auch die Möglichkeit geschaffen, die subkutane Nervstimulation wieder zu forcieren und dadurch bei sehr schwierigen Schmerzpatienten noch einmal eine Verbesserung des Stimulationsresultates zu erzielen. Herkömmliche nicht hochfrequente Geräte können mittlerweile bis zu vier Sonden gleichzeitig bedienen, die, wenn sie unterschiedlich getaktet werden, mit unterschiedlichen Stimulationsmustern bestückt werden können.
Das neue Hochfrequenzsystem hat den weiteren Vorteil, dass die Patienten dieses typische Kribbeln, das diese Schmerzstimulation hervorruft, nicht fühlen. Es ist auch nicht mehr notwendig, genau diese Stelle zu finden, wo die Sonde am besten wirkt. Bei der Niederfrequenzstimulation kommt es offensichtlich zur Freisetzung von schmerzhemmenden Transmittern wie Gamma-Aminobuttersäure und Adenosin, während bei der Hochfrequenzstimulation, wie experimentell bewiesen werden konnte, die C-Fasern nach einer gewissen Zeit zu feuern aufhören. Hier scheint es also effektiv zu dem Phänomen zu kommen, das Wall und Melzack eben zur Grundlage ihrer Gate-Control-Theorie gemacht haben: nämlich, wenn das Gate mit einer Stimulation geschlossen wird, dann geht nichts mehr durch.
Das nächste Entscheidende ist die Differenzierung zwischen den Zyklooxygenase-2-Hemmern (COX-2) und den nichtselektiven Zyklooxygenase(COX)-Hemmern, die für Patienten, die hinsichtlich gastrointestinaler Nebenwirkungen gefährdet sind, wesentliche Vorteile bringt. Wenn jemand ständig Schmerzen hat, braucht er diese Medikamente dauernd, und dann ist das eine Frage der Verträglichkeit. Diese Entwicklung hat uns Klinikern den Vorteil gebracht, dass dann natürlich versucht wurde, immer tiefer hineinzublicken, wo denn jetzt der Unterschied sei zwischen Selektiven und Nicht-selektiven, aber auch innerhalb der einzelnen nichtsteroidalen Antiinflammatoria (NSAIDS). Mittlerweile wissen wir, dass es nicht nur zwischen COX-2 selektiven und COX-nichtselektiven, sondern auch zwischen den nichtselektiven NSAIDS hinsichtlich ihrer analgetischen und ihrer antiinflammatorischen Wirkung große Unterschiede gibt. Das heißt, man kann durch die entsprechende Wahl des Medikamentes schon entscheiden, ob die entzündliche oder die nozizeptive Komponente im Vordergrund steht. Da gibt es dann Medikamente, die extrem gut abschwellend wirken, beispielsweise das Diclofenac oder Indomethacin, oder eben die COX-2-Hemmer, die auch sehr gut abschwellend wirken, und solche, bei denen die analgetische Komponente im Vordergrund steht. Ein Extrem ist Ketorolac, das es bei uns nicht gibt und das hauptsächlich analgetisch wirkt. Auch bei Naproxen steht die analgetische Komponente im Vordergrund, wenn auch nicht so ausgeprägt selektiv wie bei Ketorolac.
Etwas, das uns sehr viel weiter gebracht hat, ist, dass wir heute sehr genau wissen, welche Medikamenten wir bei kardialen Risikopatienten einsetzen können. Da wird vor allem das Dexibuprofen oder das Naproxen eingesetzt, weil diese Mittel keine Thrombosen forcieren, während andere Mittel, vor allem die COX-2-selektiven Hemmer auf Grund einer divergierenden Wirkung auf die endotheliale und auf die thrombozytäre-COX-1 Thrombosen induzieren können. Ursache hierfür ist ein Missverhältnis zwischen Thomboxan A2 und Prostaglandin I2 mit dem Resultat einer forcierten Plättchenaggregation. Ist das Verhältnis der Hemmwirkung auf thrombozytäre und endothelieale COX-1 ausgeglichen wie z.B. bei Azetylsalizylsäure, kann dies sogar zur Thromboseprophylaxe genutzt werden. Interessant ist, dass Naproxen wegen seines relativ hohen Risikopotenzials gastrointestinale Blutungen auszulösen als Standardvergleichspräparat gegen COX-2 selektive NSAIDS diente, um deren Vorteil hinsichtlich unerwünschter gastrointestinalen Nebenwirkungen zu beweisen. Andererseits scheint aber eben diese unerwünschte Gerinnungshemmung Vorteile bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen zu bieten, weshalb Naproxen von der American Heart Association als NSAIDS der Wahl für Patienten mit cardialem Risiko empfohlen wurde.
Früher gab es sehr viele Kombinationspräparate, die bis vor kurzer Zeit als verpönt galten. Jetzt beginnt man wieder, Kombipräparate auf den Markt zu bringen wie z.B: Arthotec® (Diclofenac und Misoprostol) Vimovo® (Naproxen plus Esomeprazol) also Kombination von Magenschutz und Antiinflammatorium bzw. Zaldiar® (Tramadol plus Paracetamol) also Opioid mit NSAIDS oder Targin® (Oxycodon plus Naloxon) also Opioid plus Antagonist mit dem Zwecke gastrointestinale Nebenwirkungen zu hinztanzuhalten, verbesserte Analgesie bei gleichzeitiger Dosisreduktion zu erzielen oder opioidinduzierte Obstipation zu unterdrücken. Naloxon wird nur zu max. 4% vom Darm resorbiert und kann daher die Opioidwirkung im System nicht beeinträchtigen, andererseits setzt sich das Naloxon aber an den Darmrezeptoren fest und verhindert, dass das oral aufgenommene Opioid eine Obstipation auslöst.
Auf dem Sektor minimalinvasiver Techniken zur Kontrolle von vertebrogenen Schmerzen wurde die Chemonukleolyse mittels Chymopapain zunächst durch die Injektion von Kollagenase abgelöst. Beide Methoden führten zur enzymatzischen Spaltung der Proteoglykane im Nucleus pulposus, so dass Teile davon abgesaugt werden konnten, was zur Druckentlastung der (lädierten) Bandscheibe und damit zur Schmerzreduktion führte.
Eine weitere Entwicklung ist nun die Injektion von ozoniertem Sauerstoff in die Bandscheibe aus der Überlegung heraus, dass eine Oxydation der Proteoglykane und Glukosaminoglykane eine Dehydratation des Nucleus pulposus verursachen, dadurch diesen erhärten und gleichzeitig eine Volumsreduktion herbeiführen. Indikation sind schmerzhafte Bandscheibenläsionen ohne neurologische Ausfallserscheinungen. Die rezenteste Neuerung ist das Präparat Discogel®, wobei gelierter Äthanol in die Bandscheibe injiziert wird, was ebenfalls zu einer Veränderung der Glukosaminoglykane und Proteoglykane mit Volumsreduktion und Viskositätsänderung führt.
Bedauerlicherweise ist es so, dass Innovationen viel kosten und hochpreisige, neue Medikamente nicht oder sehr verspätet in den Rückerstattungskodex aufgenommen werden, somit also nicht generell zur Anwendung kommen können. Von diesem Umstand betroffen ist z.B. ein vollkommen neues Medikament namens Tapentadol (Palexia®), wo es gelang, die Eigenschaft eines Opioids mit jenen eines Antidepressivums (Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung) in einem Molekül zu vereinen. Das ist vor allem für die Kontolle neuropathischer Schmerzen wichtig. Interessant dabei ist, dass Antidepressiva aus der Reihe der Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bei chronischen Schmerzen mit gutem Erfolg eingesetzt werden können.
Allerdings ist es meist notwendig, zusätzlich Opioide einzusetzen, was oft Anzeichen des sog. serotoninergen Syndroms auslöst. In Kenntnis dieses Umstandes hat man also bewusst versucht, die serotoninerge Wirkung wegzulassen und die noradrenerge Wirkung zu forcieren, was in diesem Medikament gelungen ist. Obwohl die Tagesdosis dieses Medikamentes nur 1,3 Euro beträgt, wurde es bis jetzt nicht in der Rückerstattung berücksichtigt. Patienten müssten also dazu bereit sein, den Preis von 1,3 Euro für eine Therapie zu zahlen. Interessanterweise findet sich kaum ein betroffener Patient bereit diese Summe aufzubringen. Angesichts der Tatsache, dass viele davon täglich vier Euro für eine Packung Zigaretten ausgeben, ist dies allerdings auch nicht verständlich.
Beachtenswert sind die transdermalen Entwicklungen im Bereich Schmerztherapie; auf der einen Seite das Lokalanästhetikumhältige Versatis®, das täglich aufgebracht werden muss, und auf der anderen Seite das capsaicinhältige Qutenza®. Letzteres muss zur Desensitivisierung nur einmal aufgebracht werden. Bei neuropathischen Schmerzen können diese Pflaster mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 50%, ohne systemische Nebenwirkungen eingesetzt werden.
Was auch interessant ist, ist die zunehmende medizinische Salonfähigkeit der Cannabinoide, die sich jetzt doch bei chronischen Schmerzen als starke Schmerzmodulatoren beweisen konnten. Sie sind eine sinnvolle Ergänzung bei Problemfällen. Bei Tumorschmerzen haben sie zudem den Vorteil, dass sie appetitanregend, antiemetisch wirksam und schmerzstillend sind.
Ebenso Entwicklungen der letzten zehn Jahre sind transmukosale Galeniken für Opioide wo vor allem Fentanyl in Form von Spray (Instanyl®) oder Lutschtabletten (Actiq® und Effentora®) derzeit zur Verfügung stehen. Ein zusätzliches Fentanylpräparat steht kurz vor der Vermarktung. Mit diesen Präparaten wird eine Anschlagzeit von unter zehn Minuten erreicht. Das heißt, man kommt dem idealen Medikament gegen Durchbruchschmerzen „kurze Wirkdauer, schnelle Anschlagzeit“ bereits fast ideal nahe.
Es gibt neue Erkenntnisse über Form des Morphinrezeptors und dessen sterische Änderung bei Reaktion mit einem Agonisten. Diese Basisforschung hilft uns sehr viel weiter. Womit ich auch gute Erfahrung gemacht habe, ist der sogenannte Off-Label-Einsatz von Riluzol, das man eigentlich bei der ALS einsetzt, diese Substanz zeigte sich aber als sehr wirksam bei der Kontrolle von Schmerzen, welche durch Knochenmetastasen ausgelöst werden. Die Publikation dieser Resultate steht aber noch aus.
Die Visionen sind die, dass tiefere Einblicke in die Rezeptordynamik und Pharmakokinetik die Entwicklung neuer, effektiverer und nebenwirkungsärmerer Medikamente vorantreiben, und auch, dass man die medizinisch genutzten bzw. nutzbaren Eigenschaften natürlicher Wirkstoffe bzw. Gifte pflanzlichen oder tierischen Ursprungs immmer exakter isolieren bzw. imitieren kann, indem man vorteilhafte von nachteiligen Wirkungen isoliert. Wir wissen, dass einige Pflanzen selektive Zyklooxygenase-2-Hemmer sind, wir wissen, dass in Tees und in Rotwein sehr viele Antioxidantien enthalten sind, die bis hin zur Zyklooxygenase-Hemmung reichen, und zwar nicht nur Resveratrol. Wir wissen, dass die Omega-3-Fettsäuren eine große Rolle in der Schmerzvermittlung spielen, weil ja nur aus Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure entstehen kann. Ich glaube, dass der Bereich der Diätberatung bei „Schmerzerkrankungen“ forciert werden müsste. Nicht zuletzt ist auch interessant, dass ein altbekannter Wirkstoff aus der Reihe der „natürlich“ vorkommenden Koanalgetika, nämlich Koffein, immer besser durchforscht wurde und man so im Nachhinein besser versteht, warum Koffein mit so vielen Medikamenten sinnvoll kombiniert werden konnte.