Therapie der 1. Wahl bei chronischen neuropathischen Schmerzen sind ausgewählte Antidepressiva wie Trizyklika oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) oder Gabapentinoide.
Die Wirksamkeit von Gabapentin und Pregabalin ist durch Studien und Metaanalysen bei verschiedenen Krankheitsbildern mit neuropathischen Schmerzen gut belegt. Gabapentin ist für die Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerzen zugelassen und wird von den Patient:innen meist gut vertragen; häufigere Nebenwirkungen sind Schwindel, Schläfrigkeit, Gangstörung und periphere Ödeme. Pregabalin ist ebenfalls wirksam und zugelassen für die Behandlung von peripheren und zentralen neuropathischen Schmerzen. Nebenwirkungen von Pregabalin ähneln denen von Gabapentin. Pregabalin und Gabapentin haben bei höheren Dosierungen ein deutliches Abhängigkeitspotenzial, sodass eine Kombination mit Opioiden nicht oder unter Vorsicht empfohlen wird. Bei vermehrtem Gebrauch von beiden Präparaten, v.a. von Pregabalin, soll auch an einen möglichen Missbrauch gedacht werden.
Carbamazepin (CBZ) ist das Medikament der Wahl für die Behandlung einer Trigeminusneuralgie (TN). Sein Nebenwirkungsprofil ist ungünstig, zusätzlich kann CBZ die Arzneimittelwirkung anderer Substanzen beeinträchtigen. Bei anderen neuropathischen Schmerzen kann die Gabe aufgrund der unklaren Datenlage nur erwogen werden. Oxcarbazepin ist gegen TN wahrscheinlich genauso wirksam wie CBZ und kann bei Unwirksamkeit oder Unverträglichkeit von CBZ gegeben werden. Die Wirkung von sämtlichen anderen Antiepileptika wie Topiramat, Phenytoin, Valproat oder Lacosamid beim NS ist nicht gut belegt, weshalb sie nur Off-Label im Einzelfall bei besonderen Indikationen gegeben werden können. Lamotrigin kann bei einer HIV-Neuropathie, TN oder bei einem zentralen Schmerz nach Schlaganfall erwogen werden.
Die meisten Studien mit trizyklischen Antidepressiva (TCA) wurden bei der diabetischen Neuropathie durchgeführt. In Metaanalysen erreichen die TCA (Amitriptylin, Imipramin, Clomipramin) die niedrigsten Number-needed-to-treat-(NNT-)Werte mit 2,1–2,4. Sie können sowohl bei peripheren als auch bei zentralen neuropathischen Schmerzsyndromen verschrieben werden. Ein Vorteil von Amitriptylin ist die sedierende Wirkung, weshalb eine abendliche Gabe den Schlaf deutlich verbessern kann. Wesentliche Nebenwirkungen sind Sedierung, Mundtrockenheit, Schwindel, Obstipation, Gewichtszunahme, Blasenentleerungsstörung und AV-Block. Bei einem Alter von über 65 Jahren soll vor Beginn der Therapie ein EKG durchgeführt werden. Amitriptylin kann das Demenzrisiko erhöhen, aufgrund dessen soll es bei älteren Menschen mit Vorsicht gegeben werden. Eine Kombination mit CYP2D6-Inhibitoren wie Duloxetin oder SSRI kann den Amitriptylin-Spiegel deutlich erhöhen und sollte vermieden werden.
Für Duloxetin konnte eine Wirksamkeit v. a. bei der diabetischen und chemotherapieinduzierten Neuropathie nachgewiesen werden. Auch zentral neuropathische Schmerzen waren unter Duloxetin besser. Rauchen kann den Duloxetin-Spiegel deutlich reduzieren. Übelkeit und Erbrechen sind v.a. in der ersten Behandlungswoche möglich. Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Obstipation, Blutdrucksteigerung, Schlaflosigkeit und Schwindel sind einige der möglichen Nebenwirkungen. Duloxetin soll nicht mit MAO-Hemmern, Johanniskraut oder serotonerg wirksamen Substanzen kombiniert werden. CYP1A2-Inhibitoren wie Ciprofloxacin können den Duloxetin-Spiegel erhöhen. Duloxetin kann den Metoprolol-Spiegel durch verzögerten Abbau verdoppeln. Eine Kombination mit Warfarin kann vermehrt zu Blutungen führen. Die Gabe von SSRI in Kombination mit Warfarin scheint noch gefährlicher zu sein. Venlafaxin kann in Einzelfällen Off-Label angewendet werden.
Antidepressiva sollen in ausreichender Dosierung mindestens 4 Wochen gegeben werden, bevor sie als unwirksam bezeichnet werden. Sie sollen nicht plötzlich abgesetzt werden, da dieses Vorgehen mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein kann. SSRI sollten nicht in der Therapie neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden.
Opioide können den Patient:innen als 2. oder 3. Wahl angeboten werden. Bei der Wahl des Opioids sollen Interaktionen mit anderen Medikamenten, Nierenfunktion und Datenlage beachtet werden. Für Hydromorphon, Fentanyl und Buprenorphin gibt es keine ausreichenden Beweise für die Wirksamkeit beim neuropathischen Schmerz. Die Datenlage für Morphin, Tapentadol und Oxycodon ist besser, sodass diese Präparate bevorzugt verschrieben werden sollen. Die NNT für eine 30–50%ige Schmerzbesserung liegt zwischen 4 und 6. Opioide sollten den Patient:innen, die keine ausreichende Schmerzreduktion auf Medikamente der 1. Wahl gezeigt haben, in niedrigster Dosierung verschrieben werden. Bei Patient:innen mit Suchtpotenzial soll die Opioidgabe unter Vorsicht und regelmäßiger Kontrolle gegeben werden. Die Ergebnisse der Therapie sollten nach 4 Wochen und dann spätestens nach 3 Monaten evaluiert werden, bei nichterreichten Therapiezielen sollten Opioide langsam ausgeschlichen werden.
Die Gabe von Cannabinoiden beim NS ist nach wie vor sehr kontroversiell. Die DGN/ÖGN-Leitlinie empfiehlt die Verwendung von Cannabinoiden nur nach Versagen anderer Schmerztherapien, und zwar Off-Label. Die europäische Schmerzgesellschaft EFIC empfiehlt die Gabe von Cannabinoiden als Add-on-Therapie, nachdem die anderen Präparate keinen gewünschten Effekt gezeigt haben. Erhältlich sind Dronabinol (teilsynthetisch hergestelltes Tetrahydrocannabinol-THC), Nabiximols, Nabilon und Cannabidiol.
Die Wirksamkeit von BoNT beim neuropathischen Schmerz wurde in vielen kleineren, zum Teil gut durchgeführten Studien bewiesen. BoNT kann als Therapie der 2. Wahl (bei der TN) oder der 3. Wahl bei ausgewählten Patient:innen mit anderen neuropathischen Schmerzsyndromen angeboten werden. Die NNT betrug je nach Studie zwischen 1,9 und 7.
Bei lokalisierten Schmerzarealen kann eine topische Therapie mit Lidocain oder Capsaicin angeboten werden, entweder als Therapie der 1. Wahl oder als Add-on zu einer oralen Therapie. Der Vorteil der topischen Therapie ist ein sehr niedriges zentrales Nebenwirkungsspektrum bei guter Wirksamkeit. Damit ist die topische Therapie v. a. für ältere Menschen gut geeignet. Ein bestimmtes Ausmaß an erhaltenen peripheren Nervenendigungen ist die Voraussetzung für die Wirksamkeit der topischen Therapie. Eine Pinprick- und Hitze-Hyperalgesie oder Allodynie im betroffenen Areal deutet auf ein gutes Ansprechen auf die topische Therapie hin, eine komplette Anästhesie auf ein Nichtansprechen.
Der Natriumkanalblocker ist etwa 20-mal potenter als Lidocain und kann topisch angewendet werden. Die Creme wird in ausgewählten Apotheken zubereitet.
Bis zu 47 % der Patient:innen mit neuropathischen Schmerzen bekommen fälschlicherweise Nichtopioid-Analgetika (z. B. NSAR) verschrieben. Diese Medikamente sind beim neuropathischen Schmerz nicht wirksam, können ernsthafte Langzeitnebenwirkungen haben und sollen daher nicht eingesetzt werden. Muskelrelaxanzien und Benzodiazepine sollten ebenfalls nicht angewendet werden.