Schwanger trotz Rheuma? Ja, das geht!

Hausärzte und Krankenpflegepersonen sind wichtige Vertrauenspersonen für Patientinnen und stehen oft vor der Herausforderung, Fragen wie „Darf ich überhaupt schwanger werden?“ oder „Welche Nebenwirkungen können meine Medikamente haben?“ beantworten zu müssen. Die wichtigsten Faustregeln im Überblick:

Der richtige Zeitpunkt

Ist die Krankheitsaktivität erhöht, ist die Dauer bis zur Konzeption bei Patientinnen mit rheumatoider Arthritis (RA) oft verlängert. Das gilt auch, wenn die Erkrankung symptomatisch mit NSAR oder Steroiden behandelt wird. Auch die Komplikationsrate in der Schwangerschaft, zum Beispiel durch Präeklampsie oder Frühgeburtlichkeit, steigt sowohl bei entzündlichen Gelenkerkrankungen als auch beim systemischen Lupus erythematodes (SLE), wenn die Krankheitsaktivität der Mutter vor der Konzeption erhöht war.1 Frauen mit einer gut eingestellten Erkrankung leiden außerdem weniger unter Erkrankungsschüben während der Schwangerschaft und im Wochenbett. Patientinnen mit aktiver Erkrankung oder kürzlich gestellter Diagnose sollten daher sicher verhüten und die Familienplanung in eine Phase der niedrigen Krankheitsaktivität oder Remission verschieben. Daher müssen bei Kinderwunsch teratogene Medikamente rechtzeitig beendet werden, und es muss auf sichere schwangerschaftskompatible DMARDs („disease-modifying anti-rheumatic drugs“) umgestellt werden.

Beratung wirkt

Aus der Praxis wissen wir, dass Patientinnen mit Kinderwunsch oft dazu tendieren, ihre Medikamente abzusetzen – ob in Absprache mit dem Hausarzt oder eigenmächtig. Sie nehmen lieber starke Schmerzen und eine höhere Krankheitsaktivität in Kauf, um ihr ungeborenes Kind nicht durch eine etwaige Medikamenteneinnahme zu gefährden. Heute gilt jedoch als gesichert, dass diese Art der mütterlichen Aufopferungsbereitschaft kontraproduktiv für die Schwangerschaft und den Gesundheitszustand der werdenden Mutter sein kann.
Aus einer 2016 veröffentlichten Studie wissen wir, dass eine ärztliche Beratung für Patientinnen mit chronisch entzündlichen Erkrankungen vor ihrer Schwangerschaft entscheidend ist.2
Eine ärztliche Beratung zum Thema Familienplanung senkt sowohl die Schubrate der entzündlichen Erkrankung als auch die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit niedrigem Geburtsgewicht zur Welt zu bringen. Patientinnen, die sich vor ihrer Schwangerschaft ärztlich beraten ließen, haben außerdem ein größeres Vertrauen in die Sicherheit und Notwendigkeit der verordneten Basistherapeutika, nehmen ihre Folsäure konsequenter ein und verzichten häufiger auf Nikotin.2

Rheumamedikamente in der Schwangerschaft: was die Forschung derzeit weiß

Muss meine Patientin ihre Rheumamedikamente absetzen, wenn sie schwanger werden will? Viele Fachinformationen der Hersteller antworten oft pauschal: Ja. Doch diese Empfehlung beruht meist auf fehlenden Daten – und nicht auf einem bewiesenen schädigenden Effekt für das Kind. Oft ignorieren die Fachinformationen zudem das potenzielle Risiko für die Mutter, wenn sie ihr Medikament absetzt und ihre Erkrankung unbehandelt bleibt. Das gilt auch für die mittlerweile veraltete FDA-Klassifizierung (Kategorie A, B, C, D, X). Erst kürzlich wurde daher ein Konsens der österreichischen Fachgesellschaften für Gas-troenterologie und Hepatologie sowie für Rheumatologie und Rehabilitation publiziert, der Empfehlungen zum Einsatz von DMARDs („disease-modifying anti-rheumatic drugs“) in der Schwangerschaft und Stillzeit enthält.3

Methotrexat absetzen

Gewarnt wird vor dem häufig angewandten Basismedikament Methotrexat. Dieses ist teratogen (Rote Box, siehe Tabelle) und muss drei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft beendet werden. Zeitgleich sollte eine höhere Dosis Folsäure eingenommen werden (5 mg täglich) – bis zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels.
Methotrexat erhöht das Risiko für kindliche Fehlbildungen auf 6,6 % und jenes für Fehlgeburten auf 42 %. Alternative Immunsuppressiva, die während der Schwangerschaft eingenommen werden können, sind Sulfasalazin oder Hydroxychloroquin (Grüne Box).3

 

 

Biologika

Bei Patientinnen mit hoher Krankheitsaktivität oder ungünstigen prognostischen Faktoren kann eine Biologika-Therapie in der Schwangerschaft notwendig sein. Biologika sind Derivate von Immunglobulin G1 (IgG1), die gezielt das Krankheitsgeschehen beeinflussen. Dank ihrer Größe können sie während des ersten Schwangerschaftsdrittels, dem Zeitpunkt der Organentstehung, praktisch nicht die Plazenta passieren. Ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel ändert sich das.
Die Biologika mit den meisten Erfahrungen in der Schwangerschaft sind TNF-Blocker, für die zahlreiche Studien vorliegen. In der systemischen Literaturrecherche der „EULAR-Task-Force-Gruppe“ wurden 2.492 Schwangerschaften analysiert, während denen TNF-Blocker verabreicht wurden. Es konnte kein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten oder angeborene Fehlbildungen festgestellt werden.1

Zu den TNF-Blockern zählen Infliximab, Etanercept, Adalimumab, Golimumab und Certolizumab. Ab der 20.–24. Schwangerschaftswoche nimmt der diaplazentare Transport von Immunglobulinen (Ig) stetig zu. Daher sollte der Einsatz von Ig-basierten TNF-Blockern wie Infliximab, Adalimumab oder Etanercept ab diesem Zeitpunkt reevaluiert werden. Certolizumab unterscheidet sich strukturell von den anderen TNF-Blockern. Wie in mehreren Studien gezeigt werden konnte, sind die Transportraten von Certolizumab über die Plazenta während der gesamten Schwangerschaft sehr gering. Daher ist dieser TNF-Blocker bei einem Therapiebe ginn in der Kinderwunschphase oder während der Schwangerschaft zu bevorzugen.

Säuglingsimpfungen beachten! Mögliche Risiken für in utero exponierte Kinder sind Infektionen und Reaktionen auf Impfungen, insbesondere Lebendimpfstoffe. Daten zu ihrer Gesundheit nach einer Exposition im Mutterleib gibt es allerdings wenige. Die meisten Studien gibt es für Kinder im ersten Lebensjahr, deren Mütter während der Schwangerschaft TNF-Blocker erhielten. Diese Daten konnten kein erhöhtes Infektionsrisiko zeigen. Dennoch empfiehlt sich folgende Vorsichtsmaßnahme: Wenn die TNF-Blocker-Therapie bis zum Ende des zweiten Schwangerschafts-drittels fortgeführt wurde, sollten Lebendimpfungen innerhalb der ersten sechs Lebensmonate vermieden werden. Wenn das Medikament während der gesamten Schwangerschaft verabreicht wurde, sollte bis zum Ende des ersten Lebensjahrs gewartet werden.

Zu den „neueren“ Biologika gehören unter anderem Rituximab, Belimumab, Abatacept, Tocilizumab, Ustekinumab, und Secukinumab. Für diese neuen Biologika liegen allerdings noch zu wenige Daten und Studien über ihre Sicherheit in der Anwendung während der Schwangerschaft vor. Sie sollten daher während der Schwangerschaft vermieden werden.

 

1 Gotestam Skorpen C et al., The EULAR points to consider for use of antirheumatic drugs before pregnancy, and during pregnancy and lactation. Ann Rheum Dis 2016; 75:795–810, DOI: 10.1136/annrheumdis-2015-208840

2 de Lima A, Zelinkova Z, Mulders AG, van der Woude CJ, Preconception Care Reduces Relapse of Inflammatory Bowel Disease During Pregnancy. Clin Gastroenterol Hepatol 2016; 14:1285–1292 e1281, DOI: 10.1016/j.cgh.2016.03.018

3 Puchner A et al., Immunosuppressives and biologics during pregnancy and lactation: A consensus report issued by the Austrian Societies of Gastroenterology and Hepatology and Rheumatology and Rehabilitation. Wien Klin Wochenschr 2019; 131:29–44, DOI: 10.1007/s00508-019-1448-y

 

 

 

Wissenswertes für die Praxis

  • Informieren Sie Ihre Patientin: Eine Schwangerschaft bei chronisch entzündlichen Erkrankungen sollte gut geplant sein und in einer Phase mit niedriger Krankheitsaktivität beginnen.
  • Bei hoher Krankheitsaktivität in der Phase der Empfängnis und während der Schwangerschaft sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Schwangerschaft und ein gesundes Kind.
  • Differenzieren Sie bei der Medikamenteneinnahme in der Schwangerschaft! Bei Medikamenten aus der Roten Box (siehe Tabelle) sollte eine sichere Verhütung erfolgen. Bei Kinderwunsch sollten diese teratogenen Medikamente rechtzeitig abgesetzt und durch sichere Alternativen ersetzt werden.
  • NSAR sind ab der 28. Schwangerschaftswoche zu vermeiden, da sie beim Fetus einen vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli auslösen können.
  • Die kumulative Steroiddosis sollte so gering wie möglich gehalten werden, da bei höheren Dosen das mütterliche Infektionsrisiko steigt. Ebenso kann eine dauerhafte Steroidtherapie einen Gestationsdiabetes oder eine schwangerschaftsassoziierte Hypertonie begünstigen.
  • Es gibt schwangerschaftskompatible, sichere Medikamente zur Kontrolle der entzündlich rheumatischen Erkrankung. Aus zahlreichen Registerstudien wissen wir, dass die Medikamente in der Grünen Box (siehe Tabelle) kein erhöhtes Fehlbildungs- oder Abortrisiko verursachen. Im Gespräch mit der Patientin muss eine sorgfältige Beratung erfolgen, denn eine hohe Krankheitsaktivität der rheumatischen Erkrankung kann zu Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie und Frühgeburtlichkeit führen. Daher sollen DMARDs in der Grünen Box nicht leichtfertig abgesetzt werden.
  • Bei Patientinnen mit erhöhtem Risiko für Schwangerschaftskomplikationen, etwa mit Lupus-Nephritis, sollte die Geburtsanmeldung in einem geburtshilflichen Zentrum für Risikoschwangerschaften Bei diesen Frauen können im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel engmaschige Kontrollen der kindlichen Entwicklung nötig sein.
  • Die meisten Kinder von Frauen mit entzündlichen Erkrankungen kommen gesund zur Welt. Motivieren Sie die Patientin, in ihrem persönlichen Wirkungsbereich aktiv zu werden: Vor der Empfängnis mit der Einnahme von Folsäure beginnen. Bei vorangegangener Methotrexat-Therapie oder laufender Sulfasalazin-Therapie: 5 mg Folsäure täglich, da die handelsüblichen Schwangerschaftsvitamine nicht ausreichen.
  • Andere kardiovaskulärer Risikofaktoren behandeln, etwa arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus oder Adipositas.
  • Unbedingt mit dem Rauchen aufhören!
  • Regelmäßige körperliche Aktivität hilft!