Till Voigtländer: Der Award ist etwas ganz Besonderes und bedeutet für mich eine sehr, sehr hohe Anerkennung. EURORDIS ist die Allianz von 837 Patientenorganisationen in 70 Ländern und gibt damit 30 Millionen Patienten mit einer seltenen Erkrankung eine Stimme. Und diese Allianz vergibt den Black Pearl Award an Personen, die dafür vorgeschlagen werden. Der Preis macht mich aber auch demütig, weiterzuarbeiten. Die Nachricht erreichte mich, als ich zum ersten Mal wirklich gezweifelt habe, ob das, was ich tue, weiterhin einen Sinn hat.
Weil wir jetzt, nach einem langen zähen gemeinsamen Weg zu einer besseren Verankerung der seltenen Krankheiten im Gesundheitssystem, auf dem wir viele externe Hürden zu bewältigen hatten, oft Konsens finden mussten et cetera, plötzlich mit internen Blockaden konfrontiert sind, weil eine ausreichende Grundfinanzierung nicht mehr gesichert ist. In dieser Situation hat die Nachricht vom Black Pearl Award besonders gut getan. Wenn sozusagen die Patienten Europas „well done“ sagen, dann macht mich das auch demütig, es weiterzuversuchen.
Ich kam sozusagen unbewusst dazu. Ich bin Facharzt für Neurobiologie, mein Forschungsschwerpunkt waren Prionen, ein unglaublich spannendes, inzwischen kaum noch gefördertes Forschungsgebiet. 2003 hat mich mein früherer Chef Prof. Budka vorgeschlagen, um an einem virtuellen Projekt zur Forschung seltener Erkrankungen mitzuwirken, so lernte ich die Gründungsdirektorin von OrphaNet, der damals gerade in Expansion befindlichen Datenbank seltener Erkrankungen, kennen und habe 2004 die Leitung von OrphaNet Austria übernommen. So entstand mein Bewusstsein für seltene Erkrankungen, und es ging step by step.
Dann begannen die Arbeiten am NAP.se, dem nationalen Aktionsplan für Seltene Erkrankungen. Hier mussten alle Player des Gesundheitssystems, Bund, Länder, Sozialversicherung, ins Boot geholt werden. Die Arbeiten am NAP.se wurden 2013 beendet, endlich publiziert wurde er dann 2015. Jetzt soll er schrittweise umgesetzt werden. Ein wichtiger Punkt ist die Etablierung von Referenzzentren, hierfür musste aber als Erstes das Designationsverfahren festgelegt werden. All das läuft parallel zu Entwicklungsschritten auf der europäischen Ebene, wo eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung mit der Patienten-Mobilitätsrichtlinie gesetzlich verankert wurde und wo an der europaweiten Vernetzung von Expertise – und jetzt konkret am Aufbau der Europäischen Referenznetzwerke (Anmerkung: siehe Beitrag Seite 18) – gearbeitet wird.
Nein, da war ich naiv. 2008 dachte ich, wir machen eine Petition, und wenn die erfolgreich ist, handelt die Politik. Dann kam es zur Einsetzung der Unterkommission im Obersten Sanitätsrat, und ich glaubte, mit dem Vorbild Frankreichs und Italiens, die damals schon Aktionspläne für seltene Erkrankungen hatten, sind wir in einem halben Jahr auch so weit. Tatsächlich hat es schon allein ein Dreivierteljahr gedauert, bis das Gremium überhaupt konstituiert war, mit Vertretern aus 3 Ministerien, Sozialversicherung, Patientenvertretern, AGES, Industrie, Medizinethiker et cetera. Aber hätte mir damals einer gesagt, welch langen Atem man braucht, ich hätte es mir nicht vorstellen können. Und hätte ich damals alles gewusst, ich bin mir nicht sicher, ob ich es mir zugetraut hätte.
In Österreich zunächst ein völlig neues Bewusstsein zu diesem Thema, seltene Erkrankungen sind heute auf keiner Ebene einfach mehr wegzudiskutieren. Die nächste große Errungenschaft, an deren Umsetzung wir derzeit intensiv arbeiten, ist eine besser strukturierte und nachhaltig gesicherte Zentrumslandschaft mit drei verschiedenen Arten hochspezialisierter Zentren, die wir bis in den niedergelassenen Bereich der Haus- und Fachärzte vernetzten wollen, denn nur so wird sie ihr volles Potential entfalten. Und wir haben europäische Referenznetzwerke, in denen Experten und hochspezialisierte Einrichtungen in ganz Europa vernetzt werden und über eine primär virtuelle Diskussionsplattform Ärzten in ganz Europa ihr Wissen bei besonderen Fragestellungen zur Verfügung stellen.
Ja, ein bisschen. Wir befinden uns gerade in einer erneuten Umstellungsphase. Die Koordinationsstelle wird mit diesem Jahr deutlich verkleinert und es ist geplant, ein neues nationales Büro zur Umsetzung und Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans für seltene Erkrankungen an der Medizinischen Universität Wien einzurichten. An den verschiedenen Konzept- und Vertragsentwürfen arbeite ich nun schon über ein halbes Jahr. Insofern ist tatsächlich im Moment ein bisschen Sand im Getriebe. Ich würde aber noch weiter- gehen: Ich sehe auch dunkle Wolken am Horizont. Denn eine solche Neustrukturierung geht immer mit Überlegungen zur Finanzierung und dem zukünftigen Finanzbedarf einher. Und in puncto Geld haben die an der Neukonzeption beteiligten „Player“, wenn ich das einmal so salopp sagen darf, teils deutlich divergierende Ansichten, insbesondere, wie rasch und wie umfangreich die Umsetzung des NAP.se weitergeführt werden soll und welches Budget dafür bewilligt werden kann.
Nein, wir reden hier nicht von gigantischen Summen, die ganze Koordinationsstelle hatte ja bislang ein Personalvolumen von 1 bis 1,5 Stellen. Mit Stand heute werden dennoch aktuell signifikante Kürzungen diskutiert, und das macht mir angesichts der noch ausstehenden Arbeiten, aber auch angesichts der Tatsache, was wir schon alles erreicht haben, das jetzt stabilisiert und behutsam ausgebaut werden müsste, damit es sein volles Potenzial für die Patientinnen und Patienten und damit unsere Gesellschaft insgesamt entfalten kann, schon große Sorgen. Österreich hat vielleicht nicht den schnellsten, dafür aber einen sehr fundierten, gut mit allen Beteiligten abgestimmten und qualitativ anspruchsvollen Weg bei der Entwicklung und Umsetzung seiner Strategie für seltene Erkrankungen gewählt, der in vielen europäischen Ländern Anerkennung findet und für manche auch beispielgebend ist. Hierauf sollten wir aufbauen, und daher sollte man diesen Erfolg nicht durch finanzielle Kürzungen kompromittieren.
Das Problem liegt in diesem Fall im Bereich der eigenen Institution – und es hat einen institutionellen Charakter, und keinen inhaltlichen. Ich bin mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen 10 Jahren schon mit vielen kleinen und auch großen Hürden und Widerständen konfrontiert gewesen, aber immer war das ein Ansporn, durch intensive Diskussionen und Informationsarbeit die betreffenden Stellen von der Sinnhaftigkeit einer Maßnahme zu überzeugen und sie auf dem weiteren Weg mitzunehmen. Und das hat letztlich funktioniert, wir sind praktisch nie richtig gescheitert. Nur jetzt ist die Situation eine andere, denn inhaltlich gibt es gar keine Diskrepanzen. Das bringt auch die Beamten im Ministerium in die Bredouille, denn auch wenn sie das Projekt von ihrer inneren Überzeugung her weiter vorantreiben wollen, müssen sie die institutionellen Regelwerke beachten. Es gab in den letzten Monaten daher wirklich mehrfach den Punkt, an dem ich mich gefragt habe, ob es noch Sinn macht, sich weiter so für die seltenen Erkrankungen zu engagieren. An so einem Punkt war ich vorher noch nie.
Das ist eine verlockende Vorstellung, aber ein bisschen seiner „Magie“ hat er schon jetzt entfaltet, denn er hat die Kraft gegeben, weiterzumachen, ungeachtet aller aktuellen Probleme – und aller, die da noch kommen werden. Und was die Vision angeht: Im Mittelpunkt des Black Pearl-Konzeptes stehen die Patientinnen und Patienten – und mit Ihnen alle sie unterstützenden Personen. Das schließt in besonderem Maße auch die Ärztinnen und Ärzte mit ein, und hier wiederum neben Fachärzten speziell die niedergelassenen Hausärzte, die ja der erste medizinische Ansprechpartner der Patienten sind. Meine Vision wäre daher, dass wir in 10 Jahren unsere nationalen und europäischen Konzepte soweit umgesetzt haben, dass wir Patienten, ihren Angehörigen und den betreuenden Ärzten eine ganz neue Dimension der Versorgung und Unterstützung anbieten können, von der Diagnose bis zur Therapie und darüber hinaus. Das müssen wir einfach schaffen – wir dürfen Menschen mit seltenen Erkrankungen hier nicht alleine lassen.