Spannungsfeld Suizidprävention

Die gesetzliche Regelung der Beihilfe zum Suizid in Österreich ist von dem Gedanken getragen, Personen mit chronischen, nichtreversiblen Leidenszuständen – in der Regel aufgrund einer körperlichen Erkrankung oder Einschränkung bzw. angesichts des nahen bevorstehenden Todes – zu ermöglichen, sich selbstbestimmt für einen assistierten Suizid zu entscheiden.

Im Sinne der Patient:innen und damit ebenso bedeutsam ist es, relevantes Fachwissen sowie Erfahrungswerte der Suizidprävention bereitzustellen und dabei auch möglichen Gefahren durch diese Regelung begegnen zu können.

Gesundheitsförderung und Prävention

Mit dem Wissen, dass ein Suizid verhindert werden kann, entstand das Forschungs- und Handlungsfeld der Suizidprävention. Österreich leistet nach wie vor weltweit anerkannte Pionierarbeit in diesem Feld. Die Anzahl der Suizide ist hierzulande seit Mitte der 1980er-Jahre um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Es zeigt, wie wirksam es sein kann, zu handeln – damals wie heute.

Suizidgefährdete Menschen rechtzeitig und wirksam vor einer Selbsttötung zu schützen wird heutzutage als eine intersektorale Aufgabe verstanden – von allgemeiner Bewusstseinsarbeit über gezielte präventive Maß-nahmen hin zu einer breiten Palette an gesundheitsfördernden Versorgungsangeboten. Dabei nehmen manche Berufsgruppen, wie Ärzt:innen, eine Schlüsselposition als Ansprechpartner:innen („gatekeeper“) für betroffene Risikogruppen ein. Sie können in entscheidenden Momenten helfen.

Hilfestellungen und Behandlungsalternativen

Zu beachten ist, dass bei somatischen Erkrankungen eine psychische Begleiterkrankung nicht immer diagnostiziert wird. Niedergeschlagenheit und Freudlosigkeit werden als Reaktion auf den chronischen Leidenszustand als verständlich erlebt. Wenn aber aus dieser Reaktion ein manifestes depressives Zustandsbild hervorgegangen ist, ist es entscheidend, dieses zu behandeln. In der Folge kommt es in sehr vielen Fällen dazu, dass der Blick auf die vorhandene Lebensqualität und -perspektive – das Abwägen von positiven und negativen Aspekten des Lebens, das auch an einen Bilanzsuizid denken lässt – revidiert wird.

In jedem Fall ist bei der Äußerung einer Suizidabsicht – unabhängig davon, ob ein Suizid nach dem Sterbeverfügungsgesetz gewünscht wird – das mögliche Zugrundeliegen einer psychischen Erkrankung abzuklären. In der überwiegenden Zahl der Fälle gelingt es, suizidale Einengung und Suizidgefahr wieder aufzulösen, wenn Krisenintervention, Psychotherapie bzw. psychiatrische Behandlung zum Einsatz kommen.

Entscheidungsfähigkeit als Kriterium

Ein möglichst allumfassender Blick auf das Sterbeverfügungsgesetz eröffnet auch in anderen Belangen Diskussionspunkte. Bei einem Suizidwunsch, der in klarem Bezug zu einer chronischen körperlichen Erkrankung und irreversiblen Beeinträchtigungen vorgebracht wird, sieht das Sterbeverfügungsgesetz vor, dass ein Entschluss zum Suizid unbeeinflusst von Dritten frei gefasst wurde und dauerhaft anhält. Nicht selten hören wir von chronisch kranken und beeinträchtigten Menschen die Sorge, dass sie nur noch den Angehörigen zur Last fallen. Die zunehmend depressiver werdende Stimmung führt zu dem Gedanken, dass es doch für alle das Beste wäre, wenn die Person aus dem Leben scheidet. Nicht immer sind dabei die Möglichkeiten der Betreuung durch Dritte (professionelle Hilfen) auch ausgeschöpft.

Das Gesetz hält per § 24 ABGB fest: „Entscheidungsfähig ist, wer die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, seinen Willen danach bestimmen und sich entsprechend verhalten kann.“ Aus psychologischer und psychiatrischer Sicht gibt es eine Reihe an Faktoren, welche die persönliche Freiheit in der Entscheidungsfindung beeinträchtigen. Zu nennen sind Einschränkungen von kognitiven Fähigkeiten, wie sie beispielsweise bei hirnorganischen oder demenziellen Erkrankungen gegeben sind, ein Verlust des Realitätsbezugs, der bei starker emotionaler Einengung, aber auch bei psychotischer Beeinträchtigung gegeben sein kann, eine wahnhafte Unkorrigierbarkeit von Überzeugungen und krankheitsbedingt veränderte Wertehaltungen. Damit eine psychische Beeinträchtigung bzw. Erkrankung ausreichend berücksichtigt werden kann, ist es dringend anzuraten, auch psychiatrische Expertise in den Gesamtprozess miteinzubeziehen.

Aufklärungsgespräche

Für die Errichtung einer Sterbeverfügung müssen zwei voneinander unabhängige Ärzt:innen das Vorliegen der Voraussetzungen bei der suizidwilligen Person begutachten. Das Gesetz verortet diese Begutachtung im Rahmen von Aufklärungsgesprächen. Neben einer umfassenden Abklärung zur Erfüllung der Voraussetzungen müssen im Rahmen dieser Gespräche Informationen geteilt werden: Über den Suizid und das Suizidmittel, dessen Beschaffung, Verwahrung und Anwendung sowie über palliativmedizinische und psychotherapeutische/psychosoziale Behandlungsangebote.

Suizidprävention an erster Stelle

Die 2022 geschaffenen rechtlichen Voraussetzungen für einen assistierten Suizid haben nicht zuletzt auch das Potenzial, sozialen Druck aufzubauen. Sie blenden aus, dass Ohnmachtserleben Teil des Lebens sein kann, dass aber der erlebten Ausweglosigkeit in vielen Fällen etwas entgegengesetzt werden kann. Nach wie vor sind palliative Versorgungsangebote nicht flächendeckend ausgebaut – ebenso wenig wie Angebote der Krisenintervention und psychosozialen Versorgung der Bevölkerung.

Die Sterbeverfügungsregelung schafft Ideale in Bezug auf Leben und Tod, die zu hinterfragen sind. So kann es sein, dass eine tabuisierte Angst vor dem Tod bzw. vor dem Sterben anregt, eine vermeintliche Sicherheit in der Selbstermächtigung zu suchen. Selbstbestimmung und persönliche Autonomie sind aus einer psychologischen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Perspektive konstituierend für den Menschen. So soll auch jede suizidpräventive Maßnahme in diesem Sinne gesetzt werden. Die Herausforderung bleibt, betroffenen Personen in Notlagen jenes hilfreiche Gegenüber zu sein, das sie schützt und stützt, ohne ihre Autonomie einzuschränken. Es ist unbedingt notwendig, alle möglichen Hilfestellungen und Behandlungsalternativen auszuschöpfen, die ein Leben (wieder) lebenswert machen bzw. einen würdevollen natürlichen Sterbeprozess ermöglichen.