„In Österreich werden jährlich rund 1,3 Millionen Operationen durchgeführt, bis zu 10% der Behandelten leiden noch Monate und Jahre danach an chronischen, persistierenden postoperativen Schmerzen, die vor dem Eingriff nicht bestanden haben“, schilderte Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress, Vorstand der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie am AKH Wien und Präsident der Europäischen Schmerzföderation (EFIC). Ursächlich liegen meist Nervenschädigungen zugrunde, z.B. im Rahmen einer Amputation (Phantomschmerz in 50% der Fälle), eines Thoraxeingriffes (in 30–35% der Fälle) oder einer operativen Hernienversorgung.
„Wichtig ist eine sofort nach der OP einsetzende, konsequente und ausreichende Schmerzbehandlung, um die mögliche Chronifizierung der Schmerzen zu verhindern“, so Kress. Um dies zu gewährleisten, sei die flächendeckende Einrichtung von Rund-um-die-Uhr-Schmerzdiensten – unter anästhesiologischer Leitung – ein dringliches Ziel. „Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, diese in allen Krankenhäusern anbieten zu können. Dafür braucht es mehr Personal“, meinte Kress.
Vor einer OP gilt es Risikogruppen für den postoperativen Schmerz zu identifizieren, anhand
Bewährte Präventionsmaßnahmen sind z.B. die Anwendung von Regionalanalgesieverfahren, die Verordnung von NMDA-Rezeptorantagonisten, die zu einer Schmerzausschaltung führen können, oder von NSAR, sowie der Einsatz von Wundinfiltrationen. Eine präventive Wirkung von Opioiden ist dagegen bisher nicht belegt.
„Eine aktuelle Studie gibt erste Hinweise, dass die Einnahme von Antiepileptika wie Pregabalin oder Gabapentin bis zwei Monate nach der Operation eine deutliche Reduktion postoperativer neuropathischer Schmerzen zur Folge hat“, erläuterte Kress. Auch Daten zur Verabreichung des Lokalanästhetikums Lidocain liefern Hinweise auf eine chronifizierungsverhindernde Wirkung. Die Interventionsgruppe war drei Monate nach dem Eingriff seltener von anhaltenden postoperativen Schmerzen betroffen als die Placebogruppe. Und: Schmerzintensität und -wahrnehmung waren in der Lidocaingruppe geringer.
„Der Placebo-Effekt ist nicht bloße Einbildung. Aktuelle fMRT-Untersuchungen zeigen, dass er sich an neurophysiologischen Mechanismen festmachen lässt“, erörterte Kress. Er trägt zu einem Drittel zur Wirksamkeit eines Verums bei, wobei 30–40% der Menschen dafür sehr „empfänglich“ sind. „Deshalb sollten wir in der Schmerzmedizin den Placebo-Anteil eines Medikaments bewusster einsetzen, und zwar dort, wo er heilbringend und sinnvoll ist“, appellierte Kress.
Umgekehrt verhält es sich mit dem Nocebo-Effekt: „Ärzte sind Nocebo-Lieferanten“, meinte Kress. Allein durch die ärztliche Information, z.B. „Der Schmerz wird jetzt durch die Infiltration erhöht“, aber auch durch nonverbale Kommunikation und die daraus resultierende Erwartungsangst kann die Medikamentenwirkung aufgehoben werden. „Wir müssen daher unsere Patientenkommunikation ändern, indem wir positive Signale vermitteln“, so Kress.
Beispiel: „Bei 95% treten keine Nebenwirkungen auf“ statt „Das Nebenwirkungsrisiko liegt bei 5%.“ Auch die auf Beipackzetteln angeführten und beängstigenden Nebenwirkungen haben Konsequenzen. Kress: „Wir müssen überlegen, ob wir nicht von der detailgenauen Auflistung von seltenen Nebenwirkungen abweichen sollten.“
OÄ Dr. Birgit Kraft, Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie am AKH Wien, machte auf eine oft unerkannte Arzneimittelkomplikation mit potenziell lebensbedrohlichen Folgen aufmerksam – das Serotonin-Syndrom. Es ist gekennzeichnet durch einen zu hohen Anstieg des Serotonin-Spiegels auf Grund einer Wechselwirkung oder Überdosierung spezieller Medikamente.
Ein Beispiel: Depression und Schmerz treten wechselseitig als Komorbidität auf. Antidepressiva haben sich sowohl in der Behandlung der Depression als auch des Schmerzes als wirksam erwiesen. „Aber: Praktisch alle Antidepressiva erhöhen die im Gehirn verfügbare Menge an Serotonin – ebenso wie bestimmte Schmerzmedikamente wie z.B. Tramadol, und nach neuesten Erkenntnissen auch Fentanyl“, schilderte Kraft.
Weitere Auslöser des Serotonin-Syndroms:
Die Symptome sind diffus (u.a. Kopfschmerzen, Aufgeregtheit, Verwirrtheit, Deli-rium, Zittern, erhöhte Temperatur, Herzrasen, Bluthochdruck und Durchfall), weshalb die Diagnose schwierig ist. „In Studien dachten bis zu 85% der befragten niedergelassenen Ärzte bei entsprechender Symptomatik nicht an ein Serotoninsyndrom“, so Kraft. Die Symptome treten relativ rasch auf, in 60% der Fälle nach sechs Stunden und in 75% nach 24 Stunden. In jedem Fall sollte der Notarzt verständigt werden. „Dies gilt besonders bei erstmaliger Einnahme, nach einer Dosiserhöhung oder wenn Medikamente kombiniert werden“, riet Kraft.
In den letzten Jahren sind durch den Einsatz von funktionellen bildgebenden Methoden (fMRT, MEG, PET) neue Einblicke in die fehlgeleiteten Prozesse, die zu chronischen und neuropathischen Schmerzsyndromen führen, möglich geworden. „Wir können Schmerz jetzt objektiv nachweisen und sind nicht mehr ausschließlich auf die Schilderungen der Patienten angewiesen“, sagte Prof. Dr. Christian Maihöfner, Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen. Eine wesentliche Einsicht aus den bisherigen Untersuchungen ist: Es gibt nicht ein „Schmerzzentrum“ in einem Hirnareal, das gesamte Gehirn ist aktiv. Zudem verändert sich die Neurochemie: Bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen sind bspw. die endogenen Schmerzmechanismen weniger aktiv, weshalb auch Opioide weniger gut wirken können. Maihöfner: „Erste Studien bei Patienten deuten darauf hin, dass eine fehlende Schmerzhemmung für die Schmerzchronifizierung beim Menschen von Bedeutung sein könnte.“