Seltene Krankheiten (SK) stellen eine besondere Herausforderung dar, da es sich Großteils um Multisystemerkrankungen handelt, die durch einen komplexen und heterogenen, oft mit relevanter Morbidität beziehungsweise Mortalität vergesellschafteten Verlauf gekennzeichnet sind, gleichzeitig aber die dadurch erforderliche multidisziplinäre medizinische Spezialexpertise nur eingeschränkt oder verzögert zugänglich ist.
Dies unterstreicht die Bedeutung nationaler und transnationaler Initiativen zur Verbesserung der Versorgungssituation von Betroffenen. Ein Beispiel hierfür ist die Etablierung von speziellen Referenzzentren, wie dem EB-Haus Austria für Patienten mit Epidermolysis bullosa (EB). Durch deren Vernetzung mit Europäischen Referenznetzwerken (ERN) ist es möglich, Ressourcen und Synergien zu optimieren, einen breiten Wissenstransfer und gemeinsame Forschungsinitiativen zu fördern sowie standardisierte Prozessabläufe zu etablieren, um einen unmittelbaren therapeutischen Nutzen generieren zu können.
Nicht zuletzt aufgrund der oben genannten Charakteristika sind SK ideales Ziel kooperativer Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene zur Hebung des Versorgungsstandards. Entsprechende Initiativen und Strategien wurden vonseiten der Europäischen Union auch wiederholt forciert, wie zum Beispiel die Einführung der „European Orphan Medicinal Product Regulation“. Diese definiert Kriterien für den Orphan-Drug-Status eines Arzneimittels, der unter anderem zahlreiche regulatorische Anreize für Entwicklung und Zulassung (unter anderem ein zehnjähriges alleiniges Vertriebsrecht) beinhaltet.1
Das Hauptziel der europäischen Initiativen im Bereich SK ist es, einen gerechten Zugang zu effizienter Prävention, Diagnose, Behandlung, Versorgung und Forschung innerhalb der EU zu schaffen. Dies umfasst eine kooperative Gesamtstrategie, welche die einzelnen Mitgliedstaaten unterstützt, nationale Maßnahmen in sektorenübergreifende nationale Aktionspläne sowie transnationale Referenz-netzwerke für SK zu integrieren. In Österreich wurde der nationale Aktionsplan für SK im Februar 2015 vom Bundesministerium für Gesundheit in Kraft gesetzt.4
Die Implementierung von Expertisezentren für SK auf nationaler Ebene und ihre supranationale Integration in Europäische Referenznetzwerke (ERN) auf EU-Ebene ist dabei ein Schlüsselelement.
Expertisezentren für SK bieten umfassende (strukturelle) Kapazitäten für Diagnose, Management und Betreuung von Patienten auf höchstem medizinischem Niveau in definierten Versorgungsbereichen. Sie versammeln und koordinieren multidisziplinäres Wissen, um den medizinischen, rehabilitativen und palliativen Bedürfnissen der Betroffenen, so weit wie möglich, nachzukommen. Zudem liefern sie Evidenz für Qualitätssicherung (Leit-linienerstellung, Einhaltung von GCP-Richtlinien) und verfolgen eine enge kooperative Zusammenarbeit mit Patienten-organisationen (und Allianzen wie EURODIS, www.eurodis.org).
Bezeichnend für solche Expertisezentren sind des Weiteren das Vorhandensein von spezialisierter Laborinfrastruktur, substanzieller Forschungsaktivität, (international) kollaborativer Netzwerke, strategischer Integration von Patientengruppen sowie Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für Fachpersonal und Laien.
Mit dem Ziel, diesen Anforderungen als Expertisezentrum für Epidermolysis bullosa (EB) zu entsprechen, wurde 2005 das EB-Haus Austria in Salzburg eröffnet (www.eb-haus.eu). Es versteht sich als interdisziplinäre Einrichtung für eine umfassende medizinische Betreuung von Patienten und deren Angehörigen, die großteils durch private Sponsoren und Initiativen der Patientenselbsthilfegruppe DEBRA Austria finanziert wird. Die Dienstleistungen des EB-Hauses Austria sind für Patienten aus aller Welt zugänglich.
Die Anerkennung von Expertisezentren wie dem EB-Haus Austria durch die Bundesgesundheitsbehörden wird anhand eines detaillierten und anspruchsvollen Anforderungsprofils erfolgen. Die Designation ist Voraussetzung für die Schaffung koordinierter nationaler Netzwerke, bestehend aus äquivalenten Institutionen – jedes spezialisiert auf jeweils eine oder mehrere SK. Dabei sollen Doppelgleisigkeiten im Leistungsangebot vermieden und stattdessen effiziente klinische, wissenschaftliche und administrative Kollaborationen gefördert werden.
Auf kontinentaler Ebene sollen Europäische Referenznetzwerke (ERN) transnationale Expertise für eine optimierte Versorgung von Patienten mit SK integrieren (EUCERD-Empfehlungen für Europäische Referenznetze für seltene Krankheiten [RD ERNS]).5 Dabei stellen nationale Expertisezentren die Grundpfeiler der ERN dar. Das EU-Gesundheitsprogramm 2020/2025 führt die Entwicklung von ERN als Priorität an. Ziel ist, bis dahin die Einführung von 20 bis 30 ERN für SK zu erreichen.
Im Sinne einer transnationalen Gesundheitsversorgung mit erleichtertem, grenzüberschreitendem Zugang zu Expertisezentren für alle Patienten, deren Betreuung eine besondere Konzentration von medizinischer Expertise und Ressourcen erfordert,6 umfassen die Kernstrategien von ERN unter anderem die Schaffung von administrativen Steuerungs- und Kontrollstrukturen, die Förderung europäischer, multinationaler Forschungsinitiativen sowie die Definition umfassender Maßnahmen zur Qualitätssicherung.5, 7, 8 ERN sollten durch eine konzertierte Entwicklung von medizinischen Innovationen und Gesundheitstechnologien zudem eine kosteneffiziente Nutzung der europäischen Ressourcen gewährleisten.
EB-CLINET ist ein Netzwerk von EB-Zentren und Experten, das derzeit 82 Partner in 56 Ländern weltweit inkludiert. Hauptzweck von EB-CLINET ist die internationale Vernetzung von EB-Experten, um die internationale Zusammenarbeit zu stärken.
Strategien hierfür umfassen unter anderem
Ultimatives Ziel von EB-CLINET ist es, EB-Familien – wo immer sie auch leben – rasch professionelle Unterstützung zu gewährleisten und dabei limitierende aufwendige Reisen, Sprachbarrieren oder finanzielle Einschränkungen möglichst zu umgehen.
Durch eine fächerübergreifende, qualitätsgesicherte Versorgung und umfassende Forschungsaktivität erlauben Expertisezentren eine optimierte Versorgung von SK-Patienten und Zugang zu innovativen Behandlungskonzepten. Derartige Einrichtungen sind aufgrund nichtredundanter, fokussierter Diagnostik und interdisziplinäroptimierter Therapieprotokolle zudem kosteneffizient und generieren breite Synergien und Kompetenz, von der auch die medizinische Versorgung der Gesamtbevölkerung profitiert.